Gutachten im Auftrag der Linken: Belehrung für Geisel
Regelmäßig dringt die Polizei ohne Richterbeschluss in Flüchtlingsheime ein, um abzuschieben. Ein Gutachten nährt Zweifel an der Rechtmäßigkeit.
Braucht die Polizei einen richterlichen Durchsuchungsbeschluss, wenn sie abgelehnte Asylbewerber aus ihrer Wohnung oder ihrem Zimmer im Flüchtlingsheim holen will, um sie abzuschieben? Die Frage entzweit den Senat seit Monaten. Ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes (WD) des Bundestags, das der taz exklusiv vorliegt, legt nun nahe, dass Sozialsenatorin Elke Breitenbach (Linke) mit ihrer Auffassung recht hat: dass nämlich schon das bloße „Betreten“ einer Wohnung eine „Durchsuchung“ ist, die laut Artikel 13 Grundgesetz – „Die Wohnung ist unverletzlich“ – nur mit Richterbeschluss möglich ist.
Innensenator Andreas Geisel (SPD) behauptet seit Jahr und Tag das Gegenteil: Die Polizei „durchsuche“ Wohnungen von Abzuschiebenden nicht, sie „betrete“ nur – und das gehe ohne Richter. Mit dieser Rechtsauffassung waren die ihm unterstellten Behörden Polizei und Ausländerbehörde allerdings wiederholt vor Berliner Gerichten gescheitert.
Die Sozialverwaltung von Breitenbach hatte darauf im März in einem Vermerk für die Betreiber von Flüchtlingsheimen klargestellt, ohne Durchsuchungsbeschluss müsse die Polizei nicht hereingelassen werden. Dies hatte zu einigen Anzeigen gegen Polizeibeamte sowie dem Konflikt mit Geisel geführt.
Offenkundig auf Druck der Berliner SPD war dann im Sommer in das von Kritikern sogenannte Hau-ab-Gesetz – offiziell Geordnete-Rückkehr-Gesetz – ein Passus aufgenommen worden, der die Sache im Sinne Geisels zu klären scheint. Die Polizei dürfe Wohnungen zum Zwecke der Abschiebung „betreten“ (Aufenthaltsgesetz §58, Abs. 5), eine „Durchsuchung“ bedürfe der Richteranordnung (Abs. 6 und 8).
Mittels „Rammbocks“ Zutritt verschafft
Seither fühlt sich die Innenverwaltung auf der sicheren Seite: Direkte Abschiebungen aus Flüchtlingsheimen, die wegen des Senatsstreits eine Weile ausgesetzt waren, finden wieder statt. Nach Auskunft des Flüchtlingsrats verschaffte sich die Polizei in mindestens einem Fall kürzlich sogar mittels eines „Rammbocks“ Zutritt zu einem Zimmer – offenbar eine ziemlich weite Auslegung des Begriffs „Betreten“.
Der Wissenschaftliche Dienst hält die Unterscheidung „Betreten-Durchsuchen“ im Kontext von Abschiebungen für mindestens problematisch. Die Gutachter verweisen auf die jüngere Rechtsprechung, die anderes besage. Erkennbar neigen die Parlamentsjuristen am Ende zu dem vorsichtig formulierten Schluss, dass bei Abschiebungsmaßnahmen, die von Beginn an „Suchhandlungen“ beinhalten und die auf das Finden und Ergreifen einer abzuschiebenden Person aus sind, auch ein „Betreten“ der Wohnung eine Durchsuchung im Sinne von Artikel 13 des Grundgesetzes darstellt, die eine richterliche Anordnung erfordert.
Die Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke (Linke), die das Gutachten in Auftrag gegeben hatte, kommentierte gegenüber der taz: „Für Berlin gilt: Auch nach der jüngsten Verschärfung des Aufenthaltsrechts ist es verfassungswidrig, ohne richterlichen Beschluss in Wohnungen von Geflüchteten einzudringen, um sie abzuschieben. Die eingesetzten Beamten begehen ansonsten Hausfriedensbruch, das kann ja niemand wollen.“
Andere Juristen teilen diese Einschätzung. Der Berliner Rechtsanwalt Volker Gerloff etwa schrieb bereits im Juni als Kommentar zum Hau-ab-Gesetz auf Facebook: Die Rechtsprechung sei eindeutig, auch das Betreten einer Wohnung zum Zwecke der Ergreifung einer Person sei eine vom Richtervorbehalt betroffene Durchsuchung. „Dass der Gesetzgeber versucht, die Verfassung (Art. 13 GG) per einfachem Gesetz umzudefinieren, ist streng genommen verfassungsfeindlich“, so Gerloff. Diese Darstellung sei in erster Linie nicht seine Meinung, sondern geltende Rechtslage, erklärte der Jurist auf Nachfrage.
Keine rechtlichen Voraussetzungen
Besonderes Gewicht bekommt das Gutachten des WD, weil die fraglichen Paragrafen im Aufenthaltsgesetz nicht Gegenstand der üblichen Sachverständigen-Anhörung vor Verabschiedung des Gesetzes waren – es somit für unabhängige Juristen bislang keine Gelegenheit zur Stellungnahme gab. Die umstrittenen Regelungen wurden nämlich erst nach der Anhörung von der Koalition per Änderungsantrag eingebracht.
Während der Anhörung hatte – ganz im Sinne der Berliner SPD – der Leiter der Berliner Ausländerbehörde Engelhard Mazanke bedauert, dass im geplanten Gesetz bis zu diesem Zeitpunkt keine Regelung zum Betreten und Durchsuchen von „Besitztum“ vorgesehen war. Es hätten schon mehrere Gerichte festgestellt, dass Berlin – ebenso einige andere Bundesländer mit ähnlichen Polizeigesetzen –, bislang keine rechtlichen Voraussetzungen habe, „um zum Zwecke der Rückführungsmaßnahmen zu durchsuchen. Und wir müssen auf richterliche Anordnung immer dann durchsuchen, wenn es sich um Menschen handelt, bei denen wir davon ausgehen, dass sie sich der Maßnahme widersetzen“, so Mazanke laut Protokoll.
Sprich: Der Leiter der Ausländerbehörde gibt öffentlich zu, dass seine Behörde keine rechtliche Möglichkeit hat, Richterbeschlüsse für Abschiebungen aus Wohnungen zu erwirken – und somit eigentlich seit Jahren im rechtsfreien Raum agiert. An diesem Sachverhalt hat sich mit dem neuen Gesetz offenbar nichts geändert.
Bundestagsabgeordnete Jelpke hofft daher, dass das Gutachten nun Betroffene zur Klage ermutigt – und damit vielleicht auf dem Instanzenweg die verfassungsrechtlichen Fragen geklärt werden. „Die jüngsten Verschärfungen im Asyl- und Aufenthaltsrecht sind mit heißer Nadel gestrickt. Aber auch Wortklaubereien und ein gesteigertes Abschiebungsinteresse können den Grundrechtsschutz für die Unverletzlichkeit der Wohnung nicht außer Kraft setzen.“
Derweil bleibt die hiesige Sozialverwaltung auffällig defensiv: Eigentlich hatte man nach Verabschiedung des Hau-ab-Gesetzes angekündigt, die Frage, wer recht hat, nun per juristischem Gutachten klären zu lassen. Das habe man noch nicht in Auftrag gegeben, erklärte Breitenbachs Sprecherin Regina Kneiding der taz. „Derzeit findet die Abstimmung mit der Innenverwaltung zum Umgang mit der Neuregelung zum Betreten und Durchsuchen von Unterkünften statt.“
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