Grünen-Europapolitiker über Lobbyismus: „In Berlin hängt die Latte tief“
Die EU unternehme viel gegen den Einfluss von Lobbyisten, sagt der Grüne Sven Giegold. Davon müsse Deutschland lernen.
taz: Herr Giegold, Konzerne haben zu viel Macht in Europa: Das kritisiert Lobbycontrol. Die Lage in Brüssel sei aber besser als in Berlin. Teilen Sie das?
Sven Giegold: Ja, aber nur weil in Berlin die Latte maximal tief hängt und viel zu wenig gegen verdeckten Einfluss von Lobbys unternommen wird – dort gibt es nicht einmal ein Lobbyregister, geschweige denn Lobbytransparenz im Bundestag oder bei der Regierung. Das ist leider nicht ungewöhnlich, weil wir in fast allen EU-Ländern weit schwächere Regeln haben als in Brüssel.
Was läuft besser in Brüssel?
Die Liste ist lang. Das Wichtigste ist vielleicht, dass Lobbyisten weder bei den Kommissaren noch bei ihren engsten Mitarbeitern Termine bekommen, ohne dass das registriert wird. Alle Lobbytermine werden öffentlich gemacht. Man kann auch einsehen, wer die bezahlenden Auftraggeber hinter den Lobbyisten und wie hoch die Lobbybudgets sind.
Und obwohl die Christdemokraten und Liberalen die Transparenz scheuen wie der Teufel das Weihwasser und auch die Sozialdemokraten gezaudert haben, haben wir als Grüne im Europaparlament in einem dreijährigen Tauziehen viel durchgesetzt. In Zukunft werden auch im Parlament immerhin alle wichtigen Lobbytreffen offengelegt. Da sollte der Bundestag nachziehen.
Bei der Reform des EU-Urheberrechts bombardierten Lobbyisten das Parlament regelrecht.
Ja. Die Befürworter von Artikel 13 haben Google & Co. beschuldigt und die Gegner haben die Verlage attackiert. Letztlich haben beide Seiten nicht mit Marzipankartoffeln geschossen. Es war viel, aber es war auch verteilt. Es wäre ja schön, wenn es immer so wäre. Aber die Realität ist ja doch, dass die Lobbymacht nicht fair aufgeteilt ist. Die Konzerne haben mehr Ressourcen, da reicht der Blick auf die fossile Energielobby. Transparenz allein reicht nicht. Wir müssen auch die politische und wirtschaftliche Ungerechtigkeit dahinter begrenzen.
Unternehmen und Politiker klagen, die NGOs bekämen immer mehr Macht, etwa durch Internet-Kampagnen.
Ich bitte Sie. Sicherlich gibt es NGOs, die clevere Kampagnen machen oder genügend Spender im Rücken haben. Und sicher gibt es auch Politikfelder, in denen das Ungleichheitgewicht nicht so groß ist wie in anderen. Aber ein Blick in das Lobbyregister der EU zeigt, dass die größten Geldgeber regelmäßig die Wirtschaftsverbände und Unternehmen sind. Dasselbe zeigt sich, wenn man sich die Liste derjenigen anschaut, die nach dem Ausscheiden aus öffentlichen Ämtern in Lobbyjobs gelandet sind. Die landen in aller Regel nicht bei den kritischen NGOs.
Die Seitenwechsel von Politikern sorgen in Brüssel immer wieder für Schlagzeilen. Der ehemalige Kommissionspräsident José Manuel Barroso hat einen hoch dotierten Job bei Goldman Sachs gefunden, der frühere Generalsekretär der EU-Kommission, Alexander Italianer, berät nun eine Lobbyfirma. Was halten Sie davon?
Beides ist enormes Fehlverhalten und geeignet, den Ruf der europäischen Institutionen schwer zu beschädigen. Wobei der Fall Italianer vermutlich noch schlimmer ist als der Seitenwechsel von Barroso. Denn Italianer war der Chef der Wettbewerbsbehörde, die über milliardenschwere Fusionen entscheidet – man denke nur an Bayer und Monsanto.
Dann zu einer Beratungsfirma im gleichen Bereich zu wechseln, das beschädigt die Integrität der europäischen Institutionen. Das Problem ist, dass der Integritätsausschuss, der diese Fragen regeln soll, selbst intransparent ist. Wir brauchen einen starken, unabhängigen und transparenten Ethikausschuss, damit Fälle wie Barroso und Italianer sich nicht wiederholen können.
Was muss sich noch ändern, um für Transparenz zu sorgen?
Die größte Lücke sind die Mitgliedsländer. Es gibt keine wirksamere Lobby der Autoindustrie als die deutsche Große Koalition. Wenn man den Lobbyismus in der EU transparent machen will, dann müssen auch die Regierungen der Mitgliedsländer transparent werden. Dazu müssten auch die Ständigen Vertretungen der Mitgliedsländer in Brüssel ihre Treffen offenlegen. Die Finnen tun es bereits.
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