HIV-Medikamente im Tierfutter in Uganda: Keiner isst Hühner und Schweine
Seit Jahren werden HIV-Medikamente dem Tierfutter beigemischt. Die Regierung hat das gewusst. Nun untersucht ein Ausschuss den Skandal.
Laut Ugandas HIV-Aids-Kommission sind rund 1,4 Millionen Menschen im Land HIV-positiv. Über die Hälfte nimmt täglich solche ARV-Medikamente zu sich, um das Virus im Körper zu unterdrücken. Uganda war in den 1990er Jahren eines der ersten Länder Afrikas, das das damals relative unbekannte Virus erforschen ließ und staatliche Präventionskampagnen startete.
Seitdem investieren internationale Organisationen sowie westliche Partnerländer enorme Summen über HIV-Programme des Global Fund, um Ugandas marodem Gesundheitssystem im Kampf gegen HIV/Aids unter die Arme zu greifen. So gibt es ARVs bei allen Gesundheitseinrichtungen quasi kostenlos.
Mittels Korruption könnten demnach große Mengen der ARV-Vorräte an Tierzüchter weitere gegeben worden seien, so die Vermutung der Parlamentarier in der anschließenden Fragerunde. Doch Atumanya winkt ab: Seine Behörde sei für Medikamente bei Menschen zuständig, nicht für Veterinärmedizin. Da sei das Landwirtschaftsministerium oder Ugandas Büro für Lebensmittelsicherheit gefragt. Allerdings gibt Atumanya zu, dass der regelmäßige Konsum dieser Medikamente durch Tierfleisch langfristig Resistenzen gegen die Wirkstoffe bei Menschen auslösen könne, falls sie im Falle einer HIV-Infektion auf diese Medikamente angewiesen seien.
Das Ergebnis sei alarmierend
Dieses Geständnis verursachte in Ugandas Medien einen regelrechten Aufschrei. Unterfüttert wird der ganze Skandal durch einen Bericht der staatlichen renommierten Universität Makerere, der Ende August herauskam.
Forscher der Fakultät für Öffentliche Gesundheit hatten in den vergangenen Monaten Proben in zahlreichen Metzgereien und Schlachtbetrieben in verschiedenen Bezirken des Landes aber vor allem im Speckgürtel rund um die Hauptstadt genommen, wo die meisten Hühner- und Schweinezuchtanlagen sind. Das Ergebnis sei alarmierend, so der Abschlussbericht: Über ein Drittel der getesteten Hühner- und die Hälfte der Schweinefleischproben weisen Spuren antiretroviraler Medikamente auf, die für die Behandlung von HIV/Aids eingesetzt werden.
„Der Hauptgrund für den ARV-Einsatz bei Hühnern in der Landwirtschaft ist vor allem wirtschaftlicher Natur“, heißt es in dem Bericht der Universität: Da HIV-Patienten in der Regel aufgrund der Infektion Gewicht verlieren, seien diesen ARV-Medikamenten Stoffe beigemischt, die die Gewichtsreduktion hemmen.
Mehr Anfälligkeit für Tierseuchen
Bei Masttieren könne dies zu Übergewicht führen und damit den Profit erhöhen, so die Forscher: Durch die zunehmende Industrialisierung der Landwirtschaft als Folge von Ugandas Entwicklungsplan entstehen immer mehr große Zucht- und Mastbetriebe, die letztlich für Tierseuchen wie Geflügel- oder Schweinepest anfällig werden. Auch der Masseneinsatz von Antibiotika ist in diesen Zuchtanlagen mittlerweile Standard geworden.
Ugandas Verband der Hühnerzüchter weist nun alle Verantwortung weit von sich: „Unsere Verbandsmitglieder (…) befolgen strenge Richtlinien und Vorschriften, um sicherzustellen, dass unser Geflügel und unsere Produkte sicher und gesund sind“, heißt es in einer Presserklärung. „Der Missbrauch von ARVS verstößt nicht nur gegen diese Richtlinien, sondern beeinträchtigt auch die wichtige Rolle, die diese Medikamente bei der Behandlung von HIV/Aids-Patienten spielen“, stellt der Verband klar.
Ugandas Parlament hat nun einen Untersuchungsausschuss einberufen, der zahlreiche Wissenschaftler einlud, zu den Folgen für Menschen Stellung zu nehmen. Diese sind sich allerdings uneinig: Doktor Hussein Oria von der Fakultät für Pharmazie an der Makerere Universität stellte klar: Der Stoffwechsel von Schweinen könne diese Medikamente fast gar nicht selbst abbauen.
Ugandas Präsident verzichtet auf das Fleisch
Dies bedeute: Die Wirkstoffe seien beim Fleischkonsum also fast 100-prozentig erhalten und würden dann erst im menschlichen Körper abgebaut. Dies führe bei Menschen langfristig eindeutig zu Resistenzen. Doktor Herbert Luswata, Vorsitzender des Medizinerverbandes, argumentierte gegenüber den Abgeordneten allerdings, dass die nicht verstoffwechselten Wirkstoffe vom Körper direkt wieder ausgeschieden würden und deswegen nur maximal 24 Stunden nachweisbar seien, also auch keine Spätfolgen hätten.
Die Regierung kündigte nun weitere Untersuchungen an. Ugandas Präsident Yoweri Museveni, afrikaweit ein großer Verfechter der Industrialisierung der Landwirtschaft als Entwicklungsmotor des Kontinents, merkte in seiner jüngsten Rede an die Nation an: Er esse weder Hühnchen noch Schweinefleisch, dies mache Menschen „instabil“.
Als das Virus in den 1980er Jahren in Uganda zum ersten mal als Seuche nachgewiesen werden konnte, waren bis zu 30 Prozent der Bevölkerung HIV-positiv. In den 1990er Jahren sank es auf 18 Prozent und weiter auf gerade einmal rund 6 Prozent im Jahr 2006. Seitdem steigt die Ansteckungsrate wieder, vermutlich auch durch die kostenlose Verfügbarkeit von ARV-Medizin, die ein normales Leben nun fast wieder möglich macht. Die Rate liegt derzeit bei 7,3 Prozent. Ugandas Virenforscher testen derzeit einen Impfstoff gegen das HI-Virus.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
Berliner Kultur von Kürzungen bedroht
Was wird aus Berlin, wenn der kulturelle Humus vertrocknet?
Argentiniens Präsident Javier Milei
Schnell zum Italiener gemacht
Bundestagswahlkampf der Berliner Grünen
Vorwürfe gegen Parlamentarier