Grün statt Grau: Kreuzberg an der Seine
Friedrichshain-Kreuzberg will mehr Grün. Eine Studie im Auftrag der grünen Umweltstadträtin Clara Herrmann zeigt nun, wie das gehen könnte.
Ein bisschen weht gerade Pariser Wind durch das Rathaus in der Kreuzberger Yorckstraße. So wie die Uferstraßen an der Seine im Sommer für den Autoverkehr gesperrt werden, soll es künftig auch am Landwehrkanal zugehen. Am Halleschen Ufer könnte auf der Nordseite eine Promenade entstehen. Der Autoverkehr soll dann in beiden Richtungen auf der Südseite stattfinden. Das sieht eine Potenzialanalyse mit dem Titel „Mehr Grün in Friedrichshain-Kreuzberg“ vor, die die Bezirksstadträtin für Umwelt Clara Herrmann (Grüne) an diesem Montag veröffentlicht.
„Wir leben in einer Zeit, in der uns der Klimawandel vor große Herausforderungen stellt“, sagt Herrmann. „Mit der Studie wollen wir Vorschläge erarbeiten, wie wir mehr Grün und weniger Grau bekommen. Wir wollen alle ein lebenswertes Friedrichshain-Kreuzberg, in dem man durchatmen und nachts schlafen kann.“
Dass der Bezirk mehr Grün verdient hat, zeigen die Zahlen. Fast 190.000 Menschen leben in Friedrichshain-Kreuzberg auf 20,4 Quadratkilometern, 14.172 Personen pro Quadratkilometer. Damit ist der Bezirk der am dichtesten besiedelte in Berlin. Wegen seiner Insellage, heißt es in der Studie, bestehe für die Bewohnerinnen und Bewohner nicht die Möglichkeit, „im direkten Umfeld aus der Stadt und in das grüne Umland zu gelangen“. Damit nehme die Bedeutung von Parks und Erholungsanlagen eine größere Rolle als in anderen Bezirken ein.
Wenig Grün, viel Versiegelung
Das ist sicher das spektakulärste Projekt, das die Potenzialanalyse „Mehr Grün in Friedrichshain-Kreuzberg“ vorschlägt: Gegenüber dem Museum für Verkehr und Technik soll auf der Nordseite des Landwehrkanals eine Promenade entstehen. Aus dem Halleschen Ufer soll die „Parkpromenade Hallesches Ufer“ werden.
Doch das ist bislang nur ein „Vorschlag“, wie es die bezirkliche Umweltstadträtin Clara Herrmann (Grüne) nennt. Denn für übergeordnete Straßen wie das Hallesche Ufer ist nicht die untere Straßenverkehrsbehörde des Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg zuständig, sondern die Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz von Senatorin Regine Günther (Grüne). Mit der aber, so Herrmann, habe es bislang keine Gespräche gegeben.
Sollten sich Bezirk und Senat dennoch auf die Parkpromenade Hallesches Ufer einigen, wäre es nach der Friedrichstraße in Mitte, die ab Sommer für ein halbes Jahr für den Autoverkehr gesperrt werden soll, das zweite große Projekt eines autofreien Stadtumbaus. Zwar bezeichnen die Autorinnen und Autoren der Studie das Vorhaben zunächst als „temporär“, sie lassen aber keinen Zweifel daran, dass sie langfristig die Vision einer Promenade verfolgen, die vom Mehringplatz bis zum Tiergarten reicht. Allerdings müsste dann neben dem Senat auch das Bezirksamt Mitte mit im Boot sein.
Konkret geht es bei dem Projekt um neue Zugänge zum Landwehrkanal durch Sitzstufen und einen Fußweg am Wasser zu. Die Promenade selbst soll eine „großzügige Mischverkehrsfläche für Fußgänger und Radfahrer“ werden. Darüber hinaus sollen „Versickerungs- und Verdunstungsflächen durch Baumpflanzungen und Urban Wetlands“ entstehen. Der Autoverkehr in beide Richtungen soll dagegen komplett auf die südliche Seite des Ufers – die des Technikmuseums – verlegt werden. (wera)
Doch mit Grün ist der Bezirk nicht allzu üppig ausgestattet. So beträgt der Versiegelungsgrad in Berlin im Schnitt 32,8 Prozent, in Friedrichshain-Kreuzberg sind 64,4 Prozent der Bezirksfläche überbaut. Die Folge: „Die vorhandenen Grünflächen sind aufgrund ihrer Zentrumsnähe und der großen Beliebtheit des Bezirks einem erhöhten Nutzungsdruck ausgesetzt.“
Diesem Druck soll nun mit dem Ausbau der so genannten grünen und blauen Infrastruktur entgegengewirkt werden. Dass das in weiten Teilen zu Lasten der „grauen Infrastruktur“, also von Straßen und Parkplätzen, gehen wird, verschweigen die Autorinnen und Autoren der Studie, die von den Büros bgmr Landschaftsarchitekten und yello z urbanism architecture erstellt wurde, nicht. „Als Potenzialflächen für ein ‚Mehr an Grün‘ sind sowohl bestehende Grünräume, aber auch Straßenräume, Wasserlagen und die gebaute Struktur zu untersuchen“, heißt es.
So können zum Beispiel bestehende Grünflächen und Parkanlagen etwa durch mehr Vielfalt bei der Bepflanzung an die neuen Herausforderungen des Klimawandels angepasst werden. Zudem soll künftig „eine ausreichende Pflege des Bestands zur Wiederherstellung“ gegeben sein. Aber auch neue Flächen für Grünanlagen hat die Potenzialstudie ausgemacht: auf dem RAW-Gelände etwa oder der nördlichen Lohmühleninsel, wo derzeit noch Gewerbe angesiedelt ist. Auch die Neugestaltung von Sportplätzen und Schulhöfen sowie die Intensivierung der Dach- und Fassadenbegrünung sind Teil der Studie.
Dass das alles Geld kostet, liegt auf der Hand. Insbesondere dann, wenn auch die Friedhöfe im Bezirk als neue, potenzielle Grünflächen identifiziert werden. Um nicht mehr benötigte Friedhofsflächen vor Bebauung zu sichern, fordert der Bezirk, „frühzeitig Kaufansprüche geltend zu machen, damit die Flächen als Grünflächen mit Parkcharakter gesichert werden“. Dabei soll „der Erwerb von Friedhofsflächen frühzeitig in der Haushaltsplanung berücksichtigt werden, um einen schnellen Zugriff zu ermöglichen“.
Umbau von Plätzen geht ohne Senat
„Im Bezirkshaushalt haben wir dafür noch keine Gelder ausgewiesen“, räumt Umweltstadträtin Herrmann ein. Allerdings seien solche Mittel im Sondervermögen der wachsenden Stadt, dem Siwana-Fonds, vorgesehen. „Generell wollen wir aber versuchen, Friedhofsflächen auch ohne Ankauf als Grünflächen zu sichern“, so Herrmann. „Mit den alten Baumbeständen und ihrer biologischen Vielfalt sind diese besonders wertvoll.“
Ein zweites Projekt, das die Autorinnen und Autoren der Studie vorschlagen, ist die Umgestaltung des Boxhagener Platzes in Friedrichshain. Ziel dabei ist „die Entlastung des übernutzten Stadtplatzes“.
Dafür wird der Boxhagener Platz im Grunde in zwei Hälften geteilt. Auf der zur Nordseite hin gelegenen Grünbergerstraße bleibt zunächst alles beim Alten. Der Umbau konzentriert sich stattdessen auf die zur Krossener Straße hin gelegene Südseite. Hier soll der Autoverkehr verschwinden und über die Gärtnerstraße, die Grünberger Straße und die Gabriel-Max-Straße umgeleitet werden.
Anschließend soll die Krossener Straße zwischen Gabriel-Max-Straße und Gärtnerstraße entsiegelt werden. Anstelle des Asphalts sollen „Urban Wetland“ genannte Retentions- und Verdunstungsbeete angelegt werden. Diese sollen das Regenwasser davon abhalten, sofort in die Mischwasserkanalisation abzufließen. Stattdessen soll nach dem Prinzip der Schwammstadt vor allem im Sommer für mehr Verdunstung und Abkühlung gesorgt werden. In der Potenzialanalyse gibt es auch Überlegungen, inwieweit eine solche Platzgestaltung übertragbar ist. So heißt es, dass auch der Rudolfplatz, der Hohenstaufenplatz und der Petersburger Platz in gleichem Maße umgebaut werden könnten.
Laut Umweltstadträtin Clara Herrmann (Grüne) soll dem Rudolfplatz im gleichnamigen Rudolfkiez nördlich der Stralauer Allee dabei die Rolle eines Pilotprojekts zukommen. „Hier wollen wir als Bezirk mit dem Umbau eines Platzes beginnen.“ Anders als bei der Umgestaltung des Halleschen Ufers zu einer Promenade handelt es sich bei der Rudolfstraße um keine Straße von übergeordneter Bedeutung. Ein Umbau kann also auch ohne Beteiligung der Senatsverwaltung für Verkehr stattfinden. (wera)
Mit Sicherheit werden aber die Vorschläge zur Verbesserung der „blauen Infrastruktur“ Geld kosten, etwa neue Zuwegungen zur Spree und zum Landwehrkanal. Wo die Bebauung direkt ans Wasser geht, sollen vorgelagerte Stege errichtet werden. „Mit dieser Lösung können besondere Orte am Wasser entstehen“, heißt es in der Potenzialanalyse.
Am konfliktträchtigsten dürfte der Umbau der grauen Infrastruktur werden. So soll die Promenade am nördlichen Ufer des Landwehrkanals nicht nur temporär entstehen, sondern als „langfristige Vision“. Sie soll eine ganze Kette von Grünflächen miteinander verbinden: angefangen vom Kulturforum über den Park am Karlsbad, den Tilla Durieux-Park, den Park am Gleisdreieck, den Elise Tilse Park bis zum Mehringplatz und zum Urbanhafen.
Dass da nicht nur andere Bezirke, sondern auch der Senat ein Wörtchen mitzureden hat, ist Herrmann bewusst: „Wir haben mit der Studie erste Vorschläge gemacht“, bremst sie die Erwartungen. „Konkrete Gespräche mit der Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz gibt es noch nicht.“ Sie glaubt aber, dass sie mit ihren Vorschlägen auf offene Ohren stößt. „Aus unserer Sicht ist das die Stadt der Zukunft.“
Anders als am Halleschen Ufer kann der Bezirk an untergeordneten Straßen und Plätzen eigenständig mit der Wende zu mehr Grün beginnen. „Wir wollen in der Rudolfstraße ein Pilotprojekt für einen blau-grünen Stadtplatz starten“, kündigt Umweltstadträtin Clara Herrmann an. Mit einem dezentralen Regenwassermanagement und Schild soll für eine stärkere Verdunstung und Abkühlung gesorgt werden.
Als weiterer Platz soll dann die Südseite des Boxhagener Platzes begrünt werden. „Wir werden nicht alle Vorschläge aus der Studie sofort umsetzen können“, sagt Herrmann. „Aber wir wollen eine Perspektive aufzeigen für konkreten Klimaschutz und für mehr Lebensqualität.“
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