Hamburger Kraftwerk Moorburg vom Netz: Mach's gut, geliebter Feind!
Das Steinkohlekraftwerk Moorburg ist für immer abgeschaltet. Da werden wir fast ein bisschen wehmütig, wir verlieren ein lieb gewonnenes Hassobjekt.
Mittwoch war der erste Tag ohne das Kohlekraftwerk Moorburg, das am Dienstag für alle Zeiten stillgelegt wurde. Die taz hat sich schon seit den ersten Planungen vor mehr als 15 Jahren an dem Projekt die Finger wundgetippt – besonders in der Zeit, als die Genehmigung zum Bau ausgerechnet von einer grünen Senatorin unterzeichnet wurde. Doch kaum ist es endgültig vom Netz, trauert die taz der Dreckschleuder dann doch ein klein bisschen nach. Schließlich haben doch auch wir etwas gelernt vom Kraftwerk.
Leider kein Einzelfall
Katharina Schipkowski will mehr abschalten:
Während die meisten Hamburger*innen höchstens kurz aufatmen, falls sie die Nachricht überhaupt zur Kenntnis nehmen, bevor sie in ihren SUV oder den Urlaubsflieger steigen, dürfte anderen gleich ein ganzer Steinbruch vom Herzen fallen: den Grünen. Endlich weg mit dem Schandfleck!
Denn wie peinlich war für die Ökopartei bitte dieses Dreckskraftwerk, das unter ihrer Regierungsbeteiligung – mit der Unterschrift einer grünen Umweltsenatorin – genehmigt, gebaut und ans Netz angeschlossen wurde? Im Wahlkampf hatten sie 2008 eisern verkündet, mit ihnen würde es kein neues Steinkohlekraftwerk geben. In der Koalitionsverhandlung zeigte sich dann, was eine grüne Regierungsbeteiligung wert ist: nichts.
Da ist Moorburg leider kein Einzelfall. Erst im vergangenen Jahr haben die hessischen Grünen diese Gewissheit wieder bestätigt, indem sie mit der CDU und einem gigantischen Polizeieinsatz den Dannenröder Forst zugunsten einer Autobahn roden ließen. Das Argumentationsmuster, mit dem sich die regierenden Grünen rauszureden versuchen, ist dabei immer das gleiche: „Für die Planung können wir nichts, die liegt beim Bund/der CDU/name your favourite Buhmann, und jetzt müssen wir es eben ausführen, sorry!“ Aber wer braucht eine Partei, die jeden Scheiß mitmacht?
Es ist die alte Frage des Abwägens zwischen Prinzipientreue und Machtgeilheit. Ich glaube den Grünen ja, dass sie das Kraftwerk nicht wollten. Und ich verstehe die Hoffnung, sie könnten dafür an anderer Stelle etwas bewegen, wenn sie in der Machtposition sind oder bleiben.
Aber irgendwo muss doch eine rote Linie sein. Und wenn es schon Abschiebungen nach Afghanistan nicht sind, ein Abschiebeknast am Flughafen nicht weiter stört, Wälder für Autobahnen geopfert werden und ein CO2-Killer des schwedischen Schweinekonzerns mit Steinkohleimporten aus menschenrechtsmäßig fragwürdigen Gebieten kein No-Go ist – tja, dann kann man den Grünen wirklich nur noch sagen: Schaltet euch doch gleich mit ab.
Ein Mahnmal fällt
André Zuschlag vermisst die Abschreckung:
Was müssen das für schöne Zeiten des ökologischen Aufbruchs gewesen sein, als sich ein Alleinherrscher dereinst auf den Weg machte, Hamburg zum Vorreiter in Sachen Klimaschutz zu wandeln. Die deutsche „Klimahauptstadt“ solle die Elbmetropole werden, verlautete er damals. An die großen Öko-Vorbilder in Skandinavien wolle er sich orientieren. Das erste umfassende Klimaschutzprogramm eines deutschen Bundeslandes präsentierte er dann 2007 auch noch. Sein Name: Ole von Beust, allein regierender CDU-Bürgermeister.
Schön klingt das Ziel noch immer. Und witzig ist auch noch: Er, also von Beust, war es, der eine Dreckschleuder namens Moorburg auf den Weg brachte. Nicht einmal dieses wahrhaft fiese Unternehmen Vattenfall traute sich anfangs, das Ding in richtig fettem Maßstab zu errichten. Dann kam Kohlen-Ole und animierte den Konzern auch noch dazu, es doppelt so groß zu bauen. Kannste dir nicht ausdenken!
Als „Klimahauptstadt“ ist Hamburg bislang immer noch nicht in die Annalen eingegangen und natürlich liegt das auch nicht allein an der CDU. Aber wann immer seither ein Heini von der CDU mit angeblich ambitionierten Klimaschutzideen um die Ecke kam, konnte stets auf Moorburg verwiesen werden. Solche markanten Erinnerungen an Geschichten von Verblendung werden nun jedenfalls fehlen.
Wobei, es gibt ja nun, in der Post-Moorburg-Zeit, noch immer aufreibende Folgen dieser Herrschaft. Die Privatisierung der städtischen Krankenhäuser zum Beispiel, dienen noch immer als Mahnmal. Wenn auch für etwas anderes. 74,9 Prozent der Anteile hatte von Beusts Senat an Asklepios verscherbelt – für einen Witzbetrag noch dazu. Drum erinnert immerhin noch jedes einzelne Asklepios-Krankenhaus an diese in seiner Bilanz furchtbare Ägide.#
Katharsis am Ende
Benno Schirrmeister lacht verzweifelt:
So ein Elend: Es gibt 106 große Kohlekraftwerke in Deutschland, auch in Bremen, meiner Stadt, gibt es ein paar, aber das einzige, dem gegenüber ich je habe Gefühle entwickeln können, ist Moorburg. Negative Gefühle, versteht sich, aber das ist ja der Punkt: Ein Objekt, mit dem man sich, und sei es durch völlige Ablehnung und innigen Hass, verbunden hat, ist, wendet man diesen Vorgang ins Passive, eines, an dem man hängt.
Und gerade die Distanz war da hilfreich: Als vor 20 Jahren das erste Moorburg-Kraftwerk abgerissen wurde, war das ja so eine Art Hoffnungszeichen für diesen alten dörflichen Ortsteil, so schien es jedenfalls von Ferne, und das war doch den Bewohner*innen zu gönnen – und dann, Bäng!, kommt nur ein paar Jahre später so ein Scheißkonzern daher und sagt, jetzt machen wir das Gleiche nur in richtig-groß. Fies!
Deshalb voll Widerstand, aber zwecklos, sie schaffen es sogar, die Grünen-Partei so komplett zu entzaubern, dass es heute noch weh tut, wenigstens mir, weil ich ja doch Mitglied bin.
Erinnern Sie sich daran, wie damals, 2007, die Bürgerschaftsabgeordneten einschließlich der künftigen Umweltsenatorin Briketts zur CDU-Zentrale getragen haben? Also, um zu protestieren? Und wie sie dann ein Jahr später diesen Koalitionsvertrag unterzeichnet haben, mit dem Bekenntnis zu Vattenfalls irrem Projekt?
Damals ging dieses, ich glaube ursprünglich mexikanische, Video von dem lachenden Alten in einer Talkshow viral, mit der Pseudo-Synchronisation, nach der er sich über den Hamburger schwarz-grünen Regierungspakt ausschüttete – und der schönsten und rabenschwärzesten Pointe, dass die Grünen, weil ja fast alle BUND-Mitglieder, den Senat verklagen würden, den sie selbst bilden – und billigen.
Man lag am Boden, echt, obwohl es so traurig, ja fatal war, und konnte sich die Verzweiflung aus der Seele lachen, darüber, dass es die Politik, die nötig wäre, nicht geben wird. Ohne Moorburg, dieses handfeste Mal des Versagens, wird es schwer, eine ähnlich kathartische Wirkung zu erzielen. Es wird uns fehlen. Denn die Verzweiflung ist geblieben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Schäden durch Böller
Versicherer rechnen mit 1.000 Pkw-Bränden zum Jahreswechsel
Ende der scheinheiligen Zeit
Hilfe, es weihnachtete zu sehr
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“