Hamburg und die muslimischen Verbände: Staatsvertrag auf dem Seziertisch

Vor zehn Jahren schloss Hamburg Verträge mit mehreren muslimischen Verbänden, nun steht eine Evaluation an. Die CDU will die Vereinbarung aussetzen.

Teilnehmer einer Demonstration des Hamburger Bündnisses gegen Rechts demonstrieren mit einem Pappschild, Aufschrift «Hamburger Muslime für Teilhabe - gegen Ausgrenzung»

Wie soll sich Hamburg ihnen gegenüber verhalten? Schura-Mitglieder demonstrieren 2015 gegen rechts Foto: Bodo Marks/dpa

HAMBURG taz | Der große Knall ist ausgeblieben. Der wäre in den Augen nicht weniger Beteiligter wohl gewesen: Der Verfassungs- und Bezirksausschuss der Hamburgischen Bürgerschaft empfiehlt die Kündigung der Verträge zwischen der Stadt und mehreren muslimischen sowie alevitischen Verbänden. Ihre Unterzeichnung liegt nun etwas über zehn Jahre zurück, und für diesen Zeitpunkt hatten sich die Vertragspartner eine Evaluation verordnet – die für manche freilich keine ist.

So wie sich Dissens schon an der Frage entzünden kann, ob es sich bei den Ende 2012 unterschriebenen, Mitte 2013 dann auch vom Parlament abgenickten Papieren überhaupt um echte Verträge handelt. Denn während sich die Stadt darin auf allerlei verpflichte, so wiederholten es nun Kritiker:innen, täten die beteiligten Verbände genau das ja nicht.

Im November 2012 hatte Olaf Scholz (SPD), damals Erster Bürgermeister, zwei Verträge unterzeichnet: einen mit dem Landesverband der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion (Ditib), dem Rat der Islamischen Gemeinschaften (Schura) sowie dem Verband der Islamischen Kulturzentren (VIKZ). Einen zweiten schloss die Stadt mit der Alevitischen Gemeinde Deutschland. Geregelt sind darin Rechte und Pflichten, betreffend etwa die Gleichstellung von Mann und Frau, den Religionsunterricht an Schulen, Bestattungs- und Feiertagsregelungen, aber auch ein Bekenntnis zum Grundgesetz.

Die Bürgerschaft nahm die Verträge Mitte 2013 an mit den Stimmen von SPD, Grünen und Linken sowie denen einzelner CDU- und FDP-Abgeordneter. Diese Details sind insofern wichtig, als – neben der AfD – CDU und FDP wiederholt Kritik geäußert haben an den Vereinbarungen oder genauer: an einigen derjenigen, mit denen sich die Stadt da geeinigt hatte. Von Anfang an beargwöhnte man, dass das schiitische Islamische Zentrum (IZH) als Teil der Schura mit im Boot war.

Rechte und Pflichten

Von einer „organisatorischen Vertretung des iranischen Regimes in Europa“ sprach schon im Juni 2013 der damalige CDU-Fraktionschef Dietrich Wersich; es träten „vom Verfassungsschutz als verfassungsfeindlich eingeschätzte“ Moscheevereine „einem Vertrag bei, dessen Inhalt sie ganz offensichtlich nicht leben“. Das IZH und seine Rolle als Organisator des wiederholt in antisemitische Entgleisungen mündenden Al-Quds-Tags in Berlin haben immer wieder Anlass geliefert für die Forderung, Hamburg müsse die Verträge wenigstens „aussetzen“.

Nun war der Vater der Verträge allerdings gar kein allzu lascher Multikulti-Sozialdemokrat gewesen: Den Anstoß dazu gegeben hatte 2006 vielmehr Scholz’ CDU-Amtsvorgänger Ole von Beust. Als die Papiere dann in der Bürgerschaft zur Abstimmung standen, waren die Christ­de­mo­kra­t:in­nen mehrheitlich dagegen – auch André Trepoll, heute Schriftführer des Verfassungsausschusses.

Als der am vergangenen Donnerstag zusammenkam, standen drei Punkte auf der Tagesordnung. Davon waren gleich zwei potenzielle heiße Eisen – dass für die Selbstbefassung zur Frage „Gendergerechte Sprache in parlamentarischen Dokumenten“ dann nur ein paar Minuten blieben, lag daran, wie viel Raum den Verträgen gewidmet worden war: Deutlich über vier Stunden lang hatten sich die Ver­tre­te­r*in­nen der Bürgerschaftsfraktionen einerseits ausgetauscht über den Senatsbericht über „die Anwendung der Verträge“.

Vor allem aber stiftete ein CDU-Antrag Stoff für die Beschäftigung: „Schluss mit der inakzeptablen Toleranz gegenüber dem Islamischen Zentrum Hamburg“ forderten die Christ­de­mo­kra­t:in­nen erneut schon im Titel, und: „Staatsvertrag mit den muslimischen Verbänden aussetzen!“. Dazu waren neben Ver­tre­te­r:in­nen der Vertragspartner auch eher kritische Ex­per­t:in­nen etwa vom Berliner „Mideast Freedom Forum“ oder dem Verein „Säkularer Islam Hamburg“ geladen; der mitunter schillernde, zuletzt etwas in die Kritik geratene Ahmad Mansour hätte per Videoschalte dabei sein sollen, das passierte am Ende aber nicht.

Neue Probleme

Indes ist der markig überschriebene CDU-Vorstoß von der Wirklichkeit überholt worden: Das IZH ist seit November 2022 nicht mehr Teil der Schura. Kam es mit seinem Austritt – gefolgt von dem mehrerer andere schiitischer Organisationen – dem immer wieder verlangten Rausschmiss schlicht zuvor? Oder zeigt er vielmehr, dass der Verband sich genau damit sehr schwer tat, was Zweifel an seiner Vertrags-, ja: Verfassungstreue auch jetzt noch nährt?

Pünktlich zur Ausschusssitzung waren Senat und Bürgerschaft, aber auch der Presse Hinweise zugegangen, wonach sich an hoher Schura-Stelle noch immer problematisches Personal findet: Im Vorstand säßen seit den jüngsten Wahlen zwei Mitglieder eines mutmaßlichen Ablegers der türkischen Hizbullah“, so der Berliner Religionswissenschaftler Volker Beck; mithin einer einst terroristischen, heute vom Verfassungsschutz beobachteten Vereinigung. Für Beck – und in der Folge auch einige in Hamburg Anwesende – ist die Konsequenz klar: Auch ohne IZH dürfe die Stadt mit der Schura nicht kooperieren.

Was nun herausgekommen ist bei der Evaluation, und vor allem, ob sich daraus eine Erfordernis zu politischem Handeln ergibt: Damit will der Ausschuss sich frühestens in seiner übernächsten Sitzung beschäftigen, im Oktober.

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