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Hamburger Unterkunft für GeflüchteteHier gehen Träume verloren

Eine Woche nach einem Vorfall in einer Hamburger Geflüchteten-Unterkunft haben Be­woh­ne­r*in­nen eine Demo organisiert. Sie fordern die Schließung des Camps.

Erfordert Mut: Be­woh­ne­r*in­nen der Unterkunft protestieren immer wieder gegen Zustände, hier am 12. Oktober 2025 Foto: Janis Trausch

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Amira Klute aus Hamburg

taz | Khaled Agha hat eine starke Stimme. „We are not asking for luxury“, sagt er in ein Mikrofon vor dem Eingang des S-Bahnhofs Harburg-Rathaus im Hamburger Süden und macht eine Pause. „We only want dignity.“ Alles, was sie wollen, sei Würde, sagt Agha, der seit acht Monaten in einem ehemaligen Großmarkt in Harburg wohnt, einer als Erstaufnahmeeinrichtung genutzten Unterkunft für Geflüchtete in der Schlachthofstraße, mit rund 450 anderen.

Rund einhundert Menschen hören ihm an diesem Sonntagmittag zu. Einige sind aus der Hamburger Innenstadt gekommen, andere wie Agha aus der Unterkunft. Die Be­woh­ne­r*in­nen haben die Demo unter dem Motto „Let’s resist together: Abolish the camp“ (Lasst uns gemeinsam Widerstand leisten: Schafft die Unterkunft ab) selbst organisiert, gemeinsam mit antirassistischen Initiativen. Vor einer Woche hatte ein leitender Mitarbeiter der Sicherheitsfirma Elb Security fünfzehn Bewohner über Nacht rausgeschmissen und ein Hausverbot gegen sie verhängt. Die Männer verbrachten die Nacht auf dem Gehweg.

Zuvor hatten rund 200 Be­woh­ne­r*in­nen vor der Unterkunft gegen die menschenunwürdigen Lebensbedingungen im Camp protestiert, darunter auch die Menschen, die später rausgeschmissen wurden. Die taz und lokale Medien berichteten.

Der Mitarbeiter, dem Be­woh­ne­r*in­nen seit Monaten Willkür und Rassismus vorwarfen, arbeitet mittlerweile nicht mehr in der Unterkunft. Er ist schon am auf den Vorfall folgenden Montag versetzt worden, teilt der Träger Fördern & Wohnen (F&W) auf taz-Anfrage mit. Anzeichen für ein Fehlverhalten seinerseits, schrieb F&W kurz nach dem Vorfall, gebe es aber nicht.

Geflüchtete in Hamburg

Menschen

Die Zahl der ankommenden Asylsuchenden in Hamburg ist leicht gesunken. Im September kamen rund 540 Menschen an, mehr als ein Drittel weniger als noch im September vor einem Jahr. Während 2022 knapp 24.000 Menschen ankamen, die untergebracht werden mussten, sind es mittlerweile rund 5.000 Neuankommende.

Wohnen

Rund 44.000 geflüchtete Menschen wohnen in Hamburg in öffentlich-rechtlicher Unterbringung. Davon sind 27.000 Asylsuchende. Von ihnen wohnen 2.800 Menschen in Erstaufnahmeeinrichtungen. Insgesamt hat Hamburg aktuell mehr als 52.000 Unterkunftsplätze, viele wurden seit 2015 geschaffen. Vor zehn Jahren waren es nur 32.504 Plätze.

Die meisten Geflüchteten

leben in der Unterkunft Überseering im Norden der Stadt mit 1.500 Plätzen, in einem ehemaligen Postgebäude.

Wie konnte es zu nächtlichen Hausverboten kommen?

F&W ist als Anstalt öffentlichen Rechts ein städtisches Unternehmen und für die Unterbringung von Geflüchteten in ganz Hamburg zuständig. Den Standort in der Schlachthofstraße betreibt das Deutsche Rote Kreuz im Auftrag von F&W – eine Zusammenarbeit, die in Hamburg wie an vielen Orten Praxis ist, seit 2015 viel mehr Menschen in Hamburg ankamen, als die Stadt Kapazitäten hatte, sie zu versorgen.

Als Träger ist F&W zwar nicht dauerhaft vor Ort wie das DRK, trägt aber die Verantwortung, wenn so was passiert wie die nächtlichen Hausverbote vergangene Woche. Bis F&W der taz bestätigte, dass Menschen nachts der Unterkunft verwiesen wurden, brauchte es ein paar Tage und mehrere Nachfragen. „Künftig werden Wegweisungen für maximal zwei Stunden am Stück ausgesprochen“, schreibt eine Sprecherin schließlich auf die Frage, welche Konsequenzen aus dem Vorfall gezogen werden.

Wie es aber überhaupt passieren konnte, dass fünfzehn Menschen die Nacht draußen verbringen mussten, ist weiter offen. Es müsse aufgeklärt werden, durch „eine unabhängige und transparente Untersuchung unter Beteiligung neutraler Organisationen – nicht nur durch die Camp-Verwaltung selbst“, fordern die Be­woh­ne­r*in­nen im Aufruf zur Demo.

Ahmad Alhussein ist einer der fünfzehn Bewohner, die über Nacht der Unterkunft verwiesen wurden. Er hatte eine schlechte Woche, erzählt er der taz am Anfang der Demonstration am Sonntag. Er sei krank geworden nach der Nacht auf der Straße: „I could not go to school the whole week.“ Alhussein läuft mit durch Harburg bis vor die Unterkunft. Vor dem Tor angekommen hält er ein Banner, das Bewegungsfreiheit als Menschenrecht einfordert.

Geflüchtete wohnten bis vor kurzem auch in Zelten

Wie er zu demonstrieren ist nicht selbstverständlich. Viele Be­woh­ne­r*in­nen hätten sich nach dem, was vergangene Woche passiert ist, nicht getraut zu kommen, sagt Alhussein. Sie hätten Angst, dass sie für ihre Teilnahme an der Demo Stress bekommen könnten.

Die Zustände in der Einrichtung stehen schon seit Jahren in der Kritik. Die Unterkunft ist eigentlich ein Notstandort. Trotzdem wird sie seit 2022, als viele Menschen aus der Ukraine in Hamburg ankamen, durchgehend betrieben. Einige Menschen wohnen seit mehr als zwei Jahren hier.

Nach Khaled Agha spricht am Sonntag eine Bewohnerin, die anonym bleiben möchte, von ihrer Erfahrung in der Unterkunft. „Nach sieben Monaten hatte ich einen Nervenzusammenbruch“, sagt sie. Als sie nach ihrer Rede das Mikro abgibt, beginnt sie zu weinen.

Vor einem halben Jahr wohnten rund 1.200 Menschen in der Schlachthofstraße. Jetzt sind es weniger als halb so viele. Bis Ende September noch wohnten hier Menschen in Zelten für jeweils acht Personen auf dem Parkplatz. Jetzt wohnen alle verbliebenen Be­woh­ne­r*in­nen in einer Halle, in sogenannten „Compartments“. Das sind mit dünnen Pappwänden abgetrennte und oben offene Räume. Die Toiletten und Duschen befinden sich draußen in überdachten, teils ungeheizten Containern. Das ist besonders im Winter und besonders für Frauen und Kinder schwer aushaltbar.

Be­woh­ne­r*in­nen traten erfolglos in Hungerstreik

Das wissen sogar die für die Erstaufnahme zuständige Innenbehörde, die für die Folgeunterbringung zuständige Sozialbehörde und der Träger Fördern & Wohnen. „Allen Beteiligten“ sei bewusst, dass die Be­woh­ne­r*in­nen an Notstandorten „einer herausfordernden Situation ausgesetzt“ sind. „Wir wollen am liebsten solche Standorte so schnell wie möglich schließen“, sagt die F&W-Sprecherin Susanne Schwendtke der taz. „Aber es ist momentan noch nicht möglich, weil einfach Plätze fehlen.“

So argumentieren auch die Sozial- und Innenbehörde. Obwohl die Zahl der in Hamburg ankommenden Asylsuchenden sinkt, sei das System „weiterhin stark ausgelastet“, Stand 17. Oktober zu 95,8 Prozent. „Daher sind die zuständigen Behörden weiterhin auf Notstandorte wie den an der Schlachthofstraße angewiesen“, schreibt der Sprecher der Innenbehörde. Außer der Schlachthofstraße wird in Hamburg nur noch ein anderer Notstandort weiterhin als Unterkunft genutzt, in der Stengelestraße 38 mit derzeit 69 Bewohner*innen.

Die Unterkunft in der Schlachthofstraße soll, sobald die Lage der öffentlichen Unterbringung in Hamburg es zulasse, „in der Belegung reduziert bzw. perspektivisch auch leergezogen werden“. Ganz aufgeben wollen die Behörden die Unterkunft nicht, sie „soll weiter als Reservestandort vorgehalten werden“.

Derweil protestieren die Be­woh­ne­r*in­nen weiter gegen die unhaltbaren Zustände – wie seit Jahren. Im Februar waren einige von ihnen in einen Hungerstreik getreten. Geändert hat sich an den Zuständen nichts. Sie gaben den Hungerstreik auf.

Unter ihnen war auch Khaled Agha. „Its a place where people lose their health and their dreams“, sagt Agha am Sonntag auf der Demo in Harburg. An diesem Ort verlören Menschen nicht nur ihre Gesundheit, sondern auch ihre Träume. Eigentlich, sagt Agha der taz vor seiner Rede auf der Demo, hätten sie alle keine Hoffnung mehr. „But we have to have hope.“

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