Häusliche Gewalt: Frauenhäusern platzt der Kragen
In Niedersachsen protestieren Frauenhäuser und Beratungsstellen: Ihre Finanzierung bleibt prekär – dabei steigt der Bedarf.
In diesen Tagen geschehen zwei Dinge, die ihre Arbeit betreffen: Zum einen ist das Sozialministerium dabei, die Finanzierungsrichtlinie zu überarbeiten, zum anderen stehen die Haushaltsberatungen an.
In beiden Diskussionen fühlen sich die Praktiker*innen gegängelt und über den Tisch gezogen – und das, obwohl in den vergangenen Monaten immer wieder berichtet wurde, wie die Pandemie zu einem Anstieg häuslicher- und sexualisierter Gewalt gegen Frauen und Kinder beigetragen hat.
Die Ausgangslage ist kompliziert. Das liegt daran, dass sich seit Jahrzehnten Bund, Land und Kommunen die Verantwortung hin und her schieben und die Finanzierung an jedem Ort anders aussieht.
Und nicht nur das: „Eines unserer zentralen Probleme ist, dass dies sowohl beim Land als auch bei den Kommunen immer noch als freiwillige Leistung gilt“, erläutert Marion Lenz, Sprecherin der Landesarbeitsgemeinschaft der Gleichstellungsbeauftragten. „Dadurch sind wir ständig von Kürzungen bedroht.“ Spätestens seit der Unterzeichnung der Istanbul-Konvention müsse das eine staatliche Pflichtaufgabe sein.
Sollen die Frauen nach 3 Monaten vor die Tür gesetzt werden?
Eigentlich, sagt Lenz, sei es ja schon bezeichnend, dass man hier nun auch wieder mit der Sozialministerin spreche und nicht mit der Justizministerin. Sonst gehöre der Schutz von Gewaltopfern ja eigentlich in ihr Ressort, aber häusliche Gewalt werde eben immer noch als privates, bestenfalls soziales Problem begriffen – anders als „richtige“ Kriminalität.
Es geht den Frauen hier aber nicht nur um Grundsatzkritik. Der Gesamtetat für diesen Bereich hat sich seit 2017 nicht wesentlich geändert. Und während Sozialministerin Daniela Behrens (SPD) darauf verweist, dass sie immerhin Kürzungsbegehren abgewehrt hat und den Etat gehalten hat, verweisen die betroffenen Praktiker*innen darauf, dass dies de facto eben auf Kürzungen hinausläuft.
Die Kostensteigerungen bei Lohn, Bau und Lebenshaltungskosten werden nämlich so nicht aufgefangen. Gleichzeitig sei jedoch nicht nur der Bedarf gestiegen, sondern auch die Anzahl der Plätze, weil Kommunen dafür Fördermittel vom Bund beantragen konnten.
Auch bei den Details der überarbeiteten Richtlinie gibt es aus Sicht der Berater*innen einiges zu beanstanden: So sieht das Papier beispielsweise eine Begrenzung des Frauenhausaufenthalts auf drei Monate vor.
In dieser Zeit, argumentieren die Frauenhäuser, könne man vielleicht ein paar Anträge ausfüllen und den Lebensunterhalt absichern, aber eine neue Wohnung zu finden, werde in Ballungsräumen schon schwierig. Von einer soliden psychosozialen Betreuung und Stabilisierung der Frauen und ihrer häufig traumatisierten Kinder könne da gar keine Rede sein.
Das Sozialministerium argumentiert, es handele sich lediglich um eine Soll-Bestimmung, letztlich entscheide das Frauenhaus. Niemand werde vor die Tür gesetzt und auch finanziell habe eine Überschreitung keine Konsequenzen. Warum diese Bestimmung dann überhaupt sein müsse, fragen die Aktivist*innen misstrauisch. Nun ja, man habe eben signalisieren wollen, dass Frauenhäuser eine Einrichtung zur Akutversorgung und keine Dauerlösung sein sollen, lautet die Antwort.
Hoffen auf den großen Wurf
Einige argwöhnen, dass diese Regelungen vor allem die autonomen Frauenhäuser treffen soll. Dort ist die Verweildauer oft länger, weil das dem Konzept von Selbstbestimmtheit entspricht. Mit dem angestrebten Personalschlüssel von einer Vollzeitkraft für acht Frauen haben aber auch andere ein Problem, denn häufig haben diese Frauen ja auch noch mehrere Kinder, die ebenfalls betreut werden müssen.
Der Entwurf der Richtlinie gehe jetzt erst in die Beratungen, versucht Sozialministerin Daniela Behrens (SPD) ihre Kritiker*innen zu beschwichtigen. Auch die Interessenverbände hätten da etwas zu sagen.
Im Übrigen setze sie große Hoffnungen auf die nächsthöhere Ebene. Bund und Länder haben sich im Frühjahr darauf geeinigt, dass es ein eigenes Gesetz geben soll, in dem der Rechtsanspruch auf einen Frauenhausplatz festgelegt wird und mit dem dann auch die Finanzierung neu geregelt werden müsste. Das muss die kommende Bundesregierung dann allerdings erst einmal umsetzen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Prognose zu Zielen für Verkehrswende
2030 werden vier Millionen E-Autos fehlen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Partei stellt Wahlprogramm vor
Linke will Lebenshaltungskosten für viele senken
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen