piwik no script img

Hamburg und der DeutschlandtaktNeuer S-Bahntunnel kommt so schnell nicht

Der Plan, die zentrale Hamburger S-Bahnlinie unter die Erde zu legen, ist auf der langen Bank gelandet. Das sollte Platz für Fernzüge schaffen.

Drunter oder drüber? S-Bahn fährt an der Kunsthalle vorbei Foto: Marcus Brandt/dpa

Hamburg taz | Ein neuer S-Bahn-Tunnel mitten unter der Stadt, der Hamburg in den Deutschland-Takt der Bahn einfügen soll, rutscht auf die lange Bank. Wie das Bundesverkehrsministerium jetzt bestätigte, wird er wohl nicht vor 2035 gebaut. „Vor dem Hintergrund, dass die Planungen noch nicht begonnen haben und es sich um ein komplexes Vorhaben handelt, kann eine Umsetzung aktuell noch nicht für die Etappe 2035 unterstellt werden“, teilte ein Ministeriumssprecher mit.

Hamburg ist ein Nadelöhr für den überregionalen Bahnverkehr, weil die sogenannte Verbindungsbahn zwischen Altona und dem Hauptbahnhof um 40 Prozent überlastet ist. 300 Züge täglich rattern über die Fernbahngleise; dazu kommen auf einem eigenen Gleispaar 600 S-Bahnen. Zudem platzt der Hauptbahnhof aus allen Nähten.

Diese Verhältnisse gefährden den von der Bahn geplanten Deutschland-Takt. Demnach sollen in Zukunft bundesweit die Züge in einem aufeinander abgestimmten Rhythmus fahren – die wichtigsten Fernzüge im Halbstundentakt.

Als Lösung hatte der damalige parlamentarische Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium, Enak Ferlemann (CDU), im Dezember 2019 vorgeschlagen, die S-Bahn unter die Erde zu verlegen, um oberirdisch zwei zusätzliche Fernbahngleise zu gewinnen. Mit Ehrgeiz könne der Tunnel vielleicht bis Mitte der 30er-Jahre fertig werden.

Gutachten in Arbeit

Doch mittlerweile ist ungewiss, wann und auch ob dieser „Verbindungsbahnentlastungstunnel“ (VET) kommt. „Derzeit wird ein Gutachten erarbeitet, das alle Vorhaben des Deutschlandtakts priorisiert und in Etappen bündelt“, schreibt das Ministerium. Im vergangenen Monat hätten die Gutachter den aktuellen Arbeitsstand mit den Stakeholdern, darunter den Ländern, diskutiert.

Weil die Stakeholder noch die Möglichkeit hätten, ein fachliches Feedback zu geben, sei das Gutachten noch nicht fertig. „Erst danach wird das weitere Vorgehen abgestimmt, insbesondere mit Blick auf die zur Verfügung stehenden Finanzmittel sowie Planungs- und Baukapazitäten“, so das Ministerium.

Auch bei der Deutschen Bahn wird noch nachgedacht. Wegen der komplizierten Verschlingung des Bahnverkehrs in Hamburg plant sie für das kommende Jahr eine „Knotenstudie“. Damit soll nach Auskunft des Ministeriums „in Abstimmung mit den betroffenen Ländern und Aufgabenträgern analysiert werden, mit welcher Infrastruktur die prognostizierten Bedarfe wirtschaftlich umgesetzt werden können“.

Stand jetzt hat der Senat eine Vorplanung gemacht und in der Folge zwei Trassenvarianten vorgeschlagen. Einfach wird das Projekt in der Tat nicht: Die Tunnel würden direkt unter dem Ohnsorg-Theater und dem Museum für Kunst und Gewerbe hindurchführen – bei letzterem durch das erste und zweite Untergeschoss. Beide Einrichtungen müssten auf Jahre hinaus umziehen.

Geplante U- und S-Bahnen kreuzen

Darüber hinaus muss der Tunnel mit anderen Nahverkehrsprojekten der Stadt koordiniert werden: Die neue, bereits im Bau befindliche U-Bahn-­Linie 5, die die Stadtteile ­Osdorf und Lurup anbinden soll, wird in einem u-förmigen Bogen die Innenstadt durchfahren und würde mehrfach den S-Bahntunnel kreuzen, unter anderem unter dem Hauptbahnhof. Verkehrssenator Anjes Tjarks (Grüne) will sie so weiterbauen, dass sie dem VET nicht ins Gehege käme.

Gleiches gilt für die S-Bahn-Linie S6, die zur Science City Bahrenfeld führen soll. Hier halten sich die Planer die Möglichkeit offen, die Strecke ober- oder unterirdisch aus dem Netz auszufädeln.

In der Öffentlichkeit hat der 5,4 Kilometer lange, knapp drei Milliarden Euro teure und überwiegend vom Bund zu bezahlende Tunnel viel Kritik auf sich gezogen. Die Bürgerinitiative (BI) Prellbock Altona hält diesen Plan für teuer, klimaschädlich und fahrgastunfreundlich. Angesichts der enormen Kostensteigerung beim S-Bahn-Tunnel in München erwartet sie eher zehn bis zwölf Milliarden. Die Bauzeit werde sich bis Mitte des Jahrhunderts ziehen und für den Bahnverkehr kaum Vorteile bringen.

Gegenvorschläge gibt es viele: eine Eisenbahn-Elbquerung im Hamburger Westen, die Gutachter allerdings verworfen haben; eine Umorganisation des Verkehrs am Hauptbahnhof – bis hin zu einer Verlegung des Hauptbahnhofs anderthalb ­Kilometer nach Osten zum Berliner Tor.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare