Haiti in der Gewalt der Gangs: Polizeimission mit Hindernissen
Eine Polizeimission sollte unter kenianischer Führung in Haiti eintreffen. Aber der Voraustrupp ist erst einmal wieder abgereist.
![Eine Schwarze Frau hält sich an einen Baum gelehnt die Hand vors Gesicht Eine Schwarze Frau hält sich an einen Baum gelehnt die Hand vors Gesicht](https://taz.de/picture/7023483/14/35349016-1.jpeg)
Man arbeite in Washington, Miami und Port-au-Prince „fieberhaft“ daran, den Flughafen wieder flottzumachen, schrieb Jaqueline Charles vom Miami Herald, die wohl bestinformierte US-Journalistin mit haitianischen Wurzeln.
Die Leiterin des Süd-Kommandos der US-Armee, Generalin Laura Richardson, erklärte vergangene Woche in Washington öffentlich, auch „begrenztes US-Personal“ werde bei der Mission mitarbeiten. US-Präsident Biden, dessen frühere Äußerungen zu Haiti von Verachtung geprägt waren, traf sich am vergangenen Donnerstag mit dem kenianischen Präsidenten William Ruto. Biden legte Wert auf die Feststellung, dies sei kein US-Armee-Einsatz.
US-Außenminister Blinken sagte mit Blick auf die Widerstände des US-Kongresses: „Ich weiß, dass manche nicht wollen, dass die USA weiter die Rolle des Weltpolizisten spielen.“ Jetzt habe man Kenia und eine Reihe anderer Staaten, die bereit wären, einzuspringen. „Aber sie brauchen unsere Unterstützung“, flehte der Außenminister den Kongress an.
Blockade im US-Kongress, Opposition in Kenia
Gemessen an den politischen Aktivitäten der US-Regierung ist Haiti eine fast ebenso bedeutende Krise wie die Ukraine oder Gaza. Und doch will vorerst nichts gelingen. Die in Haiti weilenden kenianischen Polizisten, das Vorauskommando, das die Mission vorbereiten und prüfen sollte, ob die Voraussetzungen für ihren Beginn gegeben sind, ist am Sonntag wieder zurückgeflogen. Das ist bitter für die US-Außenpolitik.
Denn dass die USA den Einsatz in Haiti von Beginn an geplant haben und koordinieren, die Mission zumindest theoretisch weitestgehend finanzieren und auch die Ausbildung der kenianischen Sondereinheiten seit Monaten durchführen, wirft die Frage auf, ob das Reden von einer Kenia-geführten Mission nicht Camouflage ist. So munkelt man laut Miami Herald im US-Kongress, dass es sich in Wahrheit um eine „US-geführte Mission mit multiplen Akteuren“ handle.
Warum verzögert sich der Einsatz, wenn er nicht sogar gänzlich zu scheitern droht? Die Biden-Regierung hat beim Kongress 300 Millionen US-Dollar für die Mission beantragt, allerdings ist bislang fast nichts bewilligt worden. Die Republikaner stellen sich aus Prinzip quer. Die UNO versucht, internationale Geber zu finden. Es kamen aber nur zehn Millionen zusammen.
Aber nicht nur der US-Kongress macht Schwierigkeiten. Die kenianische Opposition hat Klage bei Gericht eingereicht mit der Begründung, die Polizisten würden in Kenia gebraucht. Bis Juni soll das Gericht entscheiden. Die Mission sei eine Todesfalle, sagt die kenianische Juristin und Parlamentsmitarbeiterin Millie Odhiambo. Schon vor Monaten hatte Präsident Ruto zudem erklärt, die Mission könne nur stattfinden, wenn ihre Finanzierung gesichert sei.
Politische Führung in Haiti bleibt chaotisch
Doch das sind noch nicht alle Hindernisse, die die Kenianer zum Zweifeln gebracht haben dürften. Der auf Initiative der USA und der karibischen Staatengemeinschaft gegründete haitianische Präsidialrat, der legale Strukturen für den internationalen Einsatz schaffen und vor allen Dingen für Wahlen sorgen sollte, ist – kaum eingerichtet – zum Kampffeld um die Macht im Land ohne Staat geworden. Aus sieben Parteigruppierungen zusammengesetzt, hat sich ein Vierergrüppchen gebildet, das im Alleingang die Ministerposten verteilen wollte. Das kann man einen Putsch nennen.
Diese Vierergruppe, schreibt der haitianische Menschenrechtler Pierre Espérance, gehöre zu der Mafia, die vor allen Dingen den Status quo erhalten wolle. Die USA haben interveniert und nun sind Mehrheitsbeschlüsse nur bei einer Quote von fünf gegen zwei möglich. Für die Übergangspräsidentschaft haben sich 1.000 Bewerber eingetragen. Von einer funktionsfähigen Regierung, die die Mission legitimiert, kann also noch lange nicht die Rede sein.
Zwischenzeitlich schien es um die Gangs etwas ruhiger geworden zu sein. Doch jetzt, kurz vor dem nun ins Wasser gefallenen Beginn der Mission, zeigten sie wieder Stärke. Ein Pärchen, das als US-Missionare unterwegs war, wurde umgebracht; eine Polizeistation in Gressier, ein wichtiger Knotenpunkt auf dem Weg in den Süden, wurde gestürmt und niedergebrannt; und weitere 10.000 Menschen wurden von dort in die Flucht getrieben, wie schon 350.000 im vergangenen Jahr.
Auch ganz neue Armeewaffen aus Belgien sind an den von den Gangs eingerichteten Zahlstationen aufgetaucht. Sollten die Kenianer kommen, wird es kein Spaziergang.
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