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Grüne nach dem Fall GraichenDie Angeschlagenen

Erst hat sich Robert Habeck hinter Graichen gestellt, dann musste der Staatssekretär doch gehen. Wie geschwächt ist Habeck? Und was sagt die Partei?

Robert Habeck muss sich auf weitere Angriffe einstellen Foto: Jens Schlueter/getty

BERLIN taz | Keine Frage, Robert Habeck ist angeschlagen. Der Mann, der da am Mittwochmorgen im Wirtschaftsministeriums vor der Presse steht, ist verkrampft. Immer wieder hält er sich mit beiden Händen am Redepult fest, den Text liest er vom Blatt ab. Von Habeck, dem souveränen Großkommunikator, ist nichts zu spüren. „Es war der eine Fehler zu viel“, sagt er. Das heißt: Klimastaatssekretär Patrick Graichen muss nun doch gehen.

Nach der „Trauzeugen-Affäre“ hatte Habeck angeordnet, alle Vorgänge Graichens im Ministerium noch einmal zu überprüfen. Und wie zu vermuten war, wenn jeder Stein umgedreht wird, tauchten weitere Verstöße gegen die Compliance-Regeln auf. Noch in der vergangenen Woche, als es darauf im Ministerium bereits erste Hinwiese gab, hatte sich Habeck im Bundestag hinter seinen Staatssekretär gestellt. Damit ist Graichens „Trauzeugen-Affäre“ noch stärker zu seiner eigenen geworden.

Was Fragen aufwirft: Wie geschwächt ist Habeck? Wie groß ist die Krise, in der die Grünen nun stecken? Und was bedeutet das alles für den Klimaschutz?

Hört man in die Partei hinein, ist von der großen Bedeutung der Compliance-Regeln und Graichens Verdiensten für die Energiewende die Rede. So ähnlich hatte es die Fraktionsspitze kurz nach Habecks Auftritt am Mittwoch in einem internen Chat als Sprechregelung vorgeschlagen. Fragt man nach dem Schaden, den Habeck genommen hat, wird abgewiegelt.

„Mit dem Schritt am Mittwoch hat Robert Habeck das Heft des Handels wieder in der Hand“, sagt Jan-Niclas Gesenhues, der umweltpolitische Sprecher der Fraktion. Geschwächt sei Robert Habeck nicht, meint auch Kassem Taher Saleh, Berichterstatter der Fraktion für das Gebäudeenergiegesetz, kurz GEG: „Er hat die nötige Entscheidung getroffen.“ Und Fraktionschefin Katharina Dröge antwortet: „Die Debatte um Patrick Graichen war nicht leicht. Aber Robert Habeck hat konsequent und transparent gehandelt. Darauf kommt es an.“

Tiefpunkt und Trendwende?

Überraschend ist das nicht, für die Grünen geht es um viel. Um ihren derzeit wichtigsten Politiker. Um das GEG, das Habeck als das wichtigste Gesetz in dieser Legislatur bezeichnet hat. Und damit um die Frage, ob die Grünen beim Klimaschutz ihre Versprechen umsetzen.

„Das kann der Tiefpunkt gewesen sein, von dem es wieder nach oben geht“, meint auch der Politikwissenschaftler Wolfgang Schroeder. „Mit der Entlassung hat Habeck die Chance, sich frei zu schwimmen und eine Neuorientierung vorzunehmen. Als Person hat er das Zeug dazu.“ Schroeder ist Sozialdemokrat mit Sympathie für die Grünen, als Parteienforscher hat er seit langem die Berliner Machtpolitik im Blick. Er hält aber auch eine ganz andere Entwicklung für möglich: „Es kann jetzt auch zu einer Zementierung der schlechten Performance kommen.“ Schließlich sei deutlich geworden, dass es um mehr als das Fehlverhalten einer Person gehe.

Lange ging es für die Grünen aufwärts. Ihr Thema, der Klimaschutz, hatte Konjunktur, die Zustimmung war auch jenseits ihres Kernklientels groß. Debattiert wurde bereits, ob die Grünen das Zeug zur Volkspartei hätten und ein Einzug ins Kanzleramt möglich sei. „Jetzt aber geht es nicht mehr um Wachstum, um die Frage, ob man bei einer Bundestagswahl 25 Prozent erreichen kann. Jetzt geht es um die 75 oder 80 Prozent, die gegen die Grünen sind“, sagt Schroeder. „Die Blickrichtung hat sich verändert.“

Der Positivtrend hatte viel mit Habeck zu tun. Als Parteichef stellte er gemeinsam mit Annalena Baerbock die Grünen neu auf – weg von Belehrungen, Nische und Dagegen-Partei. Die beiden warfen ein paar Tabus über Bord, verpassten den Grünen eine einladende Sprache und lobten auch mal die anderen.

Schluss sollte mit der Lagerlogik sein, die ökologische Transformation sollte das verbindende Element in der Gesellschaft werden. Und die Grünen sollten, so Habeck, zu einer „Bündnispartei“ werden. Das hat sie in die Bundesregierung geführt und ihn selbst in das wichtige Wirtschafts- und Klimaministerium. Dort wendete er mit pragmatischer Politik eine Energiekrise ab und ließ die Bevölkerung in Videos an seinen Überlegungen teilhaben. Es lief gut.

Dann kamen die Debatte um die Laufzeitverlängerung für die verbliebenen AKWs, die vergeigte Gasumlage und zuletzt das GEG. Ein unfertiger Entwurf tauchte in der Bild-Zeitung auf, ein Konzept zur sozialen Abfederung fehlte, eine Kommunikationsstrategie auch. Eine Steilvorlage für den politischen Gegner, auch in der eigenen Koalition. Die alten Etiketten waren schnell zur Hand: Ideologen! Verbotspartei! Die Zustimmung sinkt weiter. Habecks Beliebtheitswerte auch.

Schroeder sieht dafür vor allem zwei Gründe: Die Grünen hätten völlig unterschätzt, welche Sprengkraft ein Gesetz habe, das so tief in den Alltag der Menschen eingreift. Überschätzt hätten sie die Unterstützung für ihre Pläne. „Jetzt wird deutlich, dass die Grünen kaum gesellschaftlichen Resonanzboden haben, weil sie auf das ganze Land betrachtet kaum verankert sind“, sagt Schroeder. „Die Grünen haben die Hoheit über die intellektuellen Zirkel. Aber die Hoheit in den alltagsweltlichen Dimensionen fehlt ihnen.“

Das könnte auch erklären, warum die Kampagne gegen das GEG von der Union, Teilen der FDP und der Springer-Presse so gut verfängt. In Bremen, wo die Grünen bei der Wahl gerade über fünf Prozentpunkte verloren haben, meinen 80 Prozent der Bevölkerung, dass das Gesetz die Bür­ge­r*in­nen überfordere.

Grüne Selbstkritik

Die Grünen sprechen viel über die Kampagne und den Ärger auf die SPD, die im Wahlkampf „Klimakanzler“ plakatiert habe, aber sich nun wegducke. Aber manche Grüne blicken durchaus selbstkritisch auf die handwerklichen Fehler, die im Wirtschaftsministerium gemacht wurden – auch jenseits des Fall Graichen.

„Wenn wir antizipiert hätten, dass der unfertige Gesetzentwurf durchgestochen wird, dann hätten wir ihn nicht ohne das fertige Konzept für den Sozialausgleich in die Ressortabstimmung gegeben“, sagt Fraktionschefin Dröge. „Daraus haben wir gelernt.“

Nicht ganz so diplomatisch ist Umweltpolitiker Jan-Niclas Gesenhues. „Wir müssen besser vorbereitet sein. Das Sozialkonzept kam zu spät.“ Ein anderer Grüner drückt es noch klarer aus: „Wir müssen einkalkulieren, dass es im Kern so wenige Verbündete gibt“, sagt er. Man sei zu gutgläubig und nicht ausreichend vorbereitet gewesen. „Wir müssen klug, trickreich und geschickt vorgehen – das haben wir ein paar mal nicht gemacht.“ Das könnte an Habecks Politikansatz liegen, zu dem ein gewisser Vertrauensvorschuss für die anderen politischen Player gehört. An Hybris, die es im Wirtschaftsministerium durchaus geben soll. Oder schlicht an mangelnder Erfahrung und Professionalität.

Habeck muss sich nun auf weitere Angriffe einstellen; wer geschwächt ist, wird angegriffen, so ist das im politischen Berlin. Die Union hat schon verkündet, dass sie das GEG kippen will. Die FDP setzt auf Verzögerung. Die Länder haben Änderungsbedarf angemeldet. Teile der SPD auch.

Bei den Grünen werden zunehmend Stimmen laut, die einen robusteren Kurs in der Ampel fordern. „Wir sollten nicht alle Angriffe runterschlucken“, meint Umweltpolitiker Gesenhuis. „Manchen ist fast jedes Mittel Recht, um Klimaschutz auszubremsen. Da müssen wir mit voller Härte gegenhalten.“ Man habe die besten Argumente, müsse sie aber besser rüberbringen – „mit einfachen Botschaften, nicht mit zehn Spiegelstrichen“.

Ein anderer Grüner meint: Robuster in der Ampel aufzutreten, heiße „nicht weinerlich“, sondern mit „selbstbewusstem Selbstverständnis“. Das kann man durchaus als Seitenhieb auf Habeck verstehen. Der hatte jüngst beklagt, dass der Gesetzentwurf durchgestochen worden sei und es eine miese Kampagne gegen sein Haus gebe. Da steckt man schnell in der Opferfalle.

Neue Härte

Doch nicht alle in der Partei finden eine neue Härte richtig. Die grüne Spitze hatte sich eigentlich darauf verständigt, sich als verantwortungsbewusste und staatstragende Kraft zu positionieren. Attacken könnten das gemeinsame Regieren noch schwerer machen, sorgt man sich etwa in der Parteizentrale. Und Fraktionschefin Dröge sagt: „Grundsätzlich bin ich der Ansicht, dass dieses ganze öffentliche Streiten einer Regierung nicht gut tut. In den Verhandlungen sind wir robust.“

Politikwissenschaftler Schroeder sieht noch ein Problem. „Wesentliche Wissensressourcen zum Thema Klimapolitik sind bei den Grünen monopolisiert. Das führt zu Unbehagen.“ Das könne man der Partei nicht vorwerfen – sie habe sich eben um Kompetenz bemüht, mehr als andere Parteien. Jetzt werde gefragt: „Brauchen wir nicht mehr Pluralität?“

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Trotz aller Kritik geht Schroeder davon aus, dass die Grünen grundsätzlich auf das gesellschaftliche Bewusstsein setzen können, dass eine Klimawende notwendig sei. „Bei den Instrumenten und beim Tempo aber müssen sie nachjustieren“, rät er. „Der Erfolg der Klimapolitik hängt ja davon ab, ob sie gelingt. Und sie gelingt nur, wenn man die Bürger zumindest nicht gegen sich aufbringt.“

„Der Zeitplan steht“, drängt dagegen Kassem Taher Saleh, der zuständige Berichterstatter der grünen Fraktion. Dreimal hab man bereits mit der der Ampel über das GEG verständigt. „Es muss jetzt mit der Wärmewende weiter gehen.“

„Ich halte es für klug, dass das Gesetz am 1. Januar 2024 in Kraft treten soll“, sagt auch Fraktionschefin Katharina Dröge. „Sonst würden wir das falsche Signal an die Menschen senden, dass es schlau ist, sich noch mal eine Gasheizung einzubauen. Das wäre nicht nur schlecht für den Klimaschutz, sondern auch ganz klar eine Fehlinvestition.“ Und: „Ich bin mir sicher, dass wir das Gesetz vor dem Sommer im Bundestag verabschieden, wie wir es in der Koalition gemeinsam mit dem Kanzler verabredet haben.“

Laut diesem Zeitplan soll das Gesetz in der kommende Woche im Bundestag eingebracht werden. Ob das wirklich passiert? Darüber wird ampelintern noch gerungen.

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9 Kommentare

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  • ...Habeck ist doch an sich kein schlechter Kerl, vielleicht allzu menschlich - manchmal - sollte man nicht auch ab- und zu mal etwas Nachsichtiger sein....

  • bei uns in HH sind die grünen derzeit höchst suspekt. nsu-ausschuß, eine grüne frau, die sich der parteimehrheit in der frage nsu-ausschuß entgegenstellt, ein grüner, der siese frau unterstützt. ein krimineller, recht hochrangiger grüner wg. vorteilsnahme oder so vor gericht.



    mir erscheint das derzeitige personal generell auf vorteilnahme an den fleischtrögen der macht der FHH bedacht zu sein. grüne themen werden noh bedient, auf der ebene von pusseligen naturschützerInnen und wildbienen-liebhaberInnen. biene maja niveau nach außen, nach innen: wie stehts mit den pöstchen?

  • Die kritische Auseinandersetzung mit einem geplanten Gesetz, zumal eines solcher Tragweite, und seiner eingehenden Prüfung in einer parlamentarischen Demokratie als 'Kampagne' herabzusetzen, das sollte in intellektuellen Zirkeln bestimmt noch mal beleuchtet werden. Zumindest was das angeht ist die Partei inzwischen ja selbst einen Schritt weiter und habe sich grundsätzlich einmal dazu bereit erklärt. Was jetzt auch nicht unbedingt dafür spricht, dass es von Grund auf so solide konstruiert war, wie man sich das wünschen sollte. Oder umgekehrt einer Kampagne in dem Sinn überhaupt je bedurft hätte: der (breite) Widerstand ist eine Reaktion auf den erkannten handwerklichen Dilettantismus und nicht andersrum. Insofern sollte man den Kritikern eher dankbar sein, die gibt's ja auch nicht nur bei Union und FDP, selbst Grüne sollen darunter sein. Die weit Meisten von uns sind in überhaupt keiner Partei. Von wegen Klimakanzler! Die Grünen sollten sehr bald aufhören, von anderen zu erwarten, in ihre (as if!) ureigenen Psalmen einzustimmen, um nicht zu sagen, sich auf ihren Tellerrand herabzulassen. Die Welt sieht kleiner aus, wo der Fokus stärker sein kann, da hat die SPD nun mal ein ungleich breiteres Spektrum zu berücksichtigen, zum Glück und zum Glück entscheidend darunter: der Mensch. Olaf Scholz hat im Wahlkampf übrigens fast durchgehend und für viele mitunter schon etwas monoton von der Transformation im Hinblick auf die Industrie gesprochen; ich glaube nicht einmal von Häusern, garantiert nie von Heizungen. Um die SPD müssen sich die Grünen nun wirklich nicht sorgen, wir wissen, was wir an der Sozialdemokratie haben und das werden wir zeigen. Was man dafür fast wieder vergessen haben könnte ist, aus welchem Grund Anne Spiegel vor kaum einem Jahr zurücktreten musste. Zurückgetreten ist. Habeck gefällt sich weiter angeschlagen. In Bremen haben die Grünen bei Frauen fast doppelt so stark verloren wie Männern. Intellektuell ist nicht alles.

  • Das Problem der Grünen ist, dass sie im Gegensatz zu CDU/CSU FDP und SPD noch gewisse moralische Grundsätze haben, damit sind sie angreifbar. Sie nehmen sich Fehler zu Herzen. Das passiert einem Kubicki, Merz, Söder usw. nicht, da ist eh alles zu spät.

    • @Gnutellabrot Merz:

      Wenn Sie sich da man nicht täuschen

  • 9G
    95820 (Profil gelöscht)

    "Und was sagt die Partei?" Ein Zitat wär jetzt ganz schlecht:



    "Die Partei, die Partei, die hat immer Recht." - Schönes Wochenende. 🎈🎆⚽

  • Die Grünen sind doppelt unter Druck.



    Einmal, weil sie eben KEINEN Klimaschutz zur Präferenz machen. Eine Außenpolitikerin als Kanzlerkandidatin. Das Verkehrsministerium an die FDP sind absolute Sündenfälle.



    Dazu kommt nun das mangelnde "vernetzte Denken". Die Grünen haben geklärt, wie all das technisch geht. Aber nie, wie es finanziell, sozial und gesellschaftlich gehen soll.



    Beispielsweise in Dänemark, las ich im Spiegel, hat man zentrale Wärmepumpen + Fernwärme gemacht. Also lediglich für den Einzelnen ein Anschluss an die Fernwärme. In meinem Wohnort hat man ähnlich ein neues Wohngebiet geplant: Fernwärme aus erneuerbaren Energien.

    • @Kartöfellchen:

      Sicher ist auch Fernwärme eine Option, besonders, wenn beispielsweise in der Nähe Abwärme entsteht.



      Beispiele wie Dänemark sollten allerdings auch immer unter dem Gesichtspunkt der Machbarkeit betrachtet werden



      Dähnemark hat 5.8 Mio Einwohner, wir 84...

      • @Philippo1000:

        Das ist aber ein sehr hinkender Vergleich. Deutschland hat sicherlich auch mehr als 10 mal so viele Handwerker in der Branche. Außerdem ist Deutschland wesentlich dichter besiedelt, was den Einsatz von Fernwärme wesentlich einfacher und effektiver macht als in Dänemark.