Haltung Israels zum Ukrainekrieg: Sei einfach ein Mensch
In Israel gibt es viele, die Putin unterstützen, auch in Erinnerung an Pogrome in der Ukraine. Aber historische Rechnungen sind dumm.
D ie gute Nachricht ist: Israels streitbare Innenministerin Ajelet Schaked gab dem Druck der Öffentlichkeit nach und lockerte ihre restriktiven und undurchsichtigen Entscheidungen gegenüber ukrainischen Flüchtlingen. Seit sie öffentlich kundtat, dass der Staat Israel dem eigenen Ethos entsprechend einzig Juden verpflichtet sei, sie aber aus reiner Nettigkeit auch 5.000 Nichtjuden aufnehmen werde, geht ein Aufschrei der Entrüstung durch die sozialen Netzwerke und über alle nur erdenklichen Bühnen.
Schaked, die vermutlich von Anfang an auf ihre rechte Klientel abzielte, musste einsehen, dass die Sache nicht gut für sie läuft. Sie erhöhte die Flüchtlingsquote, setzte aber ihre fremdenfeindliche Rhetorik fort.
Nun gibt es in Israel eine riesige Öffentlichkeit, die schockiert ist über die Bilder des Kriegs, und die Herz und Hand für die Flüchtlinge öffnet. Schaked hat aber recht in Bezug auf ihre Anhänger. Denn es gibt eben auch eine große Öffentlichkeit, die sich angesichts des menschlichen Leids ganz und gar nicht schockiert zeigt und die dazu neigt, Putin zu unterstützen. Kein Zufall, dass eine der von dieser Öffentlichkeit verehrtesten Figuren der rechtsextreme Siedlerführer Itamar Ben Gvir ist, dessen Ideologie auf Rassismus basiert.
Wer sich gegen einen freundlichen Empfang der Flüchtlinge stellt, argumentiert nicht selten mit der offenen Rechnung, die wir Juden mit den Ukrainern haben. Stimmt schon, dass viele Ukrainer Antisemiten waren, und dass es reihenweise schreckliche Pogrome gab, angefangen im 17. Jahrhundert. Und dass große Teile der ukrainischen Bevölkerung mit den Nazis kollaborierten. Ein beachtlicher Teil der jüdischen Literatur seit Beginn des 20. Jahrhunderts handelt von diesen Horrorgeschichten.
ist Autor mehrerer Romane und populärwissenschaftlicher Schriften zu jüdischem Denken. Er leitet die Abteilung für Jüdische Kultur an der Sapir-Hochschule in Sderot.
Meine Mutter wuchs in Galizien, der heutigen Ukraine, auf. Sie erinnert sich an ihre ukrainischen Nachbarn mit keiner großen Zuneigung. Aber diese „historischen Rechnungen“ haben etwas Starrköpfiges und Dummes an sich. Menschen verändern sich, Völker verändern sich, historische Umstände ändern sich. Um es ganz offen zu sagen: Der Stil, die Rhetorik und die Mentalität der Ukrainer, die derzeit interviewt werden – vom Präsidenten bis zu den Flüchtlingen – sind tausendmal dem Stil und der Rhetorik vorzuziehen, der meine Innenministerin und die Massen ihrer Unterstützer charakterisiert.
Übertriebene diplomatische Vorsicht
Israel agiert seit Beginn des Krieges auf offizieller Ebene mit übertriebener diplomatischer Vorsicht. Grund dafür ist die heikle Situation in Syrien: Die Russen sind dort militärisch präsent, und für Israel sind gute Beziehungen zu Putin wichtig, damit die israelische Luftwaffe auch künftig ungehindert iranische Ziele angreifen kann.
Überhaupt ist Israel an guten Beziehungen zu Russland interessiert. Doch hier stellen sich einige Fragen: Angesichts der enormen Schwäche des russischen Militärs, die dieser Krieg enthüllte, überschätzt Israel nicht Putins Macht? Ist es wirklich nötig, „auf Zehenspitzen zu gehen“, um ihn nicht zu erzürnen?
Und wenn es auch im Interesse Putins ist, kann man dann nicht davon ausgehen, dass er die guten Beziehungen bewahren wird, selbst wenn Israel den Ukrainern Verteidigungsausrüstung wie Helme und kugelsichere Westen zur Verfügung stellt? Und geht es hier nicht zuletzt um einen Fall, bei dem diplomatische Vorsicht und Kalkül geopfert werden sollten für eine moralische Position? Sei a mensch, so heißt es auf Jiddisch. Anständig, menschlich sein, jenseits von zweckorientierten Überlegungen. In Zeiten wie diesen kann das auch von gewählten Vertretern gefordert werden.
Aus dem Hebräischen: Susanne Knaul
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