Grünen-Politiker über Olympia: „Bach ist weit entrückt“
In einem Jahr finden in Peking die Olympischen Winterspiele statt. Der EU-Delegierte und Grüne Reinhard Bütikofer kritisiert die Haltung des IOC.
taz: Das EU-Parlament verabschiedete im Dezember 2020 eine Resolution, die China zur Beendigung der Zwangsarbeit auffordert und die EU-Staaten zur Koordination von Protesten gegenüber China anhält. Herr Bütikofer, was hat zu der Resolution im EU-Parlament geführt?
Reinhard Bütikofer: Es gibt inzwischen eine erdrückende Vielzahl von Berichten. Zunächst waren es nur Berichte über Zwangslager, dann kamen Berichte über die Zerstörung von Moscheen, über Zwangsarbeit, über systematische Vergewaltigungen und Zwangssterilisationen. Insgesamt ist aus vielen verschiedenen Quellen dokumentiert, insbesondere auch aus chinesischen Originalquellen, dass die Führung in Peking in Xinjiang ein Polizeistaatsregime errichtet hat, wie es derzeit auf der Welt kein schlimmeres gibt. Und wenn wir uns selbst ernst nehmen, mit unseren Werten, von denen wir wollen, dass sie unsere Außenpolitik leiten, dann kann das Europäische Parlament dazu natürlich nicht schweigen.
Welche Konsequenzen hat diese Resolution?
Damit das, was wir formuliert haben, praktisch politisch zum Zug kommt, müssen die Regierungen und die Exekutive in Brüssel handeln. Es geht dabei um wirksame Maßnahmen dagegen, dass Produkte aus in China erzwungener Zwangsarbeit auf dem europäischen Markt zugelassen werden. Das Europäische Parlament will aber auch, dass endlich eine Besuchsmöglichkeit besteht, dass man ohne Überwachung durch die Behörden den Dingen in Xinjiang selbst nachgehen kann. Insbesondere die Vereinten Nationen würden das ja längst gerne tun.
Haben Sie Kontakt mit Thomas Bach aufgenommen? Der hat ja als Präsident des IOC einen sehr direkten Draht zur chinesischen Führung und hat mit den Olympischen Spielen auch etwas anzubieten, was Peking sehr interessiert. Kann er da was bewirken und sei es als Mindestes, dass Delegationen von Politikern sich frei in Xinjiang bewegen können?
Mit Thomas Bach habe ich, glaube ich, zuletzt vor mehr als 25 Jahren gesprochen. Inzwischen ist er der Welt, in der ich lebe, weit entrückt. Es sollte jetzt aber in der Tat neue Bemühungen geben, mit dem IOC und seinem Präsidenten ins Gespräch zu kommen. Denn es stellt sich praktisch die Frage, wie wir nächstes Jahr, ziemlich genau ein Jahr von heute aus gerechnet, damit umgehen werden, dass China Olympische Winterspiele organisieren will vor dem Hintergrund nicht nur der brutalen Unterdrückung in Xinjiang, sondern auch der brutalen Unterdrückung in Hongkong, des Vorgehens gegen die Mongolen oder die Tibeter und überhaupt der Rechtsstaatsverweigerung in ganz China.
Was erwarten Sie vom IOC, das ja vor allem an der Inszenierung schöner bunter Bilder von gestählten Körpern von Athletinnen und Athleten interessiert ist?
Ich glaube, das IOC ist keine Sportorganisation, sondern ein Geschäftsbetrieb, der sich der Sportler bedient. Und ich denke, wir müssen das IOC schon daran erinnern, dass es eine gesellschaftliche Verpflichtung hat wie jedes Unternehmen. Der Ausgangspunkt wäre für mich zunächst, dass ja vor 2008, als Peking die Sommerspiele austragen durfte, immerhin noch das Bemühen bestand, sich bestimmte Zugeständnisse von den Behörden machen zu lassen, zum Beispiel, was die uneingeschränkte Bewegungsfreiheit von Journalisten im ganzen Land betrifft.
Mir ist nicht bekannt, dass das IOC heute wenigstens auf den gleichen Zusagen wie vor zwölf Jahren bestehen würde. Ich würde auch gern eine kritische Debatte mit vielen Spitzenpolitikern darüber anfangen: Müsst ihr unbedingt die Staffage abgeben für die Inszenierung einer wunderschönen Sportwelt vor dem Hintergrund einer totalitären Unterdrückung? Und auch mit den Sponsoren würde ich reden wollen: Meint ihr wirklich, ihr müsst euer Geld damit verdienen, dass man die Augen schließt gegenüber diesen unerträglichen Zuständen? Müsst ihr den eigenen Namen mit einer Komplizenschaft damit besudeln?
Was erwarten Sie von Sportlerinnen und Sportlern? Der olympische Sport wird zum großen Teil mit öffentlichen Geldern finanziert, viele Athletinnen und Athleten sind bei der Bundeswehr oder der Polizei beschäftigt. Wie gut geht es zusammen, einerseits einen Eid auf das Grundgesetz zu leisten, andererseits seinen Sport unter den von Ihnen geschilderten Rahmenbedingungen auszuüben?
Ich mache die Sportlerinnen und Sportler nicht zum Angriffsziel. Ich verstehe, dass sie in einer schwierigen Situation sind. Das IOC nimmt ihnen ja einen großen Teil ihrer Meinungsfreiheit weg. Und sie stehen sicher unter einem erheblichen Druck. Ich will lieber diejenigen ansprechen, die die Möglichkeit haben zu entscheiden.
Topentscheider in diesem Fall ist IOC-Präsident Thomas Bach. Gesetzt den Fall, es gibt Gespräche mit ihm: Was erwarten Sie?
Thomas Bach hat sich in den vergangnen Jahren meines Erachtens als ein rückgratloser Freund sämtlicher Potentaten und reichen Herrscher präsentiert. Von ihm erwarte ich leider nicht sehr viel. Aber ich glaube, man kann ihm Druck machen, dass er mehr tun muss, als er möchte.
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