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Haftbefehl des IStGHKommt Putin vor Gericht?

Der Internationale Strafgerichtshof hat Haftbefehl gegen Putin erlassen. Doch bislang wurde in Den Haag noch nie ein Präsident im Amt verurteilt.

Wladimir Putin Foto: Gavriil Grigorov/Sputnik/ap/dpa

Berlin taz | Am 17. März hat der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag Haftbefehl gegen Russlands Präsidenten Wladimir Putin und seine Kinderrechtsbeauftragte Maria Lwowa-Belowa erlassen. Vorgeworfen wird ihnen die Deportation von Kindern sowie „Bevölkerungstransfer“ aus der Ukraine nach Russland.

Gemäß Artikel 8 des Römischen Statuts, das die Arbeit des IStGH regelt, gilt dies als ein Kriegsverbrechen, für das das Weltgericht zuständig ist. Im Wortlaut ist von „rechtswidriger Vertreibung oder Überführung“ die Rede sowie von „Vertreibung oder Überführung der Gesamtheit oder eines Teils der Bevölkerung des besetzten Gebiets innerhalb desselben oder aus diesem Gebiet“.

Die beiden Gesuchten hätten, so der IStGH, diese Verbrechen gemäß Artikel 25 des Römischen Statuts „selbst, gemeinschaftlich mit einem anderen oder durch einen anderen“ begangen. Putin wird darüber hinaus „Vorgesetztenverantwortung“ durch Unterlassen zur Last gelegt, gemäß einer Klausel von Artikel 28 über „Verbrechen, die von Untergebenen unter seiner tatsächlichen Führungsgewalt und Kontrolle als Folge seines Versäumnisses begangen wurden, eine ordnungsgemäße Kontrolle über diese Untergebenen auszuüben“.

Es geht also um die Duldung von Verbrechen, die er hätte verhindern können.

Ohne die Begriffe der Vorgesetztenverantwortung sowie der gemeinschaftlich begangenen Straftat, genannt „Joint Criminal Enterprise“, wären internationale Kriegsverbrecherprozesse gar nicht möglich. Denn vor internationale Gerichte kommen in der Regel nie direkte Täter, also einfache Soldaten. Das Völkerstrafrecht setzt in der Tradition der Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse ganz oben an, bei den Verantwortungsträgern, die Verbrechen planen und anordnen.

Doch beim Versuch, diese „großen Fische“ zu packen, ist der IStGH schon mehrmals gescheitert. Sowohl Laurent Gbagbo, ehemals Präsident der Elfenbeinküste, als auch Jean-Pierre Bemba, ehemals Rebellenchef und später Vizepräsident in der Demokratischen Republik Kongo, verließen Den Haag als freie Männer. Zwar waren die Verbrechen, für die sie laut Anklage Verantwortung trugen, unstrittig – aber ihre strafrechtliche Verantwortung dafür, ob durch Anordnung oder durch Unterlassen einer gegenteiligen Anordnung, war letztlich nicht nachweisbar.

Liberias ehemaliger Präsident Charles Taylor wurde vor einem Sondertribunal zu Sierra Leone zwar schuldig gesprochen, aber lediglich wegen „Beihilfe“ zu Kriegsverbrechen.

Warum nicht Butscha?

Noch nie ist es gelungen, einen amtierenden oder ehemaligen Staatschef wegen der unter seiner Ägide verübten Verbrechen nach den Prinzipien des Völkerstrafrechts zu verurteilen – auch nicht in Ruanda, Kambodscha oder Jugoslawien.

Das ist wohl auch ein Grund, wieso der Haftbefehl gegen Putin zunächst auf ein Kriegsverbrechen beschränkt bleibt, das auf den ersten Blick wenig zentral erscheint: die Kinderverschleppung und nicht etwa das Massaker in Butscha. Die Kinderverschleppung aus der Ukraine fußt auf präsidialen Dekreten und Anordnungen, so ist eine Zuordnung zum russischen Präsidenten und zu seiner Kinderbeauftragten offenbar möglich.

Bei Verbrechen des russischen Militärs wie in Butscha müssten hingegen konkrete Taten auf konkrete Befehle zurückgeführt werden, um strafrechtliche Verantwortung festzustellen. Zivilen Amtsträgern wie Putin militärische Befehle zuzuordnen, gelingt meist nicht.

Um weiterzugehen, müsste man Putin den Krieg als solchen vorwerfen. Hierauf zielen Überlegungen, Putin wegen Völkermords anzuklagen oder ein Sondertribunal zum Angriffskrieg einzurichten. Behauptet der Kreml nicht gern, die „Spezialoperation“ in der Ukraine verlaufe „nach Plan“?

Das Schuldbekenntnis existiert also. Fehlt nur die Anklage. Und natürlich der Beklagte. Den Haag hätte seinen Haftbefehl gegen Putin wohl nie öffentlich gemacht, wenn es ernsthaft damit rechnete, seiner habhaft werden zu können.

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6 Kommentare

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  • Eine Schwäche wird der ISTGH niemals los:



    Er ist in der Rechtspraxis ein rassistisches Herrschaftsinstrument des Westens.



    Betroffen sind im Wesentlichen: Menschen aus Afrika und Menschen, die russisch eingeordnet werden (also Serben und Russen).



    Wer nicht gesucht wird: Die Verantwortlichen für den Drohnenkrieg und die damit billigend in Kauf genommen zivilen Toten. Die Kriegsverbrecher Bush und Blair, die unter Lügen im Irak einmarschierten usw.



    Und so lange dies so ist, ist klar, warum sich nur die USA + Verbündete an Sanktionen beteiligen.



    Und jetzt warte ich auf alle Heuchler, die "Whataboutism" rufen.

    • @Kartöfellchen:

      Biden möchte auch keine Informationen über ihm bekannte russische Kriegsverbrechen an den ISTGH weitergeben. Da spielt die Angst mit.

    • @Kartöfellchen:

      Weder Irak noch USA sind Mitglieder des Gerichts deswegen ist der Gerichtshof nicht zuständig, und der Drohnenkrieg ist brutal aber er findet zumeist mit Erlaubnis der lokalen Regierungen statt und ist letztlich Krieg man greift militärische Ziele an, dabei soll man Zivile Opfer vermeiden aber es macht es noch nicht zu einem Kriegsverbrechen wenn es dazu kommt. Putin wurde ja auch wegen Verschleppung von Kindern angeklagt und nicht wegen der Zerstörung von Mariupol.

      • @Machiavelli:

        Tja. Und Russland ist auch nicht Mitglied. Und nun?

        • @resto:

          Die Ukraine hat die Zuständigkeit für Verbrechen auf dem eigenen Gebiet anerkannt.

  • Wer sein eigenes Leben so über das Leben anderer Meschen stellt, zeigt ein enormes Sozialisierungsdefizit und gehört, für die vielen Opfer, so schnell vor Gericht und aus seinem Amt, wie es geht. Hier sind alle Staaten in der Verantwortung.



    Solche Dispoten sind für unserr Weltgemeinschhaft nicht tragbar.