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Grundschüler fallen durch FahrradprüfungKinder, wir fahren Elterntaxi!

Friederike Gräff
Kommentar von Friederike Gräff

Immer mehr Kinder fallen in Hamburg durch die Fahrradprüfung. Kein Wunder: Ein Drittel der Grund­schü­le­r:in­nen kommt per Elterntaxi zur Schule.

Mit dem Fahrrad eine Straße entlangfahren: Immer weniger Schülerinnen und Schüler können das Foto: Marijan Murat/dpa

D urch die Fahrradprüfung fallen in Hamburg immer mehr Grund­schü­le­r:in­nen. Im Schuljahr 2018/2019 haben knapp 18 Prozent aller Schü­le­r:in­nen die Prüfung nicht bestanden, im vergangenen Schuljahr waren es bereits rund 28 Prozent, wie am Donnerstag bekannt wurde. Laut Polizei liegt es daran, dass die Kinder zunehmend untrainiert sind. Das ist auch kein Wunder: Ein Drittel der Grund­schü­le­r:in­nen kommt per Elterntaxi zur Schule.

Die Elterntaxis fahren mit der Beharrlichkeit von Schmeißfliegen vor und sie sind augenscheinlich unbeeindruckt von den hilflosen Abwehrversuchen der Schulen: Die probieren es mit Flugblättern, Bienenstempeln für die Kinder, die zu Fuß kommen – und wenn sie sehr viel Glück haben, steht zwei Tage lang ein Polizist vor der Schule, um die Elterntaxen aus dem Halteverbot zu scheuchen.

Die Absurdität der Situation ist gewaltig: Da sind die Elterntaxi-Eltern, die ihr Kind aus Sorge vor dem schlimmen Verkehr mit dem Auto bringen. Damit gefährden sie dann diejenigen Schüler:innen, die mit dem Rad oder zu Fuß kommen. Elterntaxis, das sind die tatsächlichen Gefahrenquellen vor Schulen und wer einmal zugesehen hat, wie sich Kinder zwischen ihnen zum Schuleingang schlängeln, kann nicht anders als flächendeckend Poller zu fordern. Das böse Wort nimmt aber in Hamburg niemand in den Mund.

Fragt man beim Hamburger Allgemeinen Deutschen Fahrradclub (ADFC) nach, dann herrscht bei Bezirken und der von den Grünen geführten Behörde für Verkehr und Mobilitätswende die gleiche Grabesstille, was das Thema anbelangt. Ein Schul-Radwegenetz? Unerhört in Hamburg! Dabei wäre jetzt, da nach langen Jahren so etwas wie ein Bezirksroutennetz am Horizont erscheint, der ideale Zeitpunkt dafür.

Warum probiert man nicht aus, was eine temporäre Sperrung vor den Schulen zu den Anfangs- und Schlusszeiten bewirkt? Warum vergrämt man die Schultaxis im Halteverbot nicht mit Polizeikontrollen, die den Namen verdienen? Die Antwort ist einfach. Weil es bequemer ist, die Schü­le­r:in­nen bei folgenlosen Klimaschutzprojekttagen theoretische CO2-Einsparmöglichkeiten auf Stellwände pinseln zu lassen als die Kinder praktisch in die Lage zu versetzen, sie zu verwirklichen.

Umweltfreundliche Alternativen

Die Gründe für die Untätigkeit reichen von unterbesetzten Bezirksämtern über autoaffine Innen- und Polizeibehörden bis hin zu ausgebremsten Verkehrssenatoren. Das Ergebnis ist deprimierend. Ein großer Kotau vor dem mutmaßlichen Widerstand von Mobilitätsdinosauriern, möglicherweise noch mit Verweis auf die alleinerziehende Krankenschwester, deren Kinderbringlogistik das Elterntaxi plötzlich zum Gebot sozialer Solidarität macht.

Wie wäre es, der alleinerziehenden Krankenschwester stattdessen eine umweltfreundliche Alternative anzubieten und ihr, so sie Kinderkrankenschwester ist, ein paar künftige Pa­ti­en­t:in­nen zu nehmen, durch weniger übergewichtige Kinder und weniger Atemwegserkrankungen?

In Hamburg – wie auch in anderen Städten und auf dem Land – gibt es außer den rituellen Klagen keinerlei Bereitschaft, Kindern nachhaltige Mobilität zu ermöglichen. Und wenn man die Verirrungen des Bundesverkehrsministers betrachtet, dann vermittelt es ihnen zumindest ein realistisches Bild der Lage. Dirk Lau, der Sprecher des Hamburger ADFC, erinnert sich an Aktionen von Schüler:innen, die gegen die Elterntaxen protestierten. Was für ein Armutszeugnis für alle anderen.

In Hamburg-Ottensen gibt es jetzt eine Privatinitiative namens Bicibus, bei der Eltern mit Schulkindern als Gruppe verschiedene Schulen anradeln, damit sie sicher ankommen. „Mit dem Bicibus in die Zukunft“ heißt ihr Motto und man muss ihnen Ausdauer wünschen, denn mit mehr als einer lobenden Erwähnung beim nächsten Klimaprojekttag sollten sie nicht rechnen.

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Friederike Gräff
Redakteurin taz nord
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5 Kommentare

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  • Nanu?



    Aus meinem Umfeld kenne ich es so, dass Grundschüler vor Bestehen der Fahrradprüfung überhaupt nicht mit dem Rad zur Schule fahren dürfen.

    Kommen sie dennoch mit dem Rad, kommt das Rad in Verwahrung und die Eltern können dann nicht nur Kind+Rad abholen, sondern auch einen Anschiss.

    Diesen Unfug gab's schon so zu meiner Schulzeit. Allerdings waren damals Tempo-30-Zonen unbekannt und, im Vergleich zu heute, die Unfall- und Todeszahlen im Straßenverkehr astronomisch.



    Außerdem dürfen Kinder bis 10 auf dem Gehweg fahren wenn sie wollen (und wenn es da sicherer ist).

  • Schade, dass hier überhaupt nicht erwähnt wird, wie gefährlich so mancher Schulweg inzwischen geworden ist, weil (Innen-)Städte fast überall für den Autoverkehr gemacht sind. Lebt man in einem Ort, in dem es in den letzten Jahren mehr als ein im Straßenverkehr getötetes Kind und die dazugehörenden Gedenkecken gibt, dann überlegt man schon sehr genau, ob man ein Grundschulkind aufs Rad lässt.

  • Der Schulsenator und der Innensenator nehmen das Problem mit den Elterntaxis nicht ernst.

    Hoffentlich übernehmen sie Verantwortung, wenn in dem Zusammenhang ein Kind durch ein Elterntaxi schwer verletzt oder getötet werden sollte.



    Dass Herr Tjarks als beurlaubter Lehrer und jetziger Verkehrssenator der eigenen Behörde und den anderen verantwortlichen Senatoren nicht Beine macht, spricht ebenfalls Bände.



    Zeigt, dass die Grünen in der Verkehrspolitik gerne den Weg des geringsten Widerstands gehen, statt mit Zivilgesellschaft für mehr Raum für Kinder, Fußgänger und Radfahrer zu kämpfen.

    Querparker auf Fußwegen werden erst sanktioniert, wenn durch PKW weniger als 1,50 Meter auf dem Fußweg bleibt! Eine ignorante Vorschrift, die zeigt, dass die Verkehrswende von einzelnen Behörden torpediert wird.

    Darum ist die Zivilgesellschaft so wichtig. Changing Cities kämpft für autofreie Schulstraßen vor Grundschulen und viel mehr Platz für Kinder, Fußgänger, der parkenden PKW genommen werden soll.

    Hamburg ist selbst unter den Grünen eine reine Autostadt, eine Kinderstadt liegt in ferner Zukunft.

    changing-cities.org/

    taz.de/Debatte-um-...n-Berlin/!5877256/

  • Stressfreier und Umweltbewusster ist es, seinen Nachwuchs in ein Internat zu geben...

  • Es stimmt, manche Eltern glauben tatsächlich, ihre Kinder dadurch schützen bzw. vor allem Übel bewahren zu können, dass sie sie permanent durch die Gegend chauffieren - in völliger Verkennung dessen, dass sie ihnen damit möglichst effektiv sämtliche Chancen zum Erleben von Selbstwirksamkeit und der Entwicklung von Selbstvertrauen, aktivem Wahrnehmung ihrer Umgebung und Rücksichtnahme vorenthalten - wobei sie letzteres natürlich vehement abstreiten.

    Nach meiner Erfahrung weitaus gewichtigere Faktoren, die es in aller Regel nicht einmal in Kommentare wie diesen schaffen (qed), sind jedoch:

    (1) Faulheit der Kinder: Die nerven/quengeln einfach so lange, bis die Eltern sie halt doch mit dem Auto bringen.

    (2) Faulheit der Eltern: Die sparen sich mit dem Elterntaxi per Auto die Mühe, die Kinder mit dem Rad begleiten und dann tatsächlich entweder weiter mit dem Rad zur Arbeit fahren zu müssen, oder Zeit zu "verlieren", weil sie noch einmal umkehren und das Auto für den Weg zur Arbeit holen müssten.