Grünen-Landesvorsitzender über Bündnisse: „Wir mussten uns anpassen“
Gazi Freitag ist Landesvorsitzender der Grünen in Schleswig-Holstein. Er setzt auf Austausch und Kompromisse und hofft auf einen Wandel der CDU.
taz: Herr Freitag, die Grünen regieren sowohl im Land als auch im Bund. Gleichzeitig sind die Grünen aktuell bei vielen Menschen geradezu verhasst. Wie gehen Sie damit um?
Gazi Freitag: Ja, die Stimmung ist nicht mehr so euphorisch, und ja, wir hatten schon bessere Werte. Umfragen sind wichtig als Spiegelung, wie Entscheidungen in der Bevölkerung ankommen, aber wir dürfen uns nicht vom Weg abbringen lassen. Schon bevor wir in die Bundesregierung gegangen sind, war klar, dass ein schwieriger Weg vor uns liegt. Energiewende, Umbau der Wirtschaft – das tut besonders dort weh, wo notwendige Veränderungen verschlafen wurden. Wir wollen nicht, dass die Leute masochistisch den Schmerz akzeptieren, aber wir müssen klar machen, dass jetzt etwas passieren muss. Das wirkt vielleicht auf einige radikal, aber eigentlich reden wir seit den 80er-Jahren darüber, es ist nur eben nie etwas passiert. In Schleswig-Holstein, wo die Grünen schon länger mitregieren, sind wir weiter, da sind die Empfindungen nicht so heftig.
Die Landes-Grünen sind in den vergangenen Jahren gewachsen. Viele der Jüngeren befassen sich vor allem mit dem Klimawandel – doch Parteimitglieder aus der Umweltbewegung sind entsetzt darüber, wie Natur- und Artenschutz zurückgedrängt wird. Wie schaffen Sie es, die beiden Flügel zu vereinen?
Kommunikation. Alle mitnehmen. Ja, vor einigen Jahren wäre es undenkbar gewesen, dass Grüne den Bau eines LNG-Terminals mittragen. Aber wir mussten uns an die Ausnahmesituation anpassen und in Regierungsverantwortung im Bund Wege finden. Um das Terminal in Brunsbüttel gibt es eine wahnsinnige Auseinandersetzung, die wir aushalten und führen müssen. Manche Menschen in der Partei sind nicht bereit, das mitzutragen, das ist auch okay. Wir brauchen diese Debatten. Wenn wir etwas in der Partei nicht vermitteln können, dann erst recht nicht in der Gesellschaft.
Auf der Nordsee soll im großen Maßstab Offshore-Windenergie erzeugt werden. Naturschutzverbände sehen darin einen gefährlichen Eingriff. Also: Artenschutz oder Energiewende? Der Konflikt ist doch kaum zu lösen.
43, ist seit 2022 Landesvorsitzender der Grünen Schleswig-Holstein. Vorher war er Kreisgeschäftsführer der Grünen in Kiel. Parteimitglied ist er seit 2015.
Politik ist nicht leicht. Die Veränderungen, die wir brauchen, sind nicht leicht. Wir müssen darüber mit den Verbänden offen in den Austausch gehen und uns auch korrigieren, wenn etwas falsch ist. Unser Ziel ist, dass am Ende mehr Windkraftanlagen stehen und es gleichzeitig mehr Artenschutz gibt.
Sie bilden eine Doppelspitze mit Anke Erdmann. Die saß bereits im Landtag, als Sie 2015 in die Partei eintraten. Wie läuft Ihre Zusammenarbeit?
In Koalitionsrunden bin ich im Vergleich zu ihr Anfänger. Sie kennt die Personen und den politischen Betrieb natürlich schon länger. Ich kann da viel von ihr lernen. Dafür habe ich als ehemaliger Kreisgeschäftsführer die Wachstumsschmerzen der Partei miterlebt, kenne die lokalen Strukturen aus einer anderen Perspektive. So profitieren wir beide voneinander.
Bei der Kommunalwahl im Frühjahr ist die AfD auch in Schleswig-Holstein in viele Kreistage und Gemeinderäte eingezogen. Wie sollten Grüne mit den Rechten umgehen?
Es darf keine politische Zusammenarbeit mit der AfD geben. Aber für die Menschen ist es letztendlich nicht wichtig, ob AfD-Abgeordnete irgendwelche Ausschuss-Posten besetzen. Sie wählen die AfD, wenn sie das Gefühl haben, dass die Politik sich nicht um sie kümmert. In Schleswig-Holstein kriegen wir das ganz gut hin, die AfD sitzt daher auch bei uns nicht mehr im Landtag. Auch wenn das Land nicht reich ist, scheinen die Menschen zu spüren, dass sie ihr Leben gestalten und sich auf die Politik verlassen können. Dazu gehört, dass wir uns in der Koalition nicht öffentlich zanken.
Das sieht bei der Ampel anders aus. Was ist der Rat aus Kiel nach Berlin?
Es braucht Bereitschaft zur Diskussion und zum Kompromiss. Das gilt innerhalb der Regierung wie auch mit der Opposition. Wir haben mit Daniel Günther einen Politiker – auch NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst wäre ein solcher Typ – der sich bewusst auf die Koalition mit den Grünen eingelassen hat, weil wir andere Menschen erreichen als die CDU. In der Regierungsarbeit ist es ein Unding, wenn Dinge durchgestochen werden oder öffentlicher Streit lanciert wird. Unsere Opposition pinkelt uns zwar auch ans Bein, aber trägt auch Dinge mit. Im Bund gibt es die Merz-CDU, die nur schädlich agiert und unsachlich kritisiert.
Also muss Daniel Günther nach Berlin und mit Robert Habeck die nächste Regierung bilden?
Ich hatte auch den Namen Wüst genannt. Aber ja, wenn einer der beiden die CDU führen und Kanzlerkandidat würde, wäre nicht nur der CDU geholfen, sondern es wäre auch eine Regierungskoalition denkbar, mit wem auch immer. Ich habe schon mehrfach gesagt, dass mehr von Daniel Günthers Haltung der Bundes-CDU gut zu Gesicht stehen würde.
Den Grünen wird von manchen Kritikern unterstellt, sie seien eigentlich eine Partei der Besserverdienenden. Sie selbst stammen aus einer Familie, die nicht viel Geld hatte. Warum sind Sie bei den Grünen und nicht bei SPD oder der Linken?
Früher dachte ich, ich kann die Welt über Vereine oder Projekte verändern, aber das war super anstrengend. Den Ausschlag gab der Zustrom von Geflüchteten 2015. In Kiel haben wir Menschen im Veranstaltungszentrum „Alte Mu“ untergebracht – und dann schob das Ordnungsamt einen Riegel vor: Wir hatten nur ein Marmeladenglas für 15 Leute. Das war so frustrierend, dass ich beschlossen habe: Schluss, ich gehe in die Politik. Die SPD war keine Option, ich schwankte zwischen Linken oder Grünen. Bei den Linken fehlte mir der Wille, Verantwortung zu übernehmen. Bei den Grünen war klar, dass ich schnell etwas gestalten konnte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid