piwik no script img

Hamburger HauptbahnhofSichtschutz gegen das Drogenelend

Sozialsenatorin stellt Maßnahmen vor. Dazu gehören eine soziale Koordinierungsstelle, ein Ordnungsdienst, und die Neugestaltung eines Parks.

Soll neu gestaltet und mit einem Zaun geteilt werden: der August-Bebel-Park von dem Drob Inn Foto: Miguel Ferraz

Hamburg taz | Seit der Pandemie wird die Verelendung rund um Hamburgs Hauptbahnhof immer sichtbarer. Um die Lage von obdachlosen und Drogenabhängigen zu verbessern, stelle Sozialsenatorin Melanie Schlotzhauer (SPD) am Mittwoch gemeinsam mit dem Leiter Bezirksamts Mitte, Ralf Neubauer, ein Maßnahmenpaket vor. Das solle das zum 1. April geplante Verbot des Alkoholkonsums im und am Hauptbahnhof „begleiten“, so Schlotzhauer.

Etwas weiter abseits, aber gut für Autofahrer und Bahnreisende zu sehen, liegen der kleine August-Bebel-Park und die Suchthilfeeinrichtung „Drob Inn“. Deren Klienten hatten sich während der Coronapandemie angewöhnt, die ganze Grünfläche zu nutzen, um Abstand zu halten – was ihre Sichtbarkeit erhöhte. Neubauer kündigte nun an, quer durch den kleinen Park einen 1,63 Meter hohen Sichtzaun errichten zu lassen.

Die zur Straße gelegene Seite soll mit Bäumen bepflanzt werden, die größere Fläche dahinter mit blauem Asphalt belegt werden, auf dem Sitzgelegenheiten und Schirme zum Schutz vor Sonne und Regen aufgestellt werden. Der Zaun werde noch mit Kunst verschönert und sei vom Drob Inn vorgeschlagen worden, sagte er. Die Sichtbarkeit, etwa wenn jemand auf dem Boden schläft, sei auch für die Klienten nicht schön.

Laut Schlotzhauer hat sich die Lage am Hauptbahnhof jüngst etwas verbessert. Das könne an dem im Winter angebotenen Notprogramm für Obdachlose an anderer Stelle liegen. Laut Neubauer werden auch die unlängst auf dem August-Bebel-Platz aufgestellten Toiletten durchaus genutzt und entlasten die Sanitäranlagen im Bahnhof.

Neue Herausforderung für Sozialarbeit

Mit dem Ende des diesjährigen Winternotprogramms soll es nun aber etwas Neues geben. Es sei wichtig, „einen Unterschied zu machen“, sagte Schlotzhauer. Herzstück soll ein „Social HUB“ in den Räumen der Bahnhofsmission sein. Eine Stelle mit drei Mitarbeitenden, die alle Hilfen für Obdachlose und Suchtkranke in Bahnhofsnähe koordiniert.

Auch weitere Stellen wie der sozialpsychiatrische Dienst, die Jobcenter oder Tagesaufenthaltsstellen sollen mitmachen. Es solle bei jeder Person geklärt werden, welcher Träger sich kümmert, sagte Schlotzhauer. Für eine Einschätzung würde auch die Polizei zu Rate gezogen. Datenschutzbedenken seien geklärt, so die Senatorin. Für Sozialarbeiter sei diese neue Kooperation „eine Herausforderung“.

Mehr Streetworker für Obdachlose stellte Schlotzhauer perspektivisch im Rahmen einer „Neuaufstellung“ in Aussicht. Die soll es aber dezentral geben, um den „Druck vom Innenstadtbereich“ zu nehmen.

Läufer sollen künftig auf die Einhaltung der Regeln pochen – sie sollen eine gewisse Robustheit mitbringen

Für das Hauptbahnhof-Umfeld ist zunächst etwas ganz Neues geplant: Teams zu je drei „Sozialraumläufern“ sollen rund um Bahnhof und Drob Inn für Anwohner und Klienten Ansprechpartner sein. Und zwar in zwei Schichten, von sechs Uhr früh bis 22 Uhr.

Die Läufer sind an ihrer Kleidung erkennbar und sollen rund um das Drob Inn auf Regeln hinweisen – mit Sätzen wie „Auf dem Vorplatz darf nicht gelegen werden“, „Die Toilette ist zu benutzen“ oder „Bitte konsumieren Sie im Drob Inn“. Für ihre Aufgabe müssten die Läufer „eine gewisse Robustheit mitbringen“, sagte Neubauer. Von daher sei es richtig, damit nicht Sozialarbeiter zu betrauen.

Diese als Versuch für acht Monate geplante Maßnahme wird an einen „externen Dienstleister“ vergeben, der noch nicht ausgesucht ist. Im Gespräch waren Security-Firmen und Personaldienstleister. Die Schulungen dieser Kräfte soll die Sozialbehörde sicherstellen. Klappt das gut, übernimmt der Bezirk Mitte. Zudem soll es ein „Streetwork-Mobil“ geben, besetzt von städtischen Streetworkern. Der Kleinbus soll auch als „Shuttle“ dienen, um Menschen in schweren Fällen in Kliniken zu bringen.

Der „Social HUB“ hat zudem die Möglichkeit, obdachlose Menschen mit „verfestigtem Aufenthalt“ am Hauptbahnhof in ein weiteres Modellprojekt namens „Übergangswohnen“ zu bringen. 16 Plätze stehen dafür in einer alten Villa in Eimsbüttel bereit. Es würden dafür weitere Häuser und Betreiber gesucht, sagte Schlotzhauer.

Das Angebot sei zur Stabilisierung der Menschen gedacht und keine dauerhafte Unterkunft, und damit „unterhalb des Ansatzes von Housing First“. Ein solches Projekt, das Menschen ohne Bleibe bedingungslos eine Wohnung bietet, gibt es bisher an anderer Stelle, auch als Modellversuch, mit begrenzten Plätzen.

Eine Ampel fürs Winternotprogramm

Jedes Jahr im März kommt wieder die Debatte darüber auf, das Hamburger Winternotprogramm mit seinen rund 800 Plätzen ganzjährig zu öffnen. Dem kam Hamburg bisher nur entgegen, indem es Plätze für pflegebedürftige Obdachlose schuf. Schlotzhauer kündigte an, es würden 2024 gesonderte Wohnunterkünfte für psychisch kranke Obdachlose geschaffen. Zudem soll das Winternotprogramm selbst über ein „Ampelsystem“ erweiterte Öffnungszeiten bekommen, je nach Wetter.

Parallel zur Pressekonferenz der Senatorin veröffentlichen die Fraktionen von SPD und Grünen einen Antrag. „Es ist staatliche Aufgabe, die Spirale des Elends zu durchbrechen“, sagt die Grünen-Sozialpolitikerin Mareike Engels. Mit der nun geplanten „Sozialen Koordinierungsstelle“ könnte dies gelingen. In dem Antrag konstatiert Rot-Grün, dass sich die Obdachlosigkeit unter Suchterkrankten deutlich erhöht habe. Derzeit biete das Drob Inn mit dem Projekt „Nox“ eine Unterbringungsmöglichkeit. Doch diese müsse um weitere Notschlafstellen und Ruhemöglichkeiten ergänzt werden.

Schlotzhauer machte klar, dass derzeit nicht geplant sei, Konsumräume an anderer Stelle einzurichten. Denn dafür einen Standort zu finden, seien „sehr schwierige Diskussionen“.

Ein von Fachleuten geforderter Weg, Verelendung frühzeitig zu verhindern, ist die Schaffung einer gesonderten Notschafstelle für junge Erwachsene. Die Grünen hatten 2020 so eine Stelle im Koalitionsvertrag verankert. Nach vier Jahren ist sie noch immer nicht in Sicht. Die Umsetzung durch die Sozialbehörde läuft schleppend. Geplant sei, dass der städtische Träger Fördern&Wohnen die Notschlafstelle bereit stellt, sagte Schlotzhauer. „Wir sind noch auf der Suche nach einer Immobilie.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

7 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Dann geh' ich halt rüber zum ZOB, um Junkies zu gucken, die sich gerade ins Glück geschossen haben. Hamburger (Präventions-)Politik - könnte anderwo von dwr CDU sein...

  • DAS ist doch die Lösung aller derartigen Probleme: Zaun drum und fertig. Das macht meine kleine Enkelin auch: sie hält sich die Augen zu und alles ist gut. Toll. Warum ist darauf noch niemand gekommen? Das ganze Gedöns mit Sozialarbeit, Armutsbekämpfung, Drogentherapie kann man sich sparen. Ein Zaun ist billiger...

    • @Perkele:

      Es steht doch im Artikel, dass auch die Abhängigen selbst nicht gerne auf dem Präsentierteller sitzen wollen.

    • @Perkele:

      Warum sollen die Drogenabhängigen denn begafft werden können? Auch in der Öffentlichkeit sollte es noch einen Rest von Intimsphäre geben.

      • @Rudolf Fissner:

        Darum geht es doch gar nicht. Das Begaffen will niemand - doch wie wäre es denn, wenn man so arbeitet, dass der Zaun gar nicht nötig würde? Wenn man Betreuungsprogramme, Vorbeugung, Hilfe zum Ausstieg so anpackt, dass es wirkt. Doch dafür ist viel zu wenig Geld da.

  • das drob in ist schon lange ein armutszeugnis für die FHH. einer dame, die mich gestern besuchte, die schon immer in der FHH lebt, ist das drob in erst gestern aufgefallen. na ja. sie meinte: wie kann das sein, da müßte es doch andere möglichkeiten geben.



    jetzt werden also lösungen angedacht + ausprobiert.



    na ja. wieso erst jetzt?

    • @Brot&Rosen:

      Es ist vielleicht kein erbaulicher und für Unerfahrene auch ein schockierender Anblick, aber das Drob Inn leistet sehr gute Arbeit in Form von echter, notwendiger Hilfe. Dass sich die Menschen davor sammeln, zeugt eher davon, dass es angenommen wird. Das ist niedrigschwellige Hilfe. Es hilft ja nichts, jeden Treffpunkt der "Szene" zu blockieren, davon wird kein Elend verschwinden.