piwik no script img

Hamburg streitet ums SchulessenWer zahlt die gestiegenen Preise?

Zum Ausgleich der Preissteigerungen für Lebensmittel fordern die Hamburger Schul-Caterer mehr Geld. Die Schulbehörde will davon nichts hören.

Die Zutaten werden teuer: Schulessen für Kinder Foto: dpa / Hauke-Christian Dittrich

Hamburg taz | Egal ob Gemüse, Stärkebeilage, Milch, Joghurt, Quark oder Fleisch. In allen Bereichen seien die Preise kräftig gestiegen, sagt Okan Saiti. „Und es hört nicht auf.“ Der Chef von „mammas canteen“, einer Cateringfirma, die für über 70 Hamburger Schulen täglich frisch kocht, hält einen Inflationsausgleich beim Schulessen für unabdingbar. Unter dem Motto „Rettet das Mittagessen für Hamburgs Schulkinder!“ ruft die Initiative der Hamburger Schulcaterer (IHC) deshalb für Freitagmittag zum „Aktionstag“ vor dem Rathaus auf. In den Schulen gibt es an dem Tag nur kaltes Essen.

Es ist nicht der erste Konflikt um die Schulspeisung. In Hamburg legt die Schulbehörde eine Obergrenze für den Preis fest. Zahlen müssen den die Eltern. Weil die Preise zehn Jahre nicht erhöht wurden, gingen die Caterer 2019 schon mal auf die Barrikaden. Damals gab Schulsenator Ties Rabe (SPD) erst kurz vor der Hamburg-Wahl 2020 nach und gestattete eine Anhebung von 3,50 Euro auf mittlerweile 4 Euro, die jährlich gemäß eines „Preisindex“ angepasst werden.

„Das war noch vor Corona und vor dem Ukraine-Krieg“, sagt Saiti. Der Index betrachtet rückwirkend die Preisentwicklung der vergangenen fünf Jahre. Doch die enormen Preissteigerungen der letzten Monate würden darin nicht erfasst. Laut des Statistischen Bundesamts stiegen die Preise im Großhandel im April 2022 gegenüber April 2021 um 23,8 Prozent. Dies sei der größte Anstieg seit Beginn der Erhebung im Jahr 1962, teilte das Amt mit. Für Milch, Milcherzeugnisse, Eier, Speiseöle und Nahrungsfette stiegen die Preise gar um 29,7 Prozent. Zum Vergleich: Die von Rabe gestattete nächste Erhöhung um 15 Cent zum 1. August 2022 bedeutet nur eine Anhebung um 3,75 Prozent.

50 Cent als Krisenausgleich

Weil diese Entwicklung bei Vertragsabschluss mit der Schulbehörde nicht vorhersehbar war, schrieben die Caterer schon vor Monaten an die Behörde und forderten ab April einen Krisenausgleich von 50 Cent, also in Summe 4,65 Euro. „Wir befinden uns in einer Ausnahmesituation“, sagte IHC-Mitglied Amadeus Hajek von der Firma Alsterfood. Dem müsse vertraglich entsprochen werden.

In der Tat sieht das Bürgerliche Gesetzbuch vor, dass das Festhalten an Verträgen nicht zugemutet werden kann, wenn sich die Umstände „schwerwiegend“ verändern. Der IHC, der den Großteil der Hamburger Caterer vertritt, habe immer wieder das Gespräch mit der Schulbehörde gesucht, sagt Hajek. „Aber wir fühlten uns nicht ernst genommen.“

In einer Erklärung, die die Caterer an diesem Mittwoch mit der Elternkammer Hamburg herausgaben, fordern sie nun, dass die Stadt den Preis anhebt und zugleich zur Abfederung eine „Sozialstaffel“ mit einbaut. „Für das warme Mittagessen muss die reiche Stadt Hamburg Mittel bereitstellen“, sagt Elternkammer-Sprecher Thomas Koester.

Eine solche Subvention – wie in anderen Städten üblich – gibt es in Hamburg nämlich nur an den Grundschulen. Dort flossen vergangenes Schuljahr knapp sechs Millionen Euro in günstigere Essenspreise, der größte Anteil allerdings in die Ermäßigung für Geschwister, die nur ein Drittel zahlen müssen, egal wie wohlhabend die Eltern sind. Während an den Grundschulen fast alle Kinder mitessen, tut dies an den Schulen für ältere Kinder oft nur eine Minderheit.

Die Schulbehörde argumentiert, dass eine „Sozialstaffel“ an diesen weiterführenden Schulen knapp zwölf Millionen Euro kosten würde. Das wäre angesichts des ohnehin starken Schülerwachstums „nicht finanzierbar“, so Sprecher Peter Albrecht. Er verweist darauf, dass Kinder, deren Eltern Hartz IV oder Wohngeld beziehen, das Essen von der Bundesregierung über das „Bildungs- und Teilhabepaket“ (BuT) bezahlt bekommen. Auch andere arme Familien könnten sich danach erkundigen. Allerdings profitierten von diesem BuT laut einer Linken-Anfrage nur elf Prozent der Kinder an weiterführenden Schulen.

Sozialrabatt für Wohlhabende?

Die Caterer-Initiative sieht hier eine Unwucht. Denn eine Auswertung von 77 Grundschulen habe ergeben, dass über den Geschwisterrabatt etwa die Hälfte der Hamburger Mittel Gutverdienern zugute kommt. „Das kann man besser machen, damit das Geld für mehr Familien mit niedrigem Einkommen reicht“, sagt Saiti.

In Bezug auf den Essenspreis erklärt die Behörde, mit den 4,15 Euro sei „ein gutes Mittagessen zu finanzieren“. Gleichwohl werde man nun die Preise anderer Städte analysieren, um die Forderung bewerten zu können.

Für das warme Mittagessen muss die reiche Stadt Hamburg Mittel bereitstellen

Thomas Koester, Sprecher der Hamburger Elternkammer

Allerdings ist das Thema in der Hamburger Bürgerschaft angekommen. Nicht nur CDU und Linke unterstützen die Caterer. Auch die SPD beschloss auf ihrem Landesparteitag, dass ihre Fraktion „prüfen“ soll, wie die Sozialstaffelung auf ältere Jahrgänge ausgeweitet werden kann. „Diesem Auftrag kommen wir aktuell nach. Dabei wird auch die Geschwisterkind-Regelung einbezogen“, sagt SPD-Schulpolitiker Nils Hansen. Es sei bedauerlich, wenn Küchen kalt bleiben, und trage nicht zur Lösung bei.

„Die kurzfristigen Preissprünge sorgen für Gesprächsbedarf“, sagt auch Hansens Grünen-Kollegin Sina Aylin Demirhan. Denn der vor einiger Zeit zwischen Stadt und Caterern vereinbarte Modus der Preisanpassung „berücksichtigt solche Entwicklungen nicht“.

Indes sagt Saiti, dass er weitere Preissteigerungen erwartet. „Passiert hier nichts, ist vor allem die ein oder andere weiterführende Schule nicht mehr zu tragen.“ Er überlege deshalb, sich in der Sache „direkt an den Finanzsenator zu wenden“.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Das Hamburger Schulessen hat zwar ein Preisproblem, aber in erster Linie oft vor allem ein Kreativitäts- und Strukturproblem.



    Dass in Schulküchen nicht unbedingt ungesundes Convenience Food oder der Geist der Kantinenverpflegung der 80er regieren muss, zeigen viele kleinere Schulen, die das Kochen selbst in die Hand nehmen oder mit kleinen Unternehmen zusammenarbeiten.



    Hirn und Wanst, mammas kanteen und selbst die Waldorfschulen (z.B. Christian-Morgenstern-Schule) zeigen, dass es gut geht - wenn man nur will.

    Wo sind die Ideen? Wo die Kooperationen mit Restaurants vor Ort, wo der Geist der Volxküchen und meinetwegen auch ab und an der Support von kochbegeisterten Eltern, die Lust haben nicht nur Sommerfest und Klassenmittage zu organisieren? Mehr Geld sollte es für dieses System nur mit tiefgehenden Reformen geben.

    • @VivaHamburgo:

      Mamas canteen wird im Artikel zitiert.



      Also geht es scheinbar den kleinen Firmen nicht so gut.



      Jedes Catering-Unternehmen wirtschaftet auf seine eigene Art und Weise.



      In den Rudolf-Steiner-Schulen zahlen die Eltern kräftig für alles mögliche und sind in der Regel darüber hinaus in Fördervereinen organisiert.



      Bzw die Rudolf-Steiner-Schulen sind kostenintensiv und sozial selektiv und deswegen kein passendes Beispiel.