Grundsatzbeschluss des BVerfG: Karlsruhe erschwert Observationen
Es genügt nicht, dass eine Zielperson Straftaten begehen will, es muss Indizien für eine „konkretisierte Gefahr“ geben, so die Verfassungsrichter.
In den Polizeigesetzen der Länder sind die Befugnisse der Polizei zur Abwehr künftiger Gefahren geregelt. Die Befugnisse zur Aufklärung bereits verübter Straftaten sind in der Strafprozessordnung, einem Bundesgesetz, enthalten. Das NRW-Polizeigesetz erlaubt der Polizei unter anderem, eine Person längerfristig zu beobachten. Damit ist eine Observation von mehr als 48 Stunden am Stück oder von mehr als zwei Tagen gemeint.
Im konkreten Fall ging es um einen rechtsradikalen Skinhead, der schon zwei Mal wegen Gewalttaten verurteilt wurde, einmal wegen Totschlags, beim zweiten Mal wegen gefährlicher Körperverletzung. Ab der zweiten Haftentlassung im Juli 2015 führte die Polizei eine längerfristige Observation durch, um den Wohnsitz des Skinheads herauszufinden. So sollten weitere Körperverletzungen verhindert werden.
Tatsächlich ergab die Observation, dass der Mann durch eine Freundin vom Gefängnis abgeholt wurde und dass er dann auch bei ihr einzog. Nach dem Ende der Observation unterrichtete die Polizei die Frau, dass auch von ihr Fotos gemacht worden seien. Das hielt die Frau für rechtswidrig und klagte durch die Instanzen.
Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig ging davon aus, dass die Frau nicht eigenständig überwacht wurde, sondern nur von der Überwachung des Mannes mitbetroffen war. Es legte den Fall 2019 dem Bundesverfassungsgericht vor. Die Karlsruher Richter:innen sollten klären, ob die Rechtsgrundlage für die Überwachung des Mannes verfassungskonform ist.
„Schwerer Eingriff“
Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts unter Präsident Stephan Harbarth beanstandete nun die Regeln für die längerfristige Observation im NRW-Polizeigesetz. Verbunden mit der Befugnis, Fotos anzufertigen, liege ein „schwerer Eingriff“ in die informationelle Selbstbestimmung der jeweiligen Zielpersonen vor. Dieser Eingriff sei im Gesetz unverhältnismäßig und zu unbestimmt geregelt, weil es schon genüge, dass Zielpersonen bestimmte Straftaten „begehen wollen“.
Die Karlsruher Richter:innen verlangen als „Eingriffsschwelle“ stattdessen, dass bereits eine „konkrete Gefahr“ oder zumindest eine „konkretisierte Gefahr“ vorliegt. Von einer konkretisierten Gefahr spricht das Verfassungsgericht, wenn Tatsachen den Schluss auf ein wenigstens seiner Art nach zeitlich absehbares Geschehen zulassen und Personen beteiligt sein werden, über deren Identität zumindest so viel bekannt ist, dass die Überwachungsmaßnahme gezielt gegen sie eingesetzt und weitgehend auf sie beschränkt werden kann.
Der Düsseldorfer Landtag hat nun Zeit bis zum 31. Dezember 2025, eine Neuregelung zu schaffen. Auch bis dahin sind aber längerfristige Observationen mit Foto-Aufnahmen möglich, wenn eine konkrete oder konkretisierte Gefahr vorliegt.
Schon 2021 hatte der Landtag für Observationen einen Richtervorbehalt eingeführt. Sonst hätte das Bundesverfassungsgericht wohl auch dies gefordert.
Die Anforderungen an das NRW-Polizeigesetz gelten auch für die Polizeigesetze der anderen Bundesländer. Wie viele Länder nun nachbessern müssen, ist noch nicht bekannt. (Az.: 1 BvL 3/22)
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