Hamburger Werbeflächen werden digital: Mehr Medienkonsum als gewünscht
In Hamburg werden Werbeflächen zu digital bespielten Monitoren umgerüstet. Das Ergebnis ist eine zwanghafte Berieselung mit Info-Schnipseln.
![Ein gelbes Auto fährt vor einer rosa Werbetafel vorbei Ein gelbes Auto fährt vor einer rosa Werbetafel vorbei](https://taz.de/picture/5724466/14/293620814-1.jpg)
E s war im Mai auf dem Weg mit dem Rad zum Einkaufen, als ich in Rahlstedt an der breiten Ausfallstraße B75 wartete, dass es endlich grün wird. Ein bärtiges Gesicht erschien auf der Werbetafel gegenüber, ein Name vor rotem Hintergrund, da wurde jemand polizeilich gesucht. Dann kam der nächste Beitrag. Auf dem Rückweg blieb ich extra stehen, schaute bewusst zur Tafel. Aber die Meldung kam nicht wieder.
Ein paar tausend solcher Tafeln stehen in Hamburg. Wie die Volksinitaitive „Hamburg Werbefrei“ publik machte, hat die Stadt Hamburg kürzlich die Verträge mit den Beitreiberfirmen Ströer und Wall bis 2026 verlängert und ihnen zudem die Digitalisierung aller Anlagen erlaubt. Das heißt: Die alten Plakatwechselanlagen werden durch Monitore ersetzt.
Die Volksinitiative kritisiert, dass die Tafeln viel Strom verbrauchen, und macht auf den Widerspruch aufmerksam, dass die Regierung ausgerechnet auf diesen Geräten die Bürger zum Erergiesparen ermahnt. Weshalb die Ini „Hamburg Werbefrei“, die bis 22. Oktober 10.000 Unterschriften braucht, nun auch die Unterstützung von Umweltverbänden erhält. Begründung: So würde man Klima schützen, die Lichtverschmutzung eindämmen und Unfallrisiken reduzieren.
Zu Hause fiel mir der Name wieder ein. Autsch. Nach ein bisschen Internet-Suche stellte ich fest, dass ich den Gesuchten sogar mal kannte. Gruselig. Mir gefällt deshalb von allen Gründen für „Hamburg werbefrei“ der einer passiven Informationsfreiheit am besten. Will ich fernsehgucken, Zeitung lesen oder im Netz surfen, bestimme ich Ort, Zeit und Bedingung. Hier aber bin ich am Straßenrand den Informationsschnipseln unvorbereitet ausgesetzt.
Lauter sinnlose Fragen
Solche Monitore gibt es in U-Bahnen schon lange. Nun stehen sie an jeder Ecke. Statt drei Werbeplakaten im Wechsel kann dort ständig das Programm geändert werden, etwa mit so sinnlosen Fragen wie: „Wie viel Brücken hat Hamburg?“
Die Polizeipressestelle sagt, von ihr direkt kämen solche Suchmeldungen nicht. Es müssten Presseberichte sein, die auf den Stadtmonitoren gezeigt werden. Auf den Bildschirmen der Firma Ströer läuft zum Beispiel das Informationssystem „Kiss“, das ein „redaktionelles Programm“ wie Nachrichten ihres Partners T-Online und Infotainment in Form von Wetteranzeigen und Wissensfragen bietet. Auch Kulturtipps, Ad-hoc-Warnungen und Suchmeldungen können hier „in Echtzeit“ platziert und die Bürger im öffentlichen Raum jederzeit erreicht werden.
Nur scheint die Kommunikation etwas einseitig. Als die Links-Fraktion vom Senat wissen wollte, wie viele Werbeanlagen inzwischen digital sind, antwortete der, es sei den beiden Firmen nicht möglich, dies in der für die Beantwortung für Anfragen verfügbaren Zeit zu beantworten. Auch die taz hatte kein Glück. Eine Firma antwortete nicht, die andere schickte nur die Antwort des rot-grünen Hamburger Senats.
Der hat sich gegen die Öko-Argumente übrigens gefeit. Der Stromverbrauch moderner LEDs sei geringer als der von alten Neonröhren, man spare Papier, die Tafeln würden nachts gedimmt. Nur auf die Frage der Links-Fraktion, ob es Untersuchungen über den Einfluss von Außenwerbung auf psychische Gesundheit und Lebenszufriedenheit gibt, heißt es: Damit habe man sich „nicht befasst“.
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