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Hamburg spielt SchachKö­nigs­sprin­ge­r*in­nen am Zug

Dass Schach eine glamouröse Angelegenheit sein kann, zeigt „Damengambit“. Aber erst mal muss ja der Nachwuchs ganz unglamourös zum Spiel finden.

Weiß ist am Zug Foto: picture alliance/dpa

I n der Netflix-Serie „Damengambit“ ist Schach eine glamouröse Angelegenheit. Die Heldin ist eine hübsche junge Frau, die sich nach einer Kindheit im Waisenhaus in der elitären Männerdomäne des Schachs durchsetzt, zum Champion wird, das Leben eines Rockstars führt und schließlich rockstarmäßig abstürzt.

Die Serie spielt im Amerika der Nachkriegszeit und die Welt des Schachs ist auch der Schauplatz für eine Geschichte des Aufbruchs: Es geht um neue Freiheiten und neuen Wohlstand – eine mondäne Welt, in der Mode, Pop und Rebellion auf streng frisierte Herren in aristokratischen Turniersälen treffen.

An diesem Samstag im Jahr 2021 sieht die Schachwelt anders aus. Sie befindet sich in einem Raum mit funktionalen Tischen im ersten Stock eines Backsteinhauses. Auf einem Regalboden, der sich lange Meter durch den Raum zieht, stehen ungeordnet Pokale jeglicher Größe.

Hier, beim Hamburger Schachclub von 1830 e. V., haben sich an diesem Samstag sechzehn Kinder eingefunden, es sind dreizehn Jungs und drei Mädchen. Die Kinder gehören zu vier Hamburger Schachclubs. In der ersten Runde spielen die Königsspringer gegen den Hamburger Schachclub von 1830. Die beiden anderen Clubs heißen Schachklub Johanneum Eppendorf und Schachvereinigung Blankenese von 1923.

Beim Vorbereitungstraining der Königsspringer hat der Trainer die Sache mit den Jungs und den Mädchen im Schach so erklärt: „Im Schach gibt es Turniere für alle und es gibt Turniere für Mädchen.“ Die Jungs im Raum fingen an zu grummeln. „Das ist so!“, sagte der Trainer streng. Er wollte jede Meuterei sofort unterbinden.

An diesem Tag ist es also ein Turnier für alle mit Regeln für alle: Jeder Zug muss mitgeschrieben werden. Die Schachuhr ist nach Ende des Zugs zu drücken. Wer eine Figur berührt, muss diese Figur auch ziehen. Essen ist erlaubt, aufstehen und rumgehen während des Spiels auch.

Sportlich betrachtet lief es in der ersten Runde gut für das Heimteam und schlecht für die Königsspringer. Einer der Königsspringer-Jungs hat über dem Mitschreiben und Uhr-Drücken das Ziehen vergessen, woraufhin sein Gegner aus Versehen zweimal in Folge zog und gewann.

Ein anderer hat sich nach einer verlustreichen Eröffnung ins Spiel zurückgekämpft, indem er ein völliges Chaos auf dem Brett anrichtete, darin aber „selbst den Überblick verlor“ – so stand es nachher im Spielbericht des Trainers.

Den einzigen Punkt in dieser ersten Runde holte für die Königsspringer das Mädchen im Team: „Sehr stark!“, lobte der Trainer.

Schach, das ist den Beteiligten des Jahres 2021 sehr wohl bewusst, ist eine der wenigen Sportarten, bei denen Menschen jeden Geschlechts bei Turnieren gegen­einander antreten können. Beim Hamburger Schachclub von 1830 ist auf der Website von „Spieler:innen“ die Rede. Und es scheint nur eine Frage der Zeit, bis auch aus den Königsspringern die Kö­nigs­sprin­ge­r*in­nen werden.

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Klaus Irler
Hamburg-Redakteur
Jahrgang 1973, fing als Kultur-Redakteur der taz in Bremen an und war dann Redakteur für Kultur und Gesellschaft bei der taz nord. Als Fellow im Digital Journalism Fellowship der Hamburg Media School beschäftigte er sich mit der digitalen Transformation des Journalismus und ist derzeit Online-CvD in der Norddeutschland-Redaktion der taz.
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