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Halbherzig gegen ObdachlosigkeitHannover will keine Risiko-Mieter

Was mal als niedrigschwelliges Angebot für Menschen gedacht war, die durch jedes Raster fallen, ist nun doch wieder an Bedingungen geknüpft.

Auf dem freien Wohnungsmarkt chancenlos: Obdachloser mit einer Suchterkrankung Foto: dpa

HANNOVER taz | Hannover hat am Mittwoch ein neues Pilotprojekt gegen die Wohnungslosigkeit vorgestellt. Unter dem Namen „Wohnen und dann …“ will die Stadtverwaltung gemeinsam mit der Stiftung „Ein Zuhause“, zu der die Soziale Wohnraumhilfe, die Diakonie sowie der Treuhänder Werkheim gehören, Menschen in eine eigene Wohnungen bringen, die auf dem freien Wohnungsmarkt durch jedes Raster fallen.

Die grobe Planung sieht einen Neubau mit 15 Wohnungen vor, die bereits im nächsten Jahr bezugsfertig sein sollen. Standort soll ein Grundstück im recht zentralen Stadtteil Vahrenwald sein, das aber noch final vom Stadtrat bestätigt werden muss. „Dem sollte aber nichts im Weg stehen“, versichert Konstanze Kalmus von der Stadtverwaltung.

Ein erster Entwurf für das geplante Haus liegt nun vor. Zwei Millionen Euro betragen die geschätzten Baukosten, die größtenteils Stadt und Region tragen wollen. Die übrigen rund 200.000 Euro, die auch für die laufenden Kosten gebraucht werden, sollen durch Spenden aufgebracht werden, sagt Eckart Güldenberg, Vorsitzender des Stiftungsrates von „Ein Zuhause“.

Zu dem Pilotprojekt ist auch ein weiterführendes Hilfsprogramm vor Ort geplant, das die Projektinitiatoren „offensiv, aber auf freiwilliger Basis“ anbieten sollen, sagt Güldenberg. Außerdem werde ein Ansprechpartner die Bewohner unterstützen.

Lieber eine kleine Wohnung

Die 15 Wohnungen sollen größtenteils rund 30 Quadratmeter groß sein. Das sei „relativ klein“, sagt Andreas Sonneberg vom Verein Werkheim, der das operative Geschäft der Stiftung leitet. So wolle man die Nachhaltigkeit des Wohnprojekts sicherstellen, denn die Bewohner sollen langfristig in die Lage versetzt werden, ihre Wohnung eigenständig halten zu können.

Dies sei wahrscheinlicher bei einer kleineren und somit günstigeren Wohnung, so Sonneberg. Derzeit gehen die Initiatoren von einem Quadratmeterpreis von sechs Euro aus, also rund einem Euro weniger als dem hannoverschen Durchschnittspreis.

Housing First

Das Konzept: Housing First ist ein alternativer Ansatz, um Obdachlosigkeit zu bekämpfen, und bedeutet, dass die Betroffenen zuallererst eine Wohnung bekommen und in der ruhigen, stabilen Umgebung dann von Sozialarbeitern unterstützt werden, wenn sie dies möchten. Normalerweise bekommen Wohnungslose in städtischen Notunterkünften einen Platz. Eine Wohnung bekommen sie erst, wenn sie sich als wohnfähig erwiesen haben. Sie müssen etwa Suchterkrankungen behandeln lassen oder sich um ihre Schulden kümmern.

Die Verbreitung: wurde erstmals 1988 in Los Angeles, Kalifornien, ausprobiert. Mittlerweile gibt es solche Projekte auch in Wien, Berlin und Helsinki – und als Modellprojekt in Hannover, wenn auch in abgewandelter Form.

Die Idee war ursprünglich, das Pilotprojekt in Hannover nach dem Housing-First-Konzept (siehe Kasten) umzusetzen. Zumindest sah es der Stadtrat so vor, der bereits im vergangenen Frühjahr der Verwaltung den Auftrag gab, einen entsprechenden Entwurf für ein „nie­drigschwelliges Wohnangebot für Wohnungslose“ auszuarbeiten. Das Konzept, das dabei jetzt herausgekommen ist, unterscheidet sich allerdings recht deutlich von der Housing-First-Idee, die eine bedingungslose Hilfe für wohnungslose Menschen vorsieht.

Denn: Die Kooperationspartner in Hannover wollen die 15 Wohnungen eben nicht gänzlich bedingungslos an obdachlose Menschen vergeben. Das sei nämlich ein „wirtschaftliches Risiko“, sagt Jürgen Schabram, Geschäftsführer der Sozialen Wohnraumhilfe Hannover. Wirtschaftlichkeit sei aber dringend notwendig. Natürlich sei das „nicht im Sinne von Housing First“, ergänzt Stiftungsrat-Chef Güldenberg. Ziel sei dennoch, jenen eine Wohnung zu bieten, die bei der Wohnungssuche chancenlos seien.

Damit sind die nach Schätzung von Stadtverwaltung und Diakonie rund 400 bis 500 Menschen gemeint, die in Hannover keinen festen Wohnsitz haben und auf der Straße schlafen. Trotz des sozialen Grundgedankens des Pilotprojekts müsse sichergestellt werden, dass die ausgewählten Personen nicht gleich wieder ausziehen, sagt Schabram.

Daher wollen Stadtverwaltung und Stiftung Kriterien zur Auswahl der Bewohner festlegen. Zum Beispiel könnten jene Obdachlose eine Wohnung bekommen, die bereits im Kontakt mit Straßensozialarbeitern stünden und die man daher einschätzen könne.

Sozialdezernentin Konstanze Beckendorf sieht in so einer Vorauswahl keinen Widerspruch zu einer Wohnungsvergabe „ohne Hürden“: Das Pilotprojekt sei ja nur ein Anfang und solle erst mal jenen zugute kommen, die die Chance auf Hilfe zur Selbsthilfe wahrscheinlich auch werden nutzen können.

Ein bisschen anders als gedacht

Die 15 Wohnungen sind nur ein erster Testlauf, aus dem sich „möglichst viele andere Projekte entwickeln“, hofft Schabram. Natürlich sei es nicht die Lösung der Obdachlosigkeit in Hannover, aber „ein weiterer Baustein“, findet der Geschäftsführer der Sozialen Wohnraumhilfe.

Dass sich das Konzept nun doch von Housing First unterscheide, sei „ein bisschen anders als gedacht“, sagt Katrin Langensiepen von der Ratsfraktion der Grünen. Die Kriterien zur Vergabe der Wohnungen müsse sich die Verwaltung genau anschauen. Auch wenn es vorab nur ein kleines Wohnangebot sei: Die Politikerin freut sich, dass die Stadt es „nach langem Ringen doch geschafft hat, ein Grundstück und einen Träger zu finden“.

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4 Kommentare

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  • Zitat: „Wirtschaftlichkeit sei aber dringend notwendig.“

    Ach ja? Ich habe gar nicht gewusst, dass Hannover ein Unternehmen ist, dass in direkter Konkurrenz zu anderen Unternehmen steht und bei Strafe seines Untergangs Gewinne erwirtschaften muss. Und zwar in jedem Teilbereich. Ich hatte angenommen, Hannover sei eine Kommune, die Steuern und Abgaben erheben darf, weil sie sich grade um solche „Projekte“ verdient zu machen hat, die sich nicht „rechnen“ auf einem umkämpften Markt.

    Aber vielleicht war das ja früher mal. Vielleicht gibt es heute keine sozialen Grundsätze mehr für die Stadtväter und -mütter Hannovers. Nur noch den (von jeder Moral) freien Wettbewerb. Und deshalb gönnen die Entscheidungsträger der Stadt nur denen ein Zuhause, die „fit“ sind. Sprich: Genau so angepasst wie sie. Die also „Leistung“ bringen im Sinne ihrer selbstgestrickten Definition.

    Übrigens: Wenn sich das nun vorgelegte Konzept von dem unterscheidet, das der Stadtrat in Auftrag gegeben hat, sollte das ernsthaftere Konsequenzen haben, finde ich, als nur das Heben eines einzelnen Zeigefingers. Legitim ist eine derartige Eigenmächtigkeit nämlich nicht. Der Stadtrat ist der gewählte Souverän. Die Verwaltung ist nur ausführendes Organ ohne eigene Entscheidungsbefugnis. Sie wird schließlich „nur“ von „Personalern“ eingestellt, die keine Mehrheit finden mussten und keine Rechenschaft ablegen brauchen.

    So sind nun mal die demokratischen Spielregeln. Mag sein, dass bei Katrin Langensiepen die Erleichterung überwiegt, überhaupt einen Schritt in die richtige Richtung erkennen zu können. Nur: Verantwortung meint mehr. Wenn der Arbeitsauftrag des Stadtrates nicht vernünftig war, sollte der Stadtrat das erklärt bekommen, damit er etwas lernen kann aus seinen Fehlern. Wenn aber nicht, ist gar nicht einzusehen, dass sein erklärter Wille so verbogen werden muss.

    • @mowgli:

      "Ich habe gar nicht gewusst, dass Hannover ein Unternehmen ist, dass in direkter Konkurrenz zu anderen Unternehmen steht und bei Strafe seines Untergangs Gewinne erwirtschaften muss"

      Das ebenso moderne wie widerwärtige Zauberwort ist "Standortkonkurrenz". Verwahrlosungserscheinungen (und Menschen ohne festen Wohnsitz fallen seltsamerweise darunter, so ähnlich wie bröckelnde Hausfassaden und nicht entfernter Taubendreck) sind hier ein Malus. Was meinst du, warum in Frankfurt seit Jahrzehnten versucht wird, die offene Drogen-Szene doch wenigstens etwas weiter vom Bankenviertel zu entfernen?

    • @mowgli:

      Ich glaube Sie überdrehen hier den wirtschaftlichkeitsbegriff. Vielleicht liegt das Problem daran, dass in diesem Fall nicht genau beschrieben wird, was damit gemeint ist. Vielleicht geht es nur darum, dass sichergestellt werden muss, dass die Obdachlosen auch ALG II beziehen müssen, zwecks Wohngeld.

  • 9G
    97088 (Profil gelöscht)

    Ich beobachte die hannoverische Wohnungs- und auch Obdachlosenarbeit als interessierter Bürger und auch als Spender seit vielen Jahren. Und: Es geschieht wenig. Absichtserklärungen gibt es viele, Zustimmungen auch, vielleicht sogar ein in Aussicht gestelltes Grundstück - für 15 Wohneinheiten (!). Wie in dem vorgestellten Projekt - welches bisher eben ein Projekt ist. Sonst gar nichts! Allerdings steht weder eine Finanzierung des Baus und des Erstbezuges noch die der anschließenden Betreuung. Auf Spenden und Steuergelder zu verweisen ist schön und einfach - löst konzeptionell aber nicht den nachhaltigen Besetzungs- und Betreuungsaufwand und die notwendige Dauerinstandhaltung (die Zielgruppe ist als Mieter eben sehr speziell).



    Die Stadt könnte ihrer städtischen Wohnungsbaugesellschaft und ihrer Sparkasse als (Mit-)Eignerin doch einfach sagen: Bau das jetzt, wir kompensieren das als „entgangene Gewinnausschüttung“ und das soziale Kümmern bezahlen wir (als Stadt), die Arbeit vor Ort macht ein Verein. Tut sie aber nicht. Weil dahinter immer die Hoffnung der Kommune steckt, dass irgend ein privater, kirchlicher oder sozialer Depp mit ein bisschen öffentlichem Geld diese Aufgabe übernimmt. Sozialstaatlich ist das nicht!