Grüne nach dem Fall Graichen: Die Angeschlagenen
Erst hat sich Robert Habeck hinter Graichen gestellt, dann musste der Staatssekretär doch gehen. Wie geschwächt ist Habeck? Und was sagt die Partei?
Nach der „Trauzeugen-Affäre“ hatte Habeck angeordnet, alle Vorgänge Graichens im Ministerium noch einmal zu überprüfen. Und wie zu vermuten war, wenn jeder Stein umgedreht wird, tauchten weitere Verstöße gegen die Compliance-Regeln auf. Noch in der vergangenen Woche, als es darauf im Ministerium bereits erste Hinwiese gab, hatte sich Habeck im Bundestag hinter seinen Staatssekretär gestellt. Damit ist Graichens „Trauzeugen-Affäre“ noch stärker zu seiner eigenen geworden.
Was Fragen aufwirft: Wie geschwächt ist Habeck? Wie groß ist die Krise, in der die Grünen nun stecken? Und was bedeutet das alles für den Klimaschutz?
Hört man in die Partei hinein, ist von der großen Bedeutung der Compliance-Regeln und Graichens Verdiensten für die Energiewende die Rede. So ähnlich hatte es die Fraktionsspitze kurz nach Habecks Auftritt am Mittwoch in einem internen Chat als Sprechregelung vorgeschlagen. Fragt man nach dem Schaden, den Habeck genommen hat, wird abgewiegelt.
„Mit dem Schritt am Mittwoch hat Robert Habeck das Heft des Handels wieder in der Hand“, sagt Jan-Niclas Gesenhues, der umweltpolitische Sprecher der Fraktion. Geschwächt sei Robert Habeck nicht, meint auch Kassem Taher Saleh, Berichterstatter der Fraktion für das Gebäudeenergiegesetz, kurz GEG: „Er hat die nötige Entscheidung getroffen.“ Und Fraktionschefin Katharina Dröge antwortet: „Die Debatte um Patrick Graichen war nicht leicht. Aber Robert Habeck hat konsequent und transparent gehandelt. Darauf kommt es an.“
Tiefpunkt und Trendwende?
Überraschend ist das nicht, für die Grünen geht es um viel. Um ihren derzeit wichtigsten Politiker. Um das GEG, das Habeck als das wichtigste Gesetz in dieser Legislatur bezeichnet hat. Und damit um die Frage, ob die Grünen beim Klimaschutz ihre Versprechen umsetzen.
„Das kann der Tiefpunkt gewesen sein, von dem es wieder nach oben geht“, meint auch der Politikwissenschaftler Wolfgang Schroeder. „Mit der Entlassung hat Habeck die Chance, sich frei zu schwimmen und eine Neuorientierung vorzunehmen. Als Person hat er das Zeug dazu.“ Schroeder ist Sozialdemokrat mit Sympathie für die Grünen, als Parteienforscher hat er seit langem die Berliner Machtpolitik im Blick. Er hält aber auch eine ganz andere Entwicklung für möglich: „Es kann jetzt auch zu einer Zementierung der schlechten Performance kommen.“ Schließlich sei deutlich geworden, dass es um mehr als das Fehlverhalten einer Person gehe.
Lange ging es für die Grünen aufwärts. Ihr Thema, der Klimaschutz, hatte Konjunktur, die Zustimmung war auch jenseits ihres Kernklientels groß. Debattiert wurde bereits, ob die Grünen das Zeug zur Volkspartei hätten und ein Einzug ins Kanzleramt möglich sei. „Jetzt aber geht es nicht mehr um Wachstum, um die Frage, ob man bei einer Bundestagswahl 25 Prozent erreichen kann. Jetzt geht es um die 75 oder 80 Prozent, die gegen die Grünen sind“, sagt Schroeder. „Die Blickrichtung hat sich verändert.“
Der Positivtrend hatte viel mit Habeck zu tun. Als Parteichef stellte er gemeinsam mit Annalena Baerbock die Grünen neu auf – weg von Belehrungen, Nische und Dagegen-Partei. Die beiden warfen ein paar Tabus über Bord, verpassten den Grünen eine einladende Sprache und lobten auch mal die anderen.
Schluss sollte mit der Lagerlogik sein, die ökologische Transformation sollte das verbindende Element in der Gesellschaft werden. Und die Grünen sollten, so Habeck, zu einer „Bündnispartei“ werden. Das hat sie in die Bundesregierung geführt und ihn selbst in das wichtige Wirtschafts- und Klimaministerium. Dort wendete er mit pragmatischer Politik eine Energiekrise ab und ließ die Bevölkerung in Videos an seinen Überlegungen teilhaben. Es lief gut.
Dann kamen die Debatte um die Laufzeitverlängerung für die verbliebenen AKWs, die vergeigte Gasumlage und zuletzt das GEG. Ein unfertiger Entwurf tauchte in der Bild-Zeitung auf, ein Konzept zur sozialen Abfederung fehlte, eine Kommunikationsstrategie auch. Eine Steilvorlage für den politischen Gegner, auch in der eigenen Koalition. Die alten Etiketten waren schnell zur Hand: Ideologen! Verbotspartei! Die Zustimmung sinkt weiter. Habecks Beliebtheitswerte auch.
Schroeder sieht dafür vor allem zwei Gründe: Die Grünen hätten völlig unterschätzt, welche Sprengkraft ein Gesetz habe, das so tief in den Alltag der Menschen eingreift. Überschätzt hätten sie die Unterstützung für ihre Pläne. „Jetzt wird deutlich, dass die Grünen kaum gesellschaftlichen Resonanzboden haben, weil sie auf das ganze Land betrachtet kaum verankert sind“, sagt Schroeder. „Die Grünen haben die Hoheit über die intellektuellen Zirkel. Aber die Hoheit in den alltagsweltlichen Dimensionen fehlt ihnen.“
Das könnte auch erklären, warum die Kampagne gegen das GEG von der Union, Teilen der FDP und der Springer-Presse so gut verfängt. In Bremen, wo die Grünen bei der Wahl gerade über fünf Prozentpunkte verloren haben, meinen 80 Prozent der Bevölkerung, dass das Gesetz die Bürger*innen überfordere.
Grüne Selbstkritik
Die Grünen sprechen viel über die Kampagne und den Ärger auf die SPD, die im Wahlkampf „Klimakanzler“ plakatiert habe, aber sich nun wegducke. Aber manche Grüne blicken durchaus selbstkritisch auf die handwerklichen Fehler, die im Wirtschaftsministerium gemacht wurden – auch jenseits des Fall Graichen.
„Wenn wir antizipiert hätten, dass der unfertige Gesetzentwurf durchgestochen wird, dann hätten wir ihn nicht ohne das fertige Konzept für den Sozialausgleich in die Ressortabstimmung gegeben“, sagt Fraktionschefin Dröge. „Daraus haben wir gelernt.“
Nicht ganz so diplomatisch ist Umweltpolitiker Jan-Niclas Gesenhues. „Wir müssen besser vorbereitet sein. Das Sozialkonzept kam zu spät.“ Ein anderer Grüner drückt es noch klarer aus: „Wir müssen einkalkulieren, dass es im Kern so wenige Verbündete gibt“, sagt er. Man sei zu gutgläubig und nicht ausreichend vorbereitet gewesen. „Wir müssen klug, trickreich und geschickt vorgehen – das haben wir ein paar mal nicht gemacht.“ Das könnte an Habecks Politikansatz liegen, zu dem ein gewisser Vertrauensvorschuss für die anderen politischen Player gehört. An Hybris, die es im Wirtschaftsministerium durchaus geben soll. Oder schlicht an mangelnder Erfahrung und Professionalität.
Habeck muss sich nun auf weitere Angriffe einstellen; wer geschwächt ist, wird angegriffen, so ist das im politischen Berlin. Die Union hat schon verkündet, dass sie das GEG kippen will. Die FDP setzt auf Verzögerung. Die Länder haben Änderungsbedarf angemeldet. Teile der SPD auch.
Bei den Grünen werden zunehmend Stimmen laut, die einen robusteren Kurs in der Ampel fordern. „Wir sollten nicht alle Angriffe runterschlucken“, meint Umweltpolitiker Gesenhuis. „Manchen ist fast jedes Mittel Recht, um Klimaschutz auszubremsen. Da müssen wir mit voller Härte gegenhalten.“ Man habe die besten Argumente, müsse sie aber besser rüberbringen – „mit einfachen Botschaften, nicht mit zehn Spiegelstrichen“.
Ein anderer Grüner meint: Robuster in der Ampel aufzutreten, heiße „nicht weinerlich“, sondern mit „selbstbewusstem Selbstverständnis“. Das kann man durchaus als Seitenhieb auf Habeck verstehen. Der hatte jüngst beklagt, dass der Gesetzentwurf durchgestochen worden sei und es eine miese Kampagne gegen sein Haus gebe. Da steckt man schnell in der Opferfalle.
Neue Härte
Doch nicht alle in der Partei finden eine neue Härte richtig. Die grüne Spitze hatte sich eigentlich darauf verständigt, sich als verantwortungsbewusste und staatstragende Kraft zu positionieren. Attacken könnten das gemeinsame Regieren noch schwerer machen, sorgt man sich etwa in der Parteizentrale. Und Fraktionschefin Dröge sagt: „Grundsätzlich bin ich der Ansicht, dass dieses ganze öffentliche Streiten einer Regierung nicht gut tut. In den Verhandlungen sind wir robust.“
Politikwissenschaftler Schroeder sieht noch ein Problem. „Wesentliche Wissensressourcen zum Thema Klimapolitik sind bei den Grünen monopolisiert. Das führt zu Unbehagen.“ Das könne man der Partei nicht vorwerfen – sie habe sich eben um Kompetenz bemüht, mehr als andere Parteien. Jetzt werde gefragt: „Brauchen wir nicht mehr Pluralität?“
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Trotz aller Kritik geht Schroeder davon aus, dass die Grünen grundsätzlich auf das gesellschaftliche Bewusstsein setzen können, dass eine Klimawende notwendig sei. „Bei den Instrumenten und beim Tempo aber müssen sie nachjustieren“, rät er. „Der Erfolg der Klimapolitik hängt ja davon ab, ob sie gelingt. Und sie gelingt nur, wenn man die Bürger zumindest nicht gegen sich aufbringt.“
„Der Zeitplan steht“, drängt dagegen Kassem Taher Saleh, der zuständige Berichterstatter der grünen Fraktion. Dreimal hab man bereits mit der der Ampel über das GEG verständigt. „Es muss jetzt mit der Wärmewende weiter gehen.“
„Ich halte es für klug, dass das Gesetz am 1. Januar 2024 in Kraft treten soll“, sagt auch Fraktionschefin Katharina Dröge. „Sonst würden wir das falsche Signal an die Menschen senden, dass es schlau ist, sich noch mal eine Gasheizung einzubauen. Das wäre nicht nur schlecht für den Klimaschutz, sondern auch ganz klar eine Fehlinvestition.“ Und: „Ich bin mir sicher, dass wir das Gesetz vor dem Sommer im Bundestag verabschieden, wie wir es in der Koalition gemeinsam mit dem Kanzler verabredet haben.“
Laut diesem Zeitplan soll das Gesetz in der kommende Woche im Bundestag eingebracht werden. Ob das wirklich passiert? Darüber wird ampelintern noch gerungen.
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