Hackerin über die Branche: „Ich versuche, eine Frau als Vorgesetzte zu haben“
Lilith Wittmann deckt Sicherheitslücken bei Behörden und Firmen auf. Ein Gespräch über Spaß beim Hacken, ihre Motivation und Männer in IT-Berufen.
taz: Wenn dich jemand auf einer Party fragt, was du machst – was sagst du dann, Lilith?
Lilith Wittmann: Wenn die Leute mich gar nicht kennen, versuche ich eher einen Bogen um das Thema zu machen. Dann sage ich, dass ich mich damit beschäftige, wie man digitale Ökosysteme designt. Das stimmt im weitesten Sinne auch. Dann ist das Thema glücklicherweise meist beendet.
30, ist Softwareentwicklerin und IT-Expertin. Ihre Recherchen, zuletzt unter anderem zur Schufa und zu Gefängnissen, veröffentlicht sie auf ihrem Blog.
taz: Wenn du dich als Hackerin vorstellen würdest, bekommen die Leute vielleicht Angst, dass du sie durchleuchten könntest?
Wittmann: Ja, genau solche Sachen kommen dann. Auch wenn ich in einem Café bin und jemand fragt mich, was ich da am Laptop mache, dann sage ich nicht, dass ich gerade was hacke.
taz: Macht dir Hacken Spaß? Es sieht jedenfalls so aus, wenn man Videos anschaut, in denen du über deinen Aktivismus sprichst.
Wittmann: Meine Vorträge komprimieren monatelange Recherchen – und das möglichst lustig, schließlich will ich die Leute für Themen interessieren, von denen sie noch nie gehört haben. Der Teil davor, das Hacken, ist eher langweilig. An manchen Tagen finde ich nichts oder stelle nur 100 Informationsfreiheitsgesetz-Anfragen. Einen Adrenalinrausch habe ich, wenn ich wochenlang darüber gegrübelt habe, wie ich Daten aus einem System befreien kann und dann klappt das. Danach beginnt die eigentliche Arbeit: Beweise sichern, Anbietern Bescheid sagen, einen Report schreiben, Datenschutzbehörden informieren, mit meinem Anwalt und teilweise mit Medien reden.
taz: Auf welche Recherche bist du besonders stolz?
Wittmann: Darauf, drei geheime Außendienststellen des Verfassungsschutzes enttarnt zu haben. Ich beschäftige mich häufig mit Institutionen unserer Gesellschaft, die mir Unbehagen machen: die Schufa, die Knastindustrie oder eben den Verfassungsschutz.
taz: Wie bist du auf die Recherche gekommen?
Wittmann: Ich wollte eigentlich per maschinellem Lernen, also mithilfe einer künstlichen Intelligenz, ein für alle lesbares Organigramm der Bundesverwaltung bauen. Niemand hat einen Überblick, welche Bundesbehörden es gibt und wie die strukturiert sind. Das zu recherchieren dauert Wochen. Das habe ich gemacht und angefangen, öffentlich zugängliche Verzeichnisse der Bundesverwaltung durchzugehen. Da drin war eine Behörde, die hieß Bundesservice Telekommunikation. Ich beschäftige mich viel mit der Verwaltung und hätte von dieser Behörde schon mal gehört haben müssen. Also bin ich an den Ort gefahren, wo das sein sollte: Da stand Bundesinnenministerium an der Tür.
taz: Und dann?
Wittmann: Dann habe ich andere öffentliche Register abgefragt, wie etwa das, wo alle IP-Adressen gespeichert sind. Ich habe dann immer mehr Verbindungen ziehen können und konnte am Ende nachweisen, dass Post an das BMI Treptow am Ende beim Bundesverfassungsschutz landet. Ich habe denen einen Airtag, ein kleines Ortungsgerät, geschickt, mit dem ich die Post nachverfolgen konnte. Insgesamt konnte ich nachweisen, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz an insgesamt vier unterschiedlichen Adressen in Berlin Büros besitzt, die mit unterschiedlichen Behördennamen gedeckt waren. Darauf bin ich stolz.
taz: Man könnte das auch problematisch finden, weil der Verfassungsschutz uns ja schützen soll und du seine Arbeit gefährdet hast.
Wittmann: Wir wissen im Grunde nicht, wie sehr der Verfassungsschutz uns schützt. Er ist darüber nicht rechenschaftspflichtig. Aus seinen jährlichen Berichten schließe ich, dass die Zivilgesellschaft gerade gegen rechts eine deutlich bessere Arbeit macht. Selbst wenn der Verfassungsschutz Tausende Anschläge verhindert hätte, kann man noch immer fragen, ob es richtig ist, dass ein Geheimdienst das tut statt eine Polizei mit gewissen Rechenschaftspflichten.
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taz: Wo kommt deine Liebe zur Bundesverwaltung her?
Wittmann: Am Ende des Tages müssen wir uns fragen, ob wir in einer Gesellschaft leben wollen, in der die Verwaltung nicht funktioniert. Die Verwaltung ist aus meiner Sicht oft interessanter als die Politik, denn hier wird mit den Gesetzen gearbeitet. Viele schauen nicht hin, deshalb mache ich das. Ich glaube auch nicht, dass Privatisierung da irgendwas besser macht; wir brauchen einen starken Staat. Heutzutage bedeutet das, dass wir Dinge automatisieren oder digitalisieren sollten, aber dabei auch aufpassen, dass keine großen Fehler gemacht werden. Wenn Fehler passieren, betrifft das viele Menschen. Daher ist es wichtig, der Verwaltung auf die Finger zu schauen und sie nach Informationen zu fragen, bis es nervt.
taz: Brauchen wir ein Digitalisierungsministerium?
Wittmann: Ich halte überhaupt gar nichts davon zu sagen: Wir haben einen Ort für die Schienen, einen für die Bildung und jetzt noch einen Ort für das Digitale. Am Ende des Tages ist das ein Querschnittsthema und betrifft alle. Meine Kernforderung ist seit vielen Jahren, dass sich ein Teil der Verwaltung permanent mit der eigenen Digitalisierung beschäftigt. Aktuell haben die meisten, die in den Ministerien arbeiten, einen Background in Jura oder Verwaltungswissenschaften – Digitalwissen kaufen sie als externe Beratung ein. Jedes einzelne Referat braucht aber auch Menschen, die sich mit Technik auskennen.
taz: Dann braucht es eine ITler-Quote?
Wittmann: Ja, warum nicht? Mindestens 10 Prozent der Menschen sollten irgendeine Form von IT-Background haben – das wäre auf jeden Fall eine bessere Idee als ein Digitalministerium mit lauter Juristen.
taz: Du könntest die Verwaltung ja auch beraten, anstatt ihre Anwendungen zu hacken?
Wittmann: Wenn ich in Beratungen sage, dass ein System unsicher ist, sagen sie in der Regel: Da wurde noch nicht genug geforscht oder man muss auch mal Risiken eingehen. Also muss ich denen beweisen, dass sie ein Problem haben – und dann hören sie zu.
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taz: Was ist der eine Job, den du unbedingt einmal machen willst?
Wittmann: Ich habe Markus Richter, Beauftragter der Bundesregierung für Informationstechnik, mal damit geärgert, dass ich seinen Job machen könnte. Würde mir jemand diese Position anbieten, würde ich nicht Nein sagen. Ich möchte an diesen Themen aber eigentlich lieber wie bisher in meiner Freizeit arbeiten. Derzeit arbeite ich bei einem internationalen Konzern und hacke nur am Wochenende.
taz: Du hast mit 16 die Schule abgebrochen und eine Ausbildung zur Softwareentwicklerin gemacht.
Wittmann: Ich bin in einem Dorf in Rheinland-Pfalz groß geworden, da gab es nicht so viel Interessantes. Dann habe ich Onlinespiele gespielt, da gab es Gruppen von technikinteressierten Leuten.
taz: Hat Geschlecht eine Rolle gespielt?
Wittmann: Das war das Tolle: Nein. Ich hing mit Leuten in Chats und habe über Themen diskutiert, oft ohne dass man das Alter und Geschlecht voneinander kannte. Wenn man dann Kontakt mit der ganzen Szene hat, merkt man, dass das mit der Realität nicht viel zu tun hat.
taz: Kannst du Hacking als Berufswahl für junge Frauen empfehlen?
Wittmann: Hacking ist ein schrecklicher Beruf. Man arbeitet in der Regel mit irgendwelchen Technik-Dudes, kommt dann als Externe für eine Sicherheitsprüfung dazu, hackt deren System und dann muss man diesen Männern erklären, warum sie wirklich ein Problem haben. Manchmal kostet es mehr Zeit, Männer davon zu überzeugen, dass sie ein Problem haben, als die Problemlösung selbst.
taz: Männer, die anerkennen müssen, dass eine jüngere Frau schlauer ist als sie …
Wittmann: Auch jetzt erlebe ich noch manchmal Typen, die mich nicht ernst nehmen und denken, dass sie mir erklären können, warum die Sicherheitslücke bei ihnen jetzt doch kein Problem ist. Mit 21 habe ich als Teamleiterin bei einer großen internationalen Wirtschaftsberatung angefangen und wurde oft genug behandelt wie die Praktikantin. Um dem etwas entgegenzusetzen, habe ich mich vor Beratungsterminen stundenlang in das Geschäftsmodell der Firmen eingearbeitet, denen ich zuarbeiten sollte.
taz: Also eher keine Empfehlung?
„Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es.“ Zum feministischen Kampftag am 8. März wird die wochentaz zur Frauentaz. Auf 52 Seiten blicken wir auf das gesamte Leben einer Frau – von der Geburt bis zum Tod. Auf taz.de widmen wir uns dem Thema ganze drei Tage.
Wittmann: Grundsätzlich kann man in der Branche tolle Sachen machen und da müssen diversere Menschen rein, denn wenn man Technologie baut, sollte die für alle funktionieren. Und Produktentwicklung mache ich auch bis heute gerne! Ich habe über die Jahre nur gelernt, dass ich besser versuche, eine Frau als Vorgesetzte zu haben. Dann weiß ich, es hat jemand schon weiter im Unternehmen geschafft und man ist auf jeden Fall nicht die Erste.
taz: Du wirst dieses Jahr 30 – ändert sich dann was bei dir?
Wittmann: Irgendwann muss ich mit diesem öffentlichkeitswirksamen Ding aufhören oder zumindest die Aktionsform ändern. Ich glaube, wenn ich mit 50 noch immer genau dasselbe wie jetzt mache, wäre mir das peinlich.
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