Grünen-Politiker über Öko-Verordnung: „Ein Pestizidlimit für Bio ist vom Tisch“
Jetzt muss die deutsche Ökobranche Kompromisse machen bei der Reform der EU-Ökoverordnung, sagt Martin Häusling, Verhandlungsführer des EU-Parlaments.
taz: Herr Häusling, Sie verhandeln gerade für das EU-Parlament mit der Kommission und dem Rat der Mitgliedstaaten über eine neue Öko-Verordnung. Sie soll auch schärfere Regeln gegen Pestizide in Biolebensmitteln enthalten. Ist dieser Vorschlag ein „Frontalangriff auf Bio“, wie manche Öko-Lobbyisten aus Deutschland sagen?
Martin Häusling: Diese Kampfrhetorik ist einfach überzogen. Tatsächlich hat die Kommission in unserer letzten Verhandlungsrunde ihre Forderung nach einem eigenen Pestizid-Grenzwert für Bio-Produkte fallen gelassen. Die Kommission wollte ja, dass für alle Biolebensmittel das gleiche besonders niedrige Limit wie für Babynahrung gilt. Biobauern befürchteten deshalb, dass sie ihre Ware nicht mehr verkaufen könnten, wenn von einem konventionellen Nachbarhof in kleinen Mengen Pestizide herüber geweht werden. Das ist endgültig vom Tisch.
Heißt das, es bleibt alles beim alten?
Nein. Die Kommission schlägt nun vor, dass Bioware das Ökosiegel verliert, wenn in ihr ein Pestizid-Cocktail von mindestens 3 Pestiziden gefunden wird. Denn wenn gleich mehrere Stoffe vorhanden sind, sei die Wahrscheinlichkeit, dass die Mittel bewusst angewendet wurden, deutlich höher, behauptet die Kommission.
Was halten Rat und Parlament von dem Vorschlag?
Die Ratspräsidentschaft scheint einverstanden zu sein. Wir vom Parlament haben dem Vorschlag nicht zugestimmt: Es muss erst einmal geklärt werden, ab welcher Cocktail-Dosis Ware dezertifiziert werden muss. Wir wollen aber zunächst eine europäische Harmonisierung bei den Analyseverfahren, bevor man Schwellenwerte diskutiert. Damit es nicht passiert, dass in Deutschland schneller dezertifiziert wird als beispielsweise in Italien. Ich möchte auf jeden Fall, dass bei diesen kritischen Pestizidwerten erstmal eine Untersuchung eingeleitet wird und nicht ein automatisches Verfahren zur Aberkennung des Ökosiegels läuft. Es muss geklärt werden, ob es sich tatsächlich um einen Betrug durch den Produzenten handelt.
Der 55-Jährige ist "Berichterstatter" des EU-Parlaments für die Reform der Öko-Verordnung, die die Regeln für Bio-Lebensmittel festlegt. Der Abgeordnete der Grünen hat einen Bioland-Hof in Hessen.
Wieviele Produkte würde das überhaupt betreffen?
Die Rede ist von deutlich weniger als 1 Prozent.
Rechtfertigt diese kleine Zahl den Aufwand für zusätzliche Proben?
Es wird nicht so sein, dass jeder ein Zertifikat auf den Tisch legen muss, dass er diese Richtlinien einhält. Man kann nicht verlangen, dass jeder Produzent erstmal zum Labor fährt und seine Ware prüfen lässt. Es reicht, wenn der Produzent vorlegt, was er im Rahmen der Ökorichtlinien unternommen hat, um eine Kontamination zu vermeiden. Ähnlich wie bei Hygienevorschriften.
Aber wird der Handel nicht Proben von jeder Charge verlangen, um sich abzusichern?
Die privaten Kontrollregime etwa von Supermarktketten sind schon jetzt viel strenger als die jetzige Ökoverordnung. Da kriegen Sie nichts los, wenn Sie nicht beweisen, dass da nichts drin ist. Deshalb ist die Argumentation der Verbände nicht ganz passend zum Status Quo. Die Praxis hat die Gesetzeslage schon längst überholt.
Ist die Pestizidsache nur ein Mittel, um den ganzen ungeliebten Verordnungsentwurf der Kommission zu verhindern?
Es gibt in Deutschland viele Verbände, die nur leichte Änderungen wollten. Aber auch die müssen der Realität ins Auge sehen, dass die bestehende Verordnung größere Schwachpunkte hat. Und dann muss man auch Kompromisse machen.
Warum ausgerechnet in diesem Fall?
Die deutsche Verbändeposition bewegt sich auf ganz dünnem Eis in Europa. Belgische Bioverbände haben eine Petition für strenge Grenzwerte für Bioware gestartet. Italien, Tschechien und die Slowakei kämpfen auch dafür. In Frankreich ist die Lage unübersichtlich. Bei den Mitgliedsländern und im Parlament steht es Fifty-Fifty. Deshalb können wir auf der Europaebene nicht pauschal sagen: Das können wir nicht diskutieren.
Welche Argumente sprechen denn für strengere Regeln?
Die einen sagen: Eine striktere Haltung schützt die Branche selbst gegen immer mehr dubiose Produkte. Und das andere Argument ist: Der Verbraucher kauft tatsächlich Bioprodukte in der Erwartung, dass sie fast frei von Pestizidbelastungen sind. Diese Argumente kann ich nicht wegdiskutieren.
Welche anderen Punkte der Reform sind noch strittig?
Anders als Rat und Kommission will das Parlament, dass Ökosaatgut nicht mehr unter die Saatgutverordnung fällt. Dann müssten Biosamen nicht mehr in ganz Europa den Ertrag steigern, sondern es reicht, wenn sie lokal angepasst sind. Wenn wir uns darüber einig werden, kann das Parlament zustimmen, dass konventionelles Saatgut bis 2030 im Biolandbau verboten wird.
Wie steht es ums Tierwohl?
Das Parlament hält seine Forderung nach Obergrenzen für die Zahl der Legehennen in einem Betrieb und die Definition des Stalls aufrecht. Derzeit ist der Begriff nicht definiert, so dass mehrere „Ställe“ in einem Gebäude untergebracht werden können.
Wie geht es nun weiter?
Wir wollen die Verhandlungen zwischen den EU-Institutionen am 7. Dezember abschließen.
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