Habeck wirbt um Fachkräfte in Kenia: Gute Jobs, schlechtes Wetter
Wirtschaftsminister Habeck wirbt in Kenia um Fachkräfte für die deutsche Wirtschaft. Im Land ist das Interesse vorhanden, doch die Hürden bleiben hoch.
Wo sie am Ende arbeiten möchten? „In Europa. Da gibt es eine richtige Industrie.“ Vielleicht sogar in Deutschland? „Klar, wenn es die Gelegenheit gibt.“ Ob ihnen die deutsche Sprache keine Angst macht? Und der deutsche Winter? „We are Kenyans“, sagt der eine jetzt eben. „We are used to adapt.“ Sich anpassen an das, was gerade kommt: In Kenia sei man es gewohnt, sich durchzukämpfen.
Toolkit heißt die Organisation, welche die Werkstatt betreibt. Während die beiden angehenden Schweißer über ihre Pläne erzählen, wird ein paar Meter weiter der deutsche Wirtschaftsminister über das Gelände geführt: Robert Habeck besichtigt die Ausbildungsstätte, die durch deutsche Entwicklungsgelder mitfinanziert wird.
20 junge Schweißer*innen, die hier gelernt haben, würden mittlerweile in Frankreich arbeiten, erzählt ihm die Direktorin Jane Muigai Kamphuis. Deutschkurse gebe es in ihrer Einrichtung in Zukunft auch. „Wir haben Fachkräfte zu bieten“, sagt sie. „Wir suchen Menschen, die nach Deutschland kommen“, antwortet Habeck. Dann winkt er den Präsidenten der Berliner IHK herbei, der ihn auf seiner Reise begleitet und in Kenia gern ein Ausbildungsprojekt nach deutschen Standards aufziehen würde: Die beiden sollten mal reden.
Wer weiß: Vielleicht wird hier im Kleinen aufgehen, was sich die Ampelregierung in ihrem Koalitionsvertrag einmal vorgenommen hatte. „Deutschland braucht mehr Arbeitskräfteeinwanderung“, stand darin. Die Bilanz ist drei Jahre später zwiespältig: Für die Anerkennung ausländischer Abschlüsse sind noch immer zig Behörden bis hinunter zu den Landratsämtern zuständig, Wartezeiten sind weiterhin lang.
Einige Vorgaben hat die Koalition mit dem neuen Fachkräfteeinwanderungsgesetz aber tatsächlich gelockert. Mit mehreren Staaten, darunter Kenia, hat Deutschland zudem Migrationsabkommen geschlossen. Einerseits will die Regierung damit Abschiebungen beschleunigen, anderseits die Einwanderung von Menschen fördern, die für deutsche Arbeitgeber nützlich sind.
Das Interesse an Kenia ist groß
„Das ist nur der Rahmen. Wir müssen ihn jetzt mit Leben füllen“, sagt Habeck am Dienstag auf einer Wirtschaftskonferenz in Nairobi.Für den grünen Vizekanzler ist es wohl die letzte große Auslandsreise, bevor zu Hause der Wahlkampf in die heiße Phase geht. Sein zweitägiger Besuch ist eine von vielen deutsch-kenianischen Regierungsbegegnungen der letzten Jahre. Das Interesse an der ostafrikanischen Mittelmacht ist gestiegen – nicht nur wegen der Suche nach Arbeitskräften. Die Bundesregierung will Abhängigkeiten abbauen, die deutsche Wirtschaft bei Lieferketten wie Absatzmärkten vielfältiger machen. Für den Zugang zu den ostafrikanischen Märkten ist Kenia perfekt gelegen und außenpolitisch steht es dem Westen in vielen Punkten nahe. Russlands Angriff auf die Ukraine etwa hat die Regierung verurteilt.
Was allerdings nicht heißt, dass Kenia ein komplett unproblematischer Partner wäre. Präsident William Ruto ließ im Sommer Proteste gegen Steuererhöhungen niederschießen, 60 Menschen starben. Getragen wurden die Proteste von der Generation Z – denjenigen also, die um die Jahrtausendwende geboren wurden und besonders unzufrieden sind. Viele von ihnen sind verhältnismäßig gut ausgebildet, finden aber keine Arbeit im Land. Bei einem Altersschnitt von rund 20 Jahren wird das Problem von Jahr zu Jahr größer.
An Migrationspartnerschaften wie der mit Deutschland hat die Regierung daher ein großes Interesse. Zynisch könnte man sagen, dass Präsident Ruto die Unzufriedenen loswerden möchte. Weniger zynisch, dass er ihnen eine Perspektive schaffen will. Entsprechend stapelte er in der kenianischen Öffentlichkeit hoch, als das Abkommen mit Deutschland im September unterschrieben wurde. Er sprach von Jobs für 250.000 Kenianer*innen. Eine überaus ehrgeizige Zahl, auch wenn das Einwanderungskapitel tatsächlich der relevantere Teil des Abkommens ist. Die Maßnahmen, die Abschiebungen aus Deutschland erleichtern sollen, werden in der Praxis nicht groß ins Gewicht fallen. Zum Stichtag 31. Juli lebten in Deutschland nur 818 ausreisepflichtige Kenianer*innen, die meisten mit Duldung.
Zur Einwanderung dagegen steht zwar wenig Verpflichtendes im Abkommen, die Absichtserklärungen füllen aber immerhin mehrere Seiten. Allerlei will man prüfen: Deutschkurse auszuweiten, Lehrpläne für Berufsschulen auszutauschen, gemeinsame Konferenzen auszurichten. Im September gab es zum Auftakt eine Jobmesse. Sie war ausgebucht. Unter anderem im IT-Bereich, der Tourismusbranche und der Krankenpflege sehen Expert*innen ein Arbeitskräftepotenzial.
Es sind indes noch keine Massen an Kenianer*innen, die nach Deutschland wollen. Das Interesse steigt auf niedrigem Niveau. Laut Auswärtigem Amt, das die Visa-Stelle an der deutschen Botschaft „um rund zwei Dienstposten“ aufgestockt hat, wurden 2023 insgesamt 560 Arbeitsvisa ausgestellt. 2024 waren es bis Ende November 620. Noch sei es zu früh, um daraus eine Bewertung des Abkommens abzuleiten.
Starke Nachfrage nach Deutschkursen
Schneller reagiert hat die Nachfrage nach Deutschkursen. „Schon seit dem Besuch von Olaf Scholz im letzten Jahr gehen die Zahlen hoch“, sagt Claudia Schilling vom Goethe-Institut in Nairobi. 2023 hatten die Sprachkurse des Instituts 2.600 Teilnehmer*innen, 2024 gut 3.200. „Und als es kürzlich bei uns einen Workshop der Botschaft zum Visa-Verfahren gab, standen die Leute bis auf die Straße Schlange.“
Schilling verantwortet beim Goethe-Institut die Pre-Departure-Trainings, eine Art berufsbezogene Landeskunde. „Wir zeigen zum Beispiel Schritt für Schritt, wie die Website der Arbeitsagentur aufgebaut ist oder wie man seinen Abschluss anerkennen lässt. Aus dem Stand würden es von hier aus die wenigsten schaffen, einen Job zu finden und die Bürokratie zu meistern.“ Dem Goethe-Institut gehe es darum, kostenlos ein realistisches Bild von Deutschland zu vermitteln. „Wir rechnen auch vor, dass man in Deutschland nicht über Nacht reich wird. Wir sagen den Leuten zum Beispiel, welche Lebenshaltungskosten eine Krankenschwester in München hat“, sagt Schilling.
Es ist ein Unterschied zu manchen Angeboten privater Unternehmen, die die Vermittlung von Arbeitsstellen versprechen, dafür vorab eine Gebühr verlangen und auf ihren Internetseiten von Deutschland nur das Beste erzählen. Es sei dort viel besser als in England oder Kanada, heißt es bei einem Anbieter. Auf die Deutsche Bahn sei Verlass und beim Arzt bekomme man immer schnell einen Termin. Ob tatsächlich alle dieser Unternehmen Kontakte zu deutschen Arbeitgebern haben, ist fraglich. „Fraud!“, heißt es in den Online-Bewertungen einer Firma. Betrug.
Wie soll das Abkommen aber richtig in Gang kommen, wenn praktische Hürden für die Interessenten hoch bleiben und auf Vermittler nicht immer Verlass ist? „Wenn man einfach von Kenia nach Deutschland kommt, aus dem Flugzeug aussteigt und sagt: ‚Hi, hier bin ich!‘ – dann ist man verloren“, sagt auch Habeck während seiner Visite bei der Schweißer-Ausbildung.
Was ihm vorschwebt: Mehr deutsche Unternehmen sollen es selbst richten und vor Ort investieren. In eigenen Ausbildungszentren könnten sie Azubis auswählen, schulen und ihnen dann Arbeit in Deutschland anbieten. In etwa das also, was auch der Berliner IHK-Präsident und manche andere Unternehmer*innen aus Habecks Delegation vorhaben.
Doch selbst wenn Projekte dieser Art in größerer Zahl zustande kommen sollten: Ein anderes Problem bleibt und könnte den Run auf deutsche Arbeitsplätze weiter verhindern. Der Rechtsruck in Deutschland wird auch in Kenia wahrgenommen. „Speziell in den östlichen Bundesländern nehmen Ressentiments gegen Migration zu“, hieß es im September im Standard, einer der größten Zeitungen des Landes. Auch von rechter Hetze gegen das Migrationsabkommen war im Artikel zu lesen. Die Zahl von 250.000 Arbeitsplätzen, die Kenias Präsident in die Welt gesetzt hatte, griff die AfD sofort auf. „Ampelregierung will arbeitslose Jugend Kenias nach Deutschland holen“, schrieb sie in einer Mitteilung. Das Bundesinnenministerium dementierte hart und betonte in einem Statement: Alle Bewerber müssten die strengen gesetzlichen Vorgaben erfüllen. Die Bundesregierung selbst vermeidet es, eine konkrete Zahl als Ziel zu nennen.
„Eigentlich bräuchte es eine Willkommensbotschaft“
„Eigentlich bräuchte es eine starke Willkommensbotschaft: Die Leute müssen denken, dass sie hier gebraucht werden und wirklich gewollt sind. Getrieben von der rechten Opposition, hat die Bundesregierung aber das gegenteilige Signal gesendet“, sagt der Migrationsforscher Marcus Engler mit Blick auf die Migrationspolitik der Ampel insgesamt. Die Restriktionen der Koalition in der Asylpolitik, inklusive der Abschiebevereinbarungen in den Migrationsabkommen, seien kontraproduktiv. „Wir beobachten eine Diskursverschiebung in der Migrationsdebatte insgesamt. Bei Menschen in den Herkunftsländern kommt an: Vielleicht sind wir doch nicht so erwünscht. Wer eine Rechtsverschiebung in der Asylpolitik forciert und mit Ressentiments spielt, erschwert dadurch auch die Arbeitsmigration, trotz aller rechtlicher Liberalisierung in diesem Bereich.“
Der Rassismus in Deutschland: In Kenia spielt das bei Habeck, der in seiner Partei die Verschärfungen der Ampel durchgedrückt hat, nur einmal am Rande eine Rolle. Am Dienstag spricht er mit kenianischen Auszubildenden von Krones, einem deutschen Maschinenbauer, der bei Nairobi eine Niederlassung betreibt. „Wir müssen eine offene Gesellschaft sein“, sagt er während des Gesprächs, mehr an die mitreisenden deutschen Journalist*innen gerichtet als an die jungen Techniker*innen. Die Migration könne in Deutschland Probleme lösen.
An die Azubis gerichtet hat er dann nur eine Warnung. Er wohnt in Flensburg, wo auch Krones ein Werk unterhält. Sie sollen gerne dorthin wechseln, appelliert Habeck. Das Wetter dort sei aber echt schlecht.
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