Grüner Justizminister über Thüringen: „Stabilität nur mit Rot-Rot-Grün“
Dass Thüringen nun eine Regierung hat, sei nur ein erster Schritt, meint Dirk Adams. Von der CDU ist er positiv überrascht. Sie habe dazugelernt.
taz: Herr Adams, seit Mittwoch hat Thüringen eine neue Landesregierung, Sie sind Minister. Ist die Krise in Thüringen jetzt überwunden?
Dirk Adams: So schnell geht das nicht. Wir haben ja eine echte Minderheitsregierung ohne Tolerierung, mit der CDU gibt es lediglich den Stabilitätsmechanismus. Der Ministerpräsident wäre auch im dritten Wahlgang so gewählt worden. Durch die Enthaltungen der CDU spielt aber die im Vorfeld der Wahl diskutierte Auslegung der Verfassung, ob ein einzelner Kandidat auch mit mehr Nein- als Ja-Stimmen gewählt ist, keine Rolle mehr. Der Stabilitätsmechanismus hat dazu geführt, dass die Wahl von Bodo Ramelow in keiner Weise verfassungsrechtlich angreifbar ist, weil er ja mehr Ja- als Nein-Stimmen erhalten hat. Wir haben jetzt eine Regierung mit Ministern und Staatssekretären und sind damit einen großen Schritt weiter Richtung Stabilität.
Also geht die Krise weiter?
Es wird sich in jeder Plenar- und Ausschusssitzung zeigen müssen, ob der Stabilitätsmechanismus funktioniert. Der bedeutet ja nicht, dass wir viel gemeinsam tun, das haben wir ja nur für fünf Sachen festgelegt …
Darunter der Haushalt für das kommende Jahr.
Genau. Aber darüber hinaus sorgt der Stabilitätsmechanismus vor allem dafür, dass die CDU nicht ohne uns eine Mehrheit suchen wird. Darüber hinaus haben wir die CDU weiter als Opposition gegen uns.
Trauen Sie der CDU? Im drittem Wahlgang ist bereits ein Abgeordneter von der Absprache abgewichen und hat gegen Ramelow gestimmt.
Ich war in Sorge, dass es mehr sein würden, die ein solches Zeichen setzen wollen. Aber es war ja nicht entscheidend. Nach dem Ende jeden Vertrauens zu CDU und FDP am 5. Februar, als Herr Kemmerich mit den Stimmen der AfD zum Ministerpräsidenten gewählt worden ist, ist es in den vergangenen zwei Wochen gelungen, wieder Vertrauen aufzubauen. Der Mittwoch war dazu ein weiterer Schritt. Das gilt für die CDU. Die FDP hat am Mittwoch ja nur eine Gastrolle gespielt.
Und wie steht es mit Bodo Ramelow? Der hat Grüne und SPD ja über seinen letzten Move, nicht weiter vier Stimmen von der CDU im ersten Wahlgang, sondern durchgängige Enthaltung zu fordern, nicht informiert.
Es stimmt, wir sind spät informiert worden. Im ersten Moment war ich sehr erschrocken und hatte große Sorge, ob das gelingt. Aber Bodo Ramelow hat wieder einmal bewiesen, dass er das richtige Bauchgefühl hat. Er hat der CDU innerhalb unseres Stabilitätsmechanismus die Freiheit gelassen, bei den Parteibeschlüssen zu bleiben und dennoch hier für Stabilität zu sorgen. Das hat funktioniert, das gibt ihm recht. Und das war letztlich entscheidend.
Wird die Vereinbarung mit der CDU wirklich bis April kommenden Jahres halten?
51, Diplomingenieur, ist derzeit noch Fraktionsvorsitzender der Grünen im Thüringer Landtag und seit Mittwoch Minister für Migration, Justiz und Verbraucherschutz.
Das erwarte ich. Wir haben uns alle dazu verpflichtet. Und die CDU muss für ihre Klientel ja auch erst einmal wieder Vertrauen und Stabilität schaffen. Das wird sie in diesem Mechanismus halten.
Den Grünen würde bei schnellen Neuwahlen drohen, an der Fünf-Prozent-Hürde zu scheitern – und möglicherweise würde es dann auch für Rot-Rot reichen. Insofern ist es auch in Ihrem Interesse, dass das Ganze hält, oder?
Wir Grünen in Thüringen liegen in Umfragen und bei Wahlen seit 1990 immer um die fünf Prozent. Das ist also nichts Neues. Frühe Neuwahlen wären unabhängig davon nicht vernünftig gewesen, wir wären ja ewig nicht in eine neue Regierungsbildung gekommen. Dann wären viele Projekte und Investitionen in Thüringen liegen geblieben.
Was kann man aus diesem ganzen Debakel für kommende Wahlen in Thüringen und auch in anderen – vor allem – ostdeutschen Ländern lernen?
Das zeigt, dass es Stabilität hier nur mit Rot-Rot-Grün gibt. Eine andere Mehrheitsbildung funktioniert nicht. Diesen Punkt werden wir weiter deutlich machen. Und wichtig für uns ist natürlich auch, dass wir Grünen unsere Eigenständigkeit herausstellen. Guten ÖPNV, Hochwasserschutz, der Schutz des Waldes, der durch die Trockenheit sehr belastet und hier in Thüringen stark Emotionen verbunden ist, das gibt es nur mit uns. Dazu muss man die Grünen wählen, sonst sind wir nicht drin.
Und darüber hinaus? Kann man irgendetwas auch für die Bundespolitik ableiten?
Wir müssen uns alle klarmachen, dass die Zeit der absoluten Mehrheiten und der Zweierkoalitionen vorbei ist. Es ist viel dynamischer, manchmal auch diffus – darauf müssen wir uns alle einstellen. Situationen wie in Thüringen wird es künftig häufiger geben, und vielleicht können wir hier zeigen, dass eine Minderheitsregierung mit einer konstruktiven Opposition funktionieren kann.
Am Mittwoch ist die Wahl nach Plan abgelaufen. Trotzdem waren alle nervös, ob die AfD nicht doch noch trickst. Hat die AfD also letztlich doch einen Sieg davon getragen?
Nein, sie hat bei der Ministerpräsidentenwahl keine Rolle gespielt. Der 5. Februar hat dazu geführt, dass CDU und FDP hinzugelernt haben. Das war offensichtlich nötig. Es kommt darauf an, im Parlament sachlich zu arbeiten und darauf zu achten, dass Institutionen, der Parlamentarismus und die Demokratie nicht lächerlich gemacht werden. Das muss allen Demokraten klar sein und das ist offenbar angekommen. Die Erschütterung ging ja bis nach Berlin.
Herr Adams, zuletzt zu Ihnen: Sie hatten zunächst ausgeschlossen, Minister zu werden und gesagt, das Justizministerium müsse von einem Juristen geführt werden. Sie sind keiner, stehen jetzt aber an der Spitze des Ministeriums. Aus der eigenen Partei kam dafür scharfe Kritik. Warum der Sinneswandel?
Zu dem Zeitpunkt, als ich das ausgeschlossen habe, sah es noch so aus, als würde es einen neuen Zuschnitt der Ressorts und ein alleiniges Justizministerium geben. Dafür hätte ich nicht zur Verfügung gestanden. Jetzt gibt es weitere Themen, nämlich Migration und Verbraucherschutz. Daher nehme ich meine Verantwortung als Spitzenkandidat der vergangenen Landtagswahl ernst.
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