Gruß an Schäuble zum Geburtstag: Der Meister des Nebels
Wolfgang Schäuble wird 75 Jahre alt und sitzt so lange im Bundestag, wie Grünen-Politiker Gerhard Schick alt ist. Ein Gastbeitrag.
Als Wolfgang Schäuble 1972 im jungen Alter von 30 Jahren das erste Mal für die Christdemokraten in den Deutschen Bundestag einzog, hatte ich gerade das Licht der Welt erblickt. Heute, im Jahre 2017, 45 Jahre später, sitzen wir uns im Deutschen Bundestag gegenüber. Nur, dass er schon meine gesamte Lebenszeit in diesem Parlament sitzt – und das nicht als Hinterbänkler, sondern als Fraktionsvorsitzender, Chef des Bundeskanzleramts, Architekt des Einigungsvertrags, Parteivorsitzender, Innenminister und nun Finanzminister. Das nötigt Respekt ab. Und es wäre vermessen, ihn zu unterschätzen in seinen überragenden strategischen, taktischen und administrativen Fähigkeiten, mit seinem enormen Netzwerk in alle relevanten Bereiche der deutschen Gesellschaft und seinem phänomenalen Gedächtnis – Chapeau!
Am 18. September 2017 wird er 75 Jahre alt. Grund genug, Wolfgang Schäubles Wirken kritisch zu würdigen. Ich tue das aus der Perspektive des grünen Finanzpolitikers, der Schäubles Arbeit als Finanzminister seit 2009 kritisch begleitet hat. Man kann die heutige Rolle von Wolfgang Schäuble nicht erfassen, ohne auf den entscheidenden Fehler der FDP 2009 und der SPD 2013 einzugehen. Beide Parteien verzichteten als Koalitionspartner der Union jeweils auf das strategisch entscheidende Finanzressort. Wolfgang Schäuble nutzte das geschickt.
Denn nur aus dem Finanzressort heraus kann ähnlich wie aus dem Kanzleramt das gesamte politische Geschehen mitgestaltet werden: Über den Haushaltsbezug besteht Einfluss auf praktisch alle innenpolitische Themen einer Regierung und durch die zentrale Rolle in der Europapolitik und beim Internationalen Währungsfonds kommt ihm auch in außenpolitischen Fragen eine wichtige Rolle zu. Ganz vehement nahm er in der Flüchtlingskrise Einfluss auf den Kurs der Union und ist deshalb vielleicht in den letzten Jahren der einzige relevante CDU-Politiker gewesen, den auch die CSU respektiert. Oft wurde er als Gegenspieler zu Angela Merkel wahrgenommen.
45 Jahre, studierte Volkswirtschaftslehre in Bamberg, Madrid und Freiburg. Er ist seit 2005 Bundestagsabgeordneter und seit 2007 finanzpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion.
Das Überraschendste an dieser Rolle ist die Ähnlichkeit des Politikstils. Wie Angela Merkel ist Wolfgang Schäuble ein Meister des Nebels: Er ist immer loyal zur Kanzlerin, und doch wurde seine Kritik an ihrer Flüchtlingspolitik allgemein bekannt. Er gilt als heftiger Kritiker der EZB-Geldpolitik, während er gleichzeitig Mario Draghi verteidigte. Er verhandelt die Finanztransaktionssteuer und steht ihr doch skeptisch gegenüber. Öffentlich nutzt er jede Möglichkeit zur Kritik an Bankmanagern und geriert sich als harter Finanzmarktregulierer, während seine Beamten in deren Interesse in Basel und Brüssel verhandeln. Er gilt als großer Europäer, hat aber zugleich wie kein anderer führender deutscher Politiker den Zusammenhalt der Währungsunion zur Disposition gestellt, als er den Griechen den Stuhl vor die Tür stellen wollte.
Kein Erfolg mit Steuerreformen
Wie der Kanzlerin gelingt es ihm, Zustimmung von beiden Seiten der politischen Debatte zu erhalten, Veränderungen mitzugestalten, aber doch als Bewahrender zu erscheinen oder umgekehrt Veränderungen auszubremsen mit Verweis auf andere, ohne die es halt leider nicht gehe. Mit diesem Politikstil gewann Wolfgang Schäuble große Beliebtheit bei Wählerinnen und Wählern. Mein Maßstab an Politik ist jedoch ein anderer. So habe ich Wolfgang Schäuble am Anfang dieser Legislaturperiode im Finanzausschuss angekündigt: „Ich werde Ihre Finanzpolitik an den Möglichkeiten messen, die Sie aufgrund der 80-prozentigen Mehrheit im Deutschen Bundestag haben.“
Doch gerade im finanzpolitischen Herzensthema der Konservativen hinterlässt Schäuble wenige Spuren. In acht Jahren hat er nicht eine wahrnehmbare Steuerreform auf den Weg gebracht: nicht bei den Gemeindefinanzen, nicht die nötige Vereinfachung der Umsatzsteuer, nicht bei der Einkommensteuer. Die Gesetze zur Erbschaftsteuer setzten nur vom Verfassungsgericht geforderte Änderungen um. Die schlecht gemachte Brennelementesteuer kassierte schließlich sogar das Bundesverfassungsgericht.
Die Finanzmarktregulierung wurde im Wesentlichen durch die europäische und internationale Ebene vorangetrieben, in der Bankenregulierung teilweise gegen heftigen deutschen Widerstand. Eine eigene Handschrift des deutschen Finanzministers ist nicht zu erkennen. Kleinere Gesetze wie das Trennbankengesetz oder die Regulierung des Hochfrequenzhandels waren reine Wahlkampfmanöver, die im Kern nichts änderten. Die zahlreichen Gesetzgebungen im Bereich Geldwäsche waren sämtlich durch europäische Regulierungen vorgegeben oder getrieben von den kritischen Bewertungen der Financial Action Task Force (FATF). Deutschland gilt unter Schäuble weiterhin als Geldwäscheparadies.
Ähnlich beim Thema Steuerhinterziehung und Steuerbetrug: Sein deutsch-schweizerisches Steuerabkommen scheiterte im Bundesrat. Erst nachdem die massiven Steuertricks in Luxemburg und Panama, die jedem Kundigen schon vorher bekannt waren, durch LuxLeaks und PanamaPapers enorme Öffentlichkeitswirkung entfalteten, ergriff Schäuble gemeinsam mit Kollegen die Initiative für den sogenannten BEPS-Prozess. Darüber spricht er gerne. Schweigsam bleibt der sonst allzeit Beredete jedoch zu den Fehlern in seinem eigenen Haus: Mit Cum/Ex und Cum/Cum fällt der größte Finanzskandal bundesdeutscher Geschichte in Schäubles Amtszeit. Dieser Milliardenschaden macht ihn zum teuersten Finanzminister, den wir je hatten.
Schäubles Schwerpunkt war seit 2010 die europäische Finanzkrise. Es ist eigentlich das einzige finanzpolitische Thema, in das er persönlich Zeit und politische Energie investiert hat, bis zu einer persönlichen Teilnahme an den Verhandlungen in Brüssel zu einem Zeitpunkt, als er sich dringend von einer Operation hätte erholen sollen. Mir ist schleierhaft, wie er das durchgestanden hat. Zwar wurde Schäuble bei seinen entscheidenden Vorstößen – gleich zu Anfang der Krise mit seinem Vorschlag eines europäischen Währungsfonds und später dann mit dem Versuch, Griechenland aus dem Euro zu drängen – von der Kanzlerin ausgebremst. Aber die Deutschen nahmen ihn in den Jahren der Eurokrisen als harten Verteidiger deutscher finanzieller Interessen wahr – und das addierte sich zu seinen Gunsten mit dem Ruf der schwarzen Null im Inland.
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