Grüne in Schleswig-Holstein: „Kamikaze, naiv, egoistisch?“
Robert Habeck holt sich das Votum des Landesverbandes für seine Kandidatur als Bundes-Spitzenkandidat. Fragen stellen sich zu Konstantin von Notz.
LÜBECK taz | Nach Rede, Beifall und Debatte blieb beim Landespartei der Grünen in Schleswig-Holstein eigentlich zunächst nur eine Frage unbeantwortet: Werde Robert Habeck hin und wieder Schlips tragen, wenn er denn 2017 für den Bundestag kandidierte? Dass Habeck, zurzeit Minister für Energie, Landwirtschaft und Umwelt in Kiel, diesen Schritt gehen soll, zeigten die gut 130 Delegierten in Lübeck mit standing ovations.
Über die Reaktion sei er erleichtert, sagte Habeck später: Er wolle „gemeinsam mit dem Landesverband auf die Reise gehen“. Die Reise soll den 45-Jährigen an die Spitze der Bundespartei führen. In der vergangenen Woche hatte Habeck erklärt, dass er bei einer möglichen Urwahl antreten würde: „Ich weiß, dass einige das für Kamikaze, egoistisch oder naiv und riskant oder alles zusammen halten“, sagte er. „Und einen Teil davon kann ich nicht ausschließen.“ Er mache der Partei ein Angebot, von dem er nicht wisse, ob es angenommen werde, aber schon allein wegen der Debatte um den richtigen Umgang habe sich die Kandidatur gelohnt.
Sein Angebot umriss er mit wenigen Sätzen: In einer Zeit, in der viele Menschen sich „biedermeierlich zurückziehen“, sich andere aber einbringen wollten, müssten die Grünen Stellung beziehen: „Wenn Gesellschaft mehr sein will als Bruttosozialprodukt, dann muss Wachstum auch im ethischen Sinn gedacht werden.“ Aber die Grünen dürften sich „nicht nur als Öko-Partei einsperren lassen“, sondern sich auch – „radikal und pragmatisch“ – der Grechtigkeitsdebatte stellen. Dabei gehe es nicht um mehr Transfer, sondern um mehr Teilhabe.
Unterstützung bekam er unter anderem von Mitgliedern der Landtagsfraktion. Fraktionschefin Eka von Kalben betonte, dass „im Land nicht alles zusammenbricht, wenn Robert geht“. Es sei positiv, „super Leute“ in den Bund entsenden zu können. Aus Schleswig-Holstein sitzen zurzeit drei Grüne im Bundestag. Da die ungeraden Listenplätze Frauen vorbehalten sind, könnte Habeck für Platz zwei antreten – den besetzt Konstantin von Notz, Experte für Netz- und Innenpolitik. „Ja, es gibt vielleicht eine Konkurrenz“, sagte Habeck in seiner Rede. Von Notz mache gerade aktuell in der Debatte um die BND-Affäre, „einen tollen Job, er ist die Pein der Großen Koalition“.
Die Schlipsfrage
Bis zur Wahl könne aber noch viel passieren, so Habeck: „Vielleicht wird Konstantin Chef des BND.“ Er zumindest kandidiere nicht gegen Menschen. Die Rolle Konstantin von Notz' – der selbst als frischgebackener Vater beim Parteitag fehlte – beschäftigte auch die Delegierten: „Die Aufteilung ist sehr erfolgreich, warum sollten wir das ändern?“, so der ehemalige Landtagsabgeordnete Torsten Fürter.
Eine Möglichkeit wäre, die Satzung zu ändern, um alle Plätze für Männer wie Frauen zu öffnen. Damit könnten Habeck wie von Notz in das sichere Spitzen-Trio einrücken. Das werde „immer mal wieder“ diskutiert, so die alte und neue Schleswig-Holsteinische Landesvorsitzende Ruth Kastner. „Es gibt dafür aber keine Mehrheit.“ Alternativ müssten die Grünen ein sehr gutes Landesergebnis erhalten oder von Notz eine stärkere Rolle im Land geben. Die Grünen bekannten sich beim Parteitag dazu, nach 2017 weiterregieren zu wollen – gern weiter mit SPD und der Minderheitenpartei SSW, sagte Kastner, die aber andere Konstellationen nicht ausschloss.
Und die Schlipsfrage? Darauf antwortete Habeck schon einmal bei einem Landesparteitag – mit einem Witz: „Was ist der Unterschied zwischen einem Kuhschwanz und einer Krawatte? Der Kuhschwanz verdeckt das ganze Arschloch.“
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