Hafenprivatisierung in Hamburg: Kritik, die ins Leere geht
Kurz vor der Entscheidung über den Teilverkauf des Hamburger Hafens kritisiert die SPD-Basis ihre Spitze. Inhaltlich richtig, kommt das viel zu spät.
N a, da sind sie ja aufgewacht! Nun gibt es in der Hamburger SPD doch noch ein Aufmucken gegen den umstrittenen Hafen-Deal mit der Reederei MSC: In einem offenen Brief fordern mehrere Dutzend Sozis von ihren Genoss:innen, die in der Hamburgischen Bürgerschaft sitzen, dass die den Teilverkauf des Hafens bei den anstehenden Abstimmungen ablehnen mögen.
Der Hafen als Teil der kritischen Infrastruktur gehöre unter demokratische Kontrolle und habe den wirtschaftlichen Interessen aller zu dienen und nicht dem Gewinninteresse einzelner Konzerne, mahnen die Genoss:innen von der Basis. Ja, es gehe jetzt um „die Verwirklichung sozialdemokratischer Grundsätze und eine historische Entscheidung für die Stadt“.
Das sind natürlich angemessen große Worte für die anstehende Entscheidung: Die Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA) betreibt drei der vier Terminals im größten deutschen Hafen und ist bislang, trotz einer ersten Teilprivatisierung, de facto unter ausschließlich städtischer Kontrolle. Diese Macht will sich der SPD-geführte Senat künftig mit der weltgrößten Container-Reederei MSC teilen. Sie soll 49,9 Prozent der Anteile bekommen, ordentlich Kapital und Containerladung einbringen, um so den kriselnden Hafenstandort Hamburg zu retten. Mindestens 40 Jahre lang soll der Vertrag laufen.
Die im offenen Brief geäußerte Kritik ist inhaltlich natürlich völlig richtig: Etwa, dass die bislang ziemlich guten Arbeitsbedingungen im Hafen künftig schlechter werden und dass MSC als deutlich finanzkräftigerer Partner in dieser Beziehung einzig auf eigene Vorteile schauen wird.
Nur eine Simulation von Politik
Nur: Wie ernst kann so ein Aufbegehren gemeint sein, wenn es dafür ein knappes Jahr braucht? Ganze elfeinhalb Monate ist die Ankündigung des Deals her. Sicher, überrumpelt wurden von der eilig am frühen Morgen einberufenen Pressekonferenz damals alle, als da plötzlich die drei führenden Hamburger Genoss:innen – Bürgermeister Peter Tschentscher, Wirtschaftssenatorin und Landes-SPD-Chefin Melanie Leonhard sowie Finanzsenator Andreas Dressel – mit dem MSC-Vorstandschef Søren Toft in der Mitte standen und die zuvor klammheimlich ausgehandelte Kooperation präsentierten.
Die Hafenarbeiter:innen hatten schnell kapiert, dass sie etwas dagegen unternehmen müssen – es folgten Demonstrationen und sogar wilde Streiks.
Dass nicht unmittelbar Beteiligte ein wenig länger brauchen, um sich ein Urteil zu bilden, ist dagegen zwar nachvollziehbar. Nur gab es seither zig Gelegenheiten, sich in den Diskurs einzumischen – es gab öffentliche Anhörungen, es gab Parlamentsdebatten, es gab Zeitfenster, um für einen Meinungsumschwung zu sorgen. All diese Gelegenheiten wurden von den SPD-Kritiker:innen schweigend ausgelassen. Jetzt ist es hingegen zu spät, denn außer den zwei, drei SPD-Abgeordneten, die ihre Skepsis am Plan von Tschentscher, Leonhard und Dressel schon geäußert hatten, wird niemand mehr umfallen.
Weil also die nun organisierte SPD-interne Kritik erst aufkam, da es zu spät ist, drängt sich der Eindruck auf: Dieser offene Brief ist – leider – nur eine Simulation von Politik. Man wollte die Sache halt noch mal kritisieren und alle mitbekommen lassen, dass es in der SPD noch Leute auf der Seite der (Hafen-)Arbeiter:innen gibt. Doch den ernsthaften Willen, die nötigen Entscheider:innen davon zu überzeugen, gibt es nicht.
Jetzt, da die in wenigen Tagen anstehende Entscheidung zur weiteren Privatisierung des Hafens praktisch schon gefallen ist, ist dieser offene Brief auch keine Konfrontation mit der eigenen Parteispitze mehr, eben weil er keine Reaktion erfordert. Die Chance wurde vertan – mit negativen Folgen für mindestens die nächsten 40 Jahre.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind