Olympia 2022 in der Kritik: Die Xinjiang-Frage
Der Ruf nach einem Boykott der Winterspiele von Peking wird lauter. Das brutale Vorgehen gegen Muslime in Xinjiang setzt auch Sponsoren unter Druck.
Peking taz | Sportlich hat das Reich der Mitte wenig zu erwarten: Wenn die Chinesen bei ihren ersten olympischen Winterspielen im eigenen Land nur ein Paar Medaillen abräumen würden, wäre dies bereits ein beachtlicher Erfolg. Doch die Bedeutung von Peking 2022 in genau einem Jahr reicht weit über die Skipisten und Eislaufarenen hinaus: Es geht darum, das angekratzte Prestige der zweitgrößten Volkswirtschaft mit einer gehörigen Portion „soft power“ aufzuwerten. „Nicht nur werden wir eine erfolgreiche Olympia-Extravaganza abhalten, sondern auch Winterspiele mit einzigartigen Eigenschaften“, sagte Staatschef Xi Jinping in seiner typisch blumigen Sprache während eines Inspektionsbesuchs Mitte Januar.
Doch die Vision des Generalsekretärs der Kommunistischen Partei steht auf dünnem Eis – und das nicht nur wegen der unberechenbaren Entwicklung der Coronapandemie, die dem seit einigen Monaten nahezu virusfreiem China nochmal einen Strich durch die Rechnung machen könnte. Denn im Gegensatz zu Europa wird die Bevölkerung von 1,4 Milliarden Chinesen bis zum Beginn der Olympischen Spiele noch nicht durchgeimpft sein.
Die ungleich stärkere Bedrohung ist jedoch eine politische. In vielen Ländern wird eine Boykottdebatte geführt, die in den kommenden Monaten an Fahrt gewinnen wird. Ausgang sind wenig überraschend die USA: Am letzten Amtstag der Regierung Trumps hat Washingtons ehemaliger Außenminister Mike Pompeo die Menschenrechtsverletzungen Chinas in der muslimisch geprägten Provinz Xinjiang offiziell als Genozid eingestuft.
Pompeos Einlassung wird von vielen US-Leitmedien als moralischer Auftrag interpretiert, die heimischen Athleten nicht in die Volksrepublik zu schicken. Am Mittwoch haben zudem auch 180 Gruppen chinesischer Aktivisten zu einem „diplomatischen Boykott“ der Spiele aufgerufen.
Druck auf das IOC
Der Völkermordvorwurf wird einen Dominoeffekt auslösen: Es steigt damit etwa der Druck auf Sponsoren, die Geschäfte in China betreiben – und möglicherweise in ihren Lieferketten indirekt durch Zwangsarbeit aus Xinjiang profitieren. Sie müssen mit öffentlicher Entrüstung und Sanktionen aus Washington rechnen.
Das IOC bekommt jenen Druck bereits zu spüren: Vor einer Woche wurde Thomas Bach nach einer Pressekonferenz zu seinem jüngsten Gespräch mit Xi Jinping gefragt. Ob sie auch über die Internierungslager in Xinjiang gesprochen haben? Bach riegelte ab: „Sorry“ – die Öffentlichkeit gehe das nichts an.
Die Xinjiang-Frage ist das für die chinesische Regierung wohl heikelste Thema. Wissenschaftler und Journalisten haben in den letzten Jahren aufgedeckt, dass in der westchinesischen Provinz Hunderttausende Muslime systematisch in Internierungslager weggesperrt werden. Über die politische Einordnung wird international heftig gestritten: Besonders kritische Stimmen, oftmals aus den USA, sprechen von Konzentrationslagern und ziehen Vergleiche zum Holocaust.
Am anderen Ende des Spektrums beruft sich Pekings Staatsführung auf Ausbildungszentren, in denen potenzielle Terroristen deradikalisiert werden. Xi Jinpings „Kampf gegen den Terror“ – ironischerweise inspiriert durch Amerikas Strategie nach 9/11 – hat zu einem Polizeistaat in der Region geführt, der eine ganze ethnische Minderheit unter Generalverdacht stellt.
Pekings Propagandaoffensive
Führende Politiker aus dem angelsächsischen Raum haben die Möglichkeit eines Olympiaboykotts ins Spiel gebracht: Australien, Großbritannien und Kanada. Am weitesten gehen jedoch die USA: Im März vergangenen Jahres haben ein Dutzend Senatoren eine Resolution eingereicht, die das olympische Komitee auffordert, den Standort für die Winterspiele 2022 neu auszuschreiben.
Ob ein Boykott die Menschenrechtslage in Xinjiang verbessern würde, bleibt fraglich. Der internationale Druck hat schon mal dazu geführt, dass Peking seinen Propaganda-Apparat angeworfen hat: Verstärkt posten die Staatsmedien auf sozialen Medien Kurzvideos über Xinjiang. Und am Mittwoch lud die Regierung Diplomaten zu einem Webinar namens „Xinjiang ist ein wundervolles Land“.
Leser*innenkommentare
17900 (Profil gelöscht)
Gast
Ich bin natürlich absolut für einen Boykott. Business as usual darf es nicht geben.
Ein Herr Bach ist vielleicht eine Fehlbesetzung.
Reginald Bull
Nicht nur Boykott der Spiele,nein Boykott sämtlicher Waren aus China.Wie kann man Waren aus Chins einem Kleptokraten und Massenmörderstaat kaufen.Pfui Teufel.
02881 (Profil gelöscht)
Gast
Propaganda und zweifelhafte Medienarbeit von beiden Seiten. China ist nicht in der Lage nachvollziehbar zu vermitteln was in Xinjiang vor sich geht.
Und der Westen diskreditiert seine Kritik selbst mit unseriösen (sorry to say - oft weitab aller journalistischer Standards) "Research"-Belegen und politisch-propagandistischen Statements.
Ein Dilemma was sich nur auf diplomatischen Weg lösen läßt.
danny schneider
Primär sollte das IOC erst mal die eigenen Grundprobleme angehen: Bach und die anderen der Führungsriege... das ist doch alle durchseucht von Korruption, Lobbyismus,...
Ganz ehrlich: wie sollen so Leute die "olympische Idee" vertreten wenn sie doch genau entgegengesetzt handeln.
Trabantus
Olympiaboykott?
Und der hilft den Uiguren?
Wer zu kurz schießt läuft in Gefahr, die eigenen Füße zu treffen.
17900 (Profil gelöscht)
Gast
@Trabantus Ihr Vorschlag bitte!
fly
@Trabantus Was hilft denen denn? Eine Befreiungsarmee?
Olympiaboykott ist ein medial starkes Signal.
17900 (Profil gelöscht)
Gast
@fly Das wäre so, korrekt!