Hamburger Polizei ist uneinsichtig: Keine Eisenspeere, nirgends
Die Hamburger Polizei hat keine Beweise für einen geplanten Hinterhalt im Schulterblatt am 7. Juli und sieht sich trotzdem im Recht.
Es habe Lebensgefahr für die Beamt*innen bestanden, hatte Polizeisprecher Timo Zill am nächsten Tag gegenüber der Presse gesagt. Es habe Hinweise gegeben, Aktivist*innen hätten sich mit Eisenspeeren, Gehwegplatten, präparierten Feuerlöschern, Molotowcocktails und Steinen bewaffnet und auf den Dächern im Schulterblatt positioniert. Erst gegen ein Uhr morgens hatte ein Sondereinsatzkommando (SEK) das Viertel geräumt.
In einer Kleinen Anfrage wollte die Abgeordneten der Hamburger Linksfraktion Christiane Schneider nun wissen, welche der Gegenstände im Schulterblatt tatsächlich gefunden wurden. Die Antwort: keine. Auch ein Polizeiauto, das nach Polizeidarstellungen durch einem Bewurf mit Molotowcocktails abgebrannt war, sei nun doch nicht abgebrannt, schreibt der Senat in seiner Antwort.
Von einer falschen Lageeinschätzung will Zill dennoch nicht sprechen. „Im Gegenteil“, sagt er. „Wir halten ganz klar an der bisherigen Darstellung der Ereignisse fest.“ Die Hinweise auf den Hinterhalt seien von Zivilpolizist*innen gekommen, die im Schanzenviertel unterwegs waren, und von Mitarbeiter*innen des Verfassungsschutzes. Als die Polizei schließlich das SEK ins Viertel schickte, habe sich laut Zill der Eindruck ergeben, die Gefahrenprognose sei völlig richtig gewesen. „Es gab ja Personen auf den Dächern“, sagt er. „Nach dem, was wir da gesehen haben, musste sich die Gefahr realisieren.“
Auf die Frage, warum dann keine Beweismittel gefunden worden seien, erklärt Zill, Beweissicherung sei keine Priorität des SEK gewesen. Stattdessen sei es darum gegangen, die Häuser zu sichern. Erst vier Tage nach dem Gipfel hat die Polizei versucht, Beweismittel im Schulterblatt und auf den dortigen Dächern zu sichern. Der Senat begründet das in seiner Antwort auf Schneiders Anfrage mit Ressourcenmangel.
Schneider gibt sich mit dieser Begründung nicht zufrieden. „Klar ist, dass die Version der Polizei mangels Beweisen stark erschüttert ist“, sagt sie. Damit stelle sich „in aller Schärfe“ die Frage, warum die Polizei die Anwohner*innen in der Schanze trotz Plünderungen und Bränden sich selbst überlassen habe. Und auch, warum dann, Stunden später, schwer bewaffnete SEK-Beamt*innen eingerückt seien und das ganze „moderne Polizeiequipment“ aufgefahren hätten.
Die Polizei hat über die Tage des Gipfelprotests 1.659 Beweise gesammelt. Nur keine im Schulterblatt.
Das fand sie andernorts:
Eisenspeere: 0
Pyrotechnik: 50
Krähenfüße: 3
Feuerlöscher: 3
Transparente: 5
Spraydosen: 16
Drahtseile/Seile: 3
Stahlkugeln: 2
Zwillen: 2
Molotowcocktails: 5
Funkgeräte: 2
Zeltstangen: 3
Sonstiges: 103
Für den SEK-Einsatz rechtfertigte sich der Einsatzabschnittleiter aus Niedersachsen, Michael Zorn, am 19. Juli vor dem Innenausschuss. Er nannte den Einsatz einen „Antiterroreinsatz“. Am Abend des 7. Juli habe ihn der Gesamteinsatzleiter Hartmut Dudde angerufen. Der „befürchtete, dass die Kräfte (also normale Polizeieinheiten, Anm. d. Red.) bei einem Vorrücken von den Dächern oder auch vom Gerüst mit Molotowcocktails, Gehwegplatten, Steinen, Eisenstangen und so weiter beworfen werden, sodass eine akute Lebensgefahr für die Einsatzkräfte bestünde“, sagte Zorn dem Ausschuss.
Der Einsatzleiter der Kriminalpolizei, Jan Hieber, fügte hinzu, es habe Hinweise gegeben, dass Personen Läden geplündert und dabei Metallteile entwendet hätten, um diese als „selbstgemachte Eisenspeere“ bereitzulegen. Dazu schreibt der Senat nun: „Beweismittel, die die damals vorliegenden Hinweise bestätigen, liegen nach derzeitigem Kenntnisstand nicht vor.“ Er weist aber darauf hin, dass die Ermittlungen der Sonderkommission „Schwarzer Block“ noch andauern.
Offen bleibt die Frage nach der Plausibilität der Hinweise, die der Verfassungsschutz gegeben haben soll. Die Frage, ob es dort überhaupt üblich ist, dass V-Personen in konkreten Situationen Hinweise an die Polizei geben, ließ die Behörde unbeantwortet. Das sei schließlich Thema des Sonderausschusses G20, sagte eine Sprecherin. Dieser Aufarbeitung wolle man nicht vorgreifen.
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