Grüne geben Pro7 erstes K-Interview: Botschaften für die Bubble
Wer für die Grünen antreten wird, das werden Robert Habeck oder Annalena Baerbock bei Pro7 erklären, nicht bei ARD und ZDF. Das ist zwiespältig.
W as hat Pro7, was ARD und ZDF nicht haben? Das erste TV-Interview mit Annalena Baerbock oder Robert Habeck. Das wird zur Prime Time am Montag in dem Privatsender laufen. Moderiert von Thilo Mischke und Katrin Bauerfeind. Was bedeutet diese Entscheidung für die deutsche Medienlandschaft? Und was erzählt sie über die Lage von ARD und ZDF?
Man könnte diesen Schritt cool und konsequent finden. Bei vielen politischen Sendungen auf Pro7, meist in Zusammenarbeit mit Joko und Klaas, fand ich die Haltung hinter den politischen Prime-Time-Abenden richtig. Weil Pro7 damit auch noch unglaubliche Zuschauerzahlen hatte, ist diese grüne Interview-Premiere scheinbar verständlich.
Und doch ist diese Entscheidung problematisch. Denn sie wertet einen Privatsender auf. Man stelle sich Ähnliches für Rechte vor – AfD-Spitzenkandidat*innen würden wichtige Interviews bei einem von Steve Bannon erfolgreich in Europa implementierten Sender geben. Die Grünen treiben mit ihrer Entscheidung womöglich die Privatisierung von Nachrichtenformaten voran und leiten eine Veränderung der deutschen Medienlandschaft in Richtung USA ein. Irgendwann talken Baerbock oder Habeck eben bei Pro7, Söder bei einem FOX-ähnlichen Sender usw.
Die öffentlich-rechtlichen Sender sollten jedoch Diskurse in ihrer Breite abbilden und möglichst alle Milieus erreichen. Je repräsentativer der Querschnitt, desto eher kann man von einer „gemeinsamen Öffentlichkeit“ sprechen. Das Zersplittern der Diskursräume in Blasen und Bubbles Gleichgesinnter ist ein Problem der westlichen Demokratien. Deutschland leistet sich ein öffentlich-rechtliches Fernsehen und Radio, weil es einen gemeinsamen Marktplatz der Ideen geben soll.
Ein historisches Interview
Dass dieser Marktplatz der Meinungen und Nachrichten nun ausgerechnet von den Grünen in Richtung der Privatsender verschoben wird, mag wahlstrategisch ein schlauer Move sein, weil die Grünen so jüngere Wähler*innen erreichen. Für die Debatte über den Rundfunkbeitrag und den Stellenwert der öffentlich-rechtlichen Nachrichtensender ist dieser Schritt von Nachteil. Dieses Pro7-Interview hat schon jetzt etwas Historisches. Erstmals nominieren die Grünen jemanden fürs Kanzler*innenamt, vielleicht sogar eine der jüngsten Politikerinnen je.
Dieses Pro7-Format wird weniger klassischer politischer Journalismus sein als Unterhaltung mit einer gewissen politischen Informiertheit. Thilo Mischke hat zwar einen viel gelobten Dokumentarfilm gedreht, ist aber nicht Marietta Slomka. Katrin Bauerfeind dürfte im Moment noch nicht einmal einen politischen Dokumentarfilm im Portfolio haben, hat aber immerhin für 3sat schon mal Winfried Kretschmann assistiert. Das Videodokument ihrer politischen Versiertheit findet sich noch auf Youtube.
In den USA würde kein TV-Sender darauf verzichten, Präsidentschaftskandidat*innen die besten Politikjournalist*innen des Landes gegenüber zu setzen, interviewerfahren und grill-begabt. Schön, wenn man nun in Deutschland lockerer sein und mehr Jüngere erreichen will. Doch das erste Interview nach der ersten Nominierung eines grünen Kanzlerkandidaten oder einer Kanzlerkandidatin im Insta-Talk-Modus im Privatfernsehen? Nein, danke.
Was Pro7 besser macht
Pro7 hat im letzten Jahr in Sachen innovativer Formate bei gesellschaftlich brisanten Themen ARD und ZDF hinter sich gelassen. Pro7 hat sich in Zeiten, in denen ARD und ZDF bei manchen Themen Ethik und Gesetz für Meinung halten, für eine klarere journalistische Haltung entschieden. Gesellschaftliche Themen wurden von den Grundrechten und der sozialen Frage her aufgearbeitet, anstatt vorauseilend dem Shitstorm der Rechten auszuweichen.
Seit Pegida haben die Öffentlich-Rechtlichen ihren Auftrag, die Gesellschaft in ihrer Vielfalt zu erreichen und zu repräsentieren, falsch interpretiert – 15 Prozent haben nicht dasselbe Gewicht wie 85 Prozent. Auf rechte Shitstorms weiß man oft keine adäquate Antwort.
Es scheint an Kompetenz zu fehlen, um rechte Netzwerke in den sozialen Medien zu durchdringen. Nur so konnte es zu dem WDR-Umweltsau-Gate kommen. Die öffentlich-rechtlichen Sender haben laut Satzung den Auftrag, gesellschaftliche Vielfalt abzubilden. Doch derzeit gewinnen die Wutbriefschreiber. Die anderen wenden sich ab. Etwa zu Pro7.
Ödes Pro & Contra
Das Ergebnis sieht oft so aus: Wird etwa in einer Sendung der Öffentlich-Rechtlichen über das Sterben der Menschen im Mittelmeer berichtet oder in einem Kommentar die Rettung dieser Menschen als moralische Pflicht beschrieben, so muss ein Kommentar folgen, der Geflüchtete an Europas Rändern selbst für ihre missliche Lage verantwortlich macht.
Pro7 hingegen hat in den letzten Jahren die Sea-Watch-Kapitänin Pia Klemp reden lassen, die wegen Rettung von Menschen auf See angeklagt wurde. Als Carola Rackete festgenommen wurde, übte man sich in öffentlich-rechtlichen Formaten munter im Pro-Contra Rackete versus Salvini. Dabei wurde die Seenotretterin in allen Anklagepunkten von der Justiz freigesprochen.
Pro7 setzte hingegen, gemeinsam mit Joko und Klaas, darauf, die Verletzung von Grund- und Menschenrechten anzuprangern. Und Pro7 widmet sich in einer Sendung sieben Stunden lang einer Pflegekraft – und führte so Jens Spahn vor. Darauf hätten auch ARD oder ZDF kommen können.
Vielleicht verstehen ARD und ZDF die Entscheidung der Grünen als Lektion. Vielleicht lernen sie, dass Vielfalt nicht heißt, „auch rechte Positionen“ zu zeigen, sondern vor allem auch junge, migrantische, feministische und menschenrechtliche. Doch wer, wie bei den „Tagesthemen“, den „politischen Kommentar“ lieber „Meinung“ nennt, dem wird auch der Mut für die politische Prime Time fehlen, mit der Pro7 seit Monaten von sich reden macht.
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