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Hamburger Werkhaus vor dem AusWenn ein Projekt nicht mehr passt

Das Werkhaus im Münzviertel bietet seit 2013 Essen, Kunst und eine Tagesstruktur für junge Obdachlose. Nun will die Behörde die Finanzierung stoppen.

Viel zu tun für junge Erwachsene ohne Obdach: Fahrradwerkstatt und Holzwerkstatt im Werkhaus Foto: Andreas Kiesselbach

Hamburg taz | Dem „Werkhaus“ im Münzviertel droht das Aus, da die Sozialbehörde die Finanzierung des Projektes für junge Obdachlose von 18 bis 27 Jahren beenden will. Das gab der bildende Künstler Günther Westphal am Freitag beim „Tag der offenen Tür“ der Einrichtung öffentlich bekannt.

Schon der Ort ist besonders. In dem direkt hinterm Hauptbahnhof gelegenen Viertel konzentrierten sich „alle Ungerechtigkeiten der Welt“, sagt Maximilian Müller von der Stadtteilinitiative Münzviertel, die das Werkhaus gemeinsam mit dem Träger Passage und dem Künstlerverein Kunage betreibt. Es gebe groteske Gegensätze, erzählt Müller, neben Hotelneubauten und Touristenströmen sei die Obdachlosigkeit erschreckend normal, gebe es unter jeder Brücke einen Schlafplatz. „Für uns sind obdachlose Menschen Nachbarn. Wir kümmern uns um sie“, sagt er. Darum sei das Werkhaus heute so notwendig wie zu seiner Gründung vor sieben Jahren.

Müller bekommt Applaus aus dem Publikum, überwiegend Nachbarn, die auf dem Hof der früheren Mädchenschule an der Rosenallee im Schatten von Kastanien versammelt sind. Deren Blätter leuchten noch dunkelgrün, sehen fast gesund aus. Holzkästen am Stamm zeugen von den Bemühungen des Projekts „Kastanienrettung“, der Miniermotte Herr zu werden. Das ist neben Gewächshäusern, Gartenbänken und Hochbeeten ein Projekt der Grünwerkstatt, vorgestellt im Jahresheft 2016.

Auch für 2018 und 2019 gibt es so ein Heft. Für das letzte Jahr ist das Heft noch in Arbeit, weil wegen Corona alles verzögert ist. Aber ein Schreiben des Bezirks Mitte attestiert dem Werkhaus, auch in der Pandemie gut gearbeitet zu haben. Unter anderem gab es weiter Frühstück und über einen Tresen weiterhin „Beratungen in Präsenz“.

Stadt argumentiert mit Corona-Schulden

Als Leitung des Werkhauses fungiert ein „Küchenkabinett“, ihm gehören neben Westphal auch die Betriebswirtin Corinna Braun und die Kunstprofessorin Rahel Puffert an. Als Puffert spricht, wird es etwas theoretisch: Das Werkhaus wolle Pä­dagogik, Kunst und Quartiersarbeit verbinden. Dies seien drei Dinge, die „ohne einander nicht auskommen“. Denn das Haus bietet auch einen Ort für Künstler, die Projekte mit den jungen Leuten durchführen und dafür mehrmonatige Werkverträge bekommen, finanziert über das Programm „Neustart Kultur“ des Bundes. Das neuste Projekt heißt: „Obdachlosen eine Stimme geben“.

Doch nun steht das Werkhaus in Frage. Vor drei Wochen wurde dem Küchenkabinett von einer Fachabteilung der Behörde mitgeteilt, dass das Angebot nicht mehr in das Förderprogramm passe. Deshalb sollte der Verein bis Ende nächsten Jahres eine neue Geldquelle suchen. Eines der Argumente: Die Stadt habe wegen Corona Schulden.

Dabei gilt das, was das Werkhaus seit 2013 in der zweiten Etage der alten Schule anbietet, als erfolgreich. Trotz der Einschränkungen der Corona-Zeit werde das Angebot zunehmend angenommen, sagt Corinna Braun, organisatorische Leiterin und Frau für die Zahlen. So gab es in der Zeit von April bis Juni 135 Kontakte zur Zielgruppe, elf von ihnen kamen neu.

Etwa die Hälfte nahm an Gruppenangeboten teil. Eine Fahrradwerkstatt, besagte Grünwerkstatt und eine gut ausgestattete Holzwerkstatt gehören dazu, ebenso ein Musikstudio und eine Küche, in der häufig Marmelade mit Früchten von der Hamburger Tafel gekocht wird. „Die anderen kamen zur Beratung, zu Themen wie Wohnen, Schule, Ausbildung, Finanzen, Behördenkontakte, Gesundheit, Drogen bei einigen, Zahnprobleme und rechtliche Geschichten“, so Braun.

Ein häufiges Problem sei das Fahren ohne Fahrschein. Deshalb gebe es die Fahrradwerkstatt, in der sich die jungen Leute ein Rad zusammenbauen können, berichtet Braun. „Dann brauchen sie nicht mehr den HVV.“ Der Tag beginnt mit einem Frühstück, das seit Kurzem wieder gemeinsam im Raum eingenommen werden kann. Denn wegen Corona waren auch im Werkhaus Abstand und Maske nötig.

Wir bieten Möglichkeiten für Jugendliche, die sonst nicht erreicht werden

Corinna Braun, „Küchenkabinett“ des Werkhauses

Die Besucher können auch Mittagessen, duschen und ihre Wäsche waschen. „Wir bieten einen Raum, wo die Menschen zur Ruhe kommen“, sagt Braun. Ab 15 Uhr gingen viele wieder los, um den Schlafplatz für die Nacht zu suchen. „Wobei wir versuchen, sie in Einrichtungen zu vermitteln.“ Das Angebot ist freiwillig und gilt als niedrigschwellig. „Wir bieten Möglichkeiten für Jugendliche, die sonst nicht erreicht werden“, sagt Braun.

Doch die Krux ist die Altersgruppe. Die rund 400.000 Euro, die das Werkhaus für zwei Jahre bekommt, um Miete und Gehalt für 2,5 Stellen zu zahlen, kommen aus dem Etat der „Sozialräumlichen Hilfen und Angebote“, kurz SHA. Und dieses Programm hat zum Ziel, durch Stadtteilangebote Familien und deren Kinder unter 18 zu stärken. Die Jungerwachsenen gelten dafür als zu alt. „Uns wurde gesagt, wir passen nicht in die Förderstruktur“, sagt Braun. „Weder in die Arbeitsmarktpolitik noch in die Jugendhilfe oder in die Sozialhilfe.“

Sozialbehörde äußert sich vage

Gefragt, ob es zutrifft, dass die Förderung beendet wird, äußert sich die Sozialbehörde etwas vage. Die Gelder aus dem SHA-Topf seien immer auf zwei Jahre befristet, sagt Sprecherin Anja Segert. In diesem Fall ende die Förderung mit Ablauf des Jahres 2022. Segert: „Aktuell prüft die Sozialbehörde alternative Fördermöglichkeiten und steht dazu im Austausch mit dem Träger.“

Günther Westphal berichtet, der Behörde schwebe die Förderung durch eine Stiftung vor. Corinna Braun sagt: „Wir sind optimistisch, dass es eine Lösung gibt. Weil unser Projekt so gut angesehen ist.“

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