Grünen-Abgeordnete zu Abschiebungen: „Das Land wird so nicht sicherer“
Mehr Abschiebungen verstellen die Sicht auf die wahren Probleme, sagt die Grüne Irene Mihalic. Strikt dagegen ist sie aber nicht.
taz: Frau Mihalic, 2017 wurden deutlich mehr Gefährder abgeschoben als in den Jahren zuvor. Ist das jetzt eine gute oder eine schlechte Nachricht?
Irene Mihalic: Für diejenigen, die glauben, dass es dadurch in unserem Land sicherer wird, habe ich zumindest eine schlechte Nachricht: Das ist nicht der Fall.
Warum nicht?
Solche Zahlen suggerieren, dass auf diese Weise Sicherheitsprobleme gelöst werden. Dabei ist es falsch zu behaupten, wir bräuchten nur ein möglichst scharfes Asylrecht, um die Sicherheitslücken in unserem System zu schließen. Wir brauchen viel weitreichendere und umfassendere Maßnahmen.
Aber nach dem Anschlag auf dem Berliner Weihnachtsmarkt hat die Regierung doch begonnen, verstärkt abzuschieben, weil man es bei Amri versäumt hatte.
Nein, Anis Amri konnte man nicht abschieben, weil sein Heimatland die erforderlichen Dokumente zunächst nicht ausgestellt hat. Die asylrechtlichen Voraussetzungen, um ihn abzuschieben, hätten von deutscher Seite aus vorgelegen. Für mich ist der Fall Anis Amri nach wie vor exemplarisch, weil er zeigt, welche Versäumnisse es gegeben hat, die es heute noch immer genauso geben würde. Egal, wie viele Menschen abgeschoben werden. Nach wie vor existiert zum Beispiel keine ausreichende Kooperation zwischen den Behörden von Bund und Ländern.
Sollten Gefährder im Land bleiben dürfen?
Ich hätte absolut nichts dagegen gehabt, Anis Amri abzuschieben. Aber zur Wahrheit gehört auch, dass bei zwei Dritteln aller Gefährder das Asylrecht nicht greift, weil sie deutsche Staatsbürger sind. Und nur, wenn es greift, das Verfahren gescheitert ist, jemand eine ernste Bedrohung darstellt und auch alle anderen Voraussetzungen stimmen, kann jemand abgeschoben werden.
41, war früher Polizistin und ist jetzt innenpolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag.
Auch in den Irak oder nach Afghanistan?
Nein, das lehnen wir als Grüne strikt ab. Abschiebungen in Länder, wo Krieg herrscht oder täglich Anschläge passieren, sind völlig absurd. Auch einen Gefährder, der sich ja bislang nicht strafbar gemacht hat, kann man nicht dorthin abschieben.
Ansonsten könnten Sie aber mit Abschiebungen leben? Weil sie die Alternative zu einer umfassenden Überwachung darstellen, die die Grünen ablehnen?
Beides kommt für uns nur unter den richtigen und maßvollen Bedingungen infrage. Wenn jemand nach asylrechtlichen Kriterien abgeschoben werden kann und hochgefährlich ist, sollte er abschoben werden. Liegen diese Kriterien bei jemandem nicht vor, der aber zu einer Hochrisikogruppe gehört, muss er überwacht werden. Für beides braucht es eine vernünftige und verbesserte Risikoabschätzung. Die ist unerlässlich, um Ressourcen optimal zu nutzen. Und um zu garantieren, dass das Asylrecht nicht zu einem Ersatz-Sicherheitsrecht verkommt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Künstler Mike Spike Froidl über Punk
„Das Ziellose, das ist doch Punk“
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour