piwik no script img

Großbritanniens VerteidigungspolitikNach dem Brexit

Dominic Johnson
Kommentar von Dominic Johnson

Ja, man darf hinterfragen, ob mehr Projektion militärischer Macht richtig ist. Aber immerhin macht sich die britische Regierung Gedanken.

Boris Johnson beim Besuch britischer Truppen in Estland im Dezember 2019 Foto: Stefan Rousseau/reuters

G roßbritannien braucht eine neue Außenpolitik. Der Brexit, der Aufstieg Chinas und das parallele Verblassen der USA – all das wirbelt die bisherigen Rahmenbedingungen durcheinander. Es ist also kein Zufall, dass Premierminister Boris Johnson seine bisher inhaltsreichste Grundsatzerklärung dazu kurz vor dem Abschluss der Verhandlungen über die zukünftigen Beziehungen zwischen Großbritannien und der EU, kurz nach Joe Bidens Wahlsieg in den USA und kurz vor der britischen Übernahme der G7-Präsidentschaft abgegeben hat.

Ein „Ende der Ära des Rückzugs“ verspricht der Premier, und Oppositionsführer Keir Starmer pflichtet ihm bei: „Großbritannien muss globale Führung ausüben.“ Schon wieder parteiübergreifender Konsens – nur einen Tag nach Vorstellung eines ambitionierten Programms zur grünen Modernisierung, das ebenfalls auf breite Zustimmung stieß. Beide versprechen nebenbei erhebliche Investitionen und neue Arbeitspätze im Land selbst.

Die Erhöhung der britischen Militärausgaben um 24,1 Milliarden Pfund (27 Milliarden Euro) über vier Jahre – dreimal so viel wie im Wahlprogramm 2019 versprochen – ist dabei der spektakulärste Schritt. London will damit auf Dauer der stärkste Nato-Partner der USA bleiben – ein Rang, den Frankreich ihm gerne streitig machen würde. Ebenso will Großbritannien Europas Marinemacht Nummer eins sein, mit globaler Präsenz ab 2023. Und wie auch sonst in Johnsons Programmatik eines „Global Britain“ geht es um technologische Innovation: „Das Rennen machen die Schnellsten und Agilsten, nicht notwendigerweise die Größten.“

Wie immer bleibt abzuwarten, ob aus Rhetorik auch Realität wird, und man darf hinterfragen, ob mehr Projektion militärischer Macht quer über die Welt richtig ist. Aber man kann der britischen Regierung nicht vorwerfen, dass sie sich keine Gedanken machen würde. Europa, vor allem Deutschland, tut sich da viel schwerer. Wenn Johnson zeigen will, dass Großbritanniens Politik ohne EU „schneller und agiler“ wird, ist das mit den beiden Ankündigungen in den Bereichen Ökologie und Militär geglückt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Dominic Johnson
Ressortleiter Ausland
Seit 2011 Co-Leiter des taz-Auslandsressorts und seit 1990 Afrikaredakteur der taz.
Mehr zum Thema

10 Kommentare

 / 
  • „Großbritannien muss globale Führung“ ausüben soso. Vielleicht erst einmal eine Führung haben, die den Brexit endlich hinbekommt.



    Den Briten ist vielleicht entgangen, dass ihr Empire nach dem Ende des Ersten Weltkriegs immer weiter schrumpfte und heute nur noch in den Geschichtsbüchern existiert.



    Ohne Mitgliedschaft in einer Gruppe wie der EU, kann das Inselvolk vielleicht davon träumen ein Global Player zu sein, mehr aber auch nicht.



    Denn die USA oder die EU werden sich bestimmt nicht den Regularien GBs anpassen, sondern eher anders herum.



    Und sollte Schottland seine Drohung wahrmachen ein weiteres Referendum abzuhalten, dann wird wohl nur noch ein Kleinbritannien übrigbleiben.

  • 0G
    06438 (Profil gelöscht)

    ""Wenn Johnson zeigen will, dass Großbritanniens Politik ohne EU „schneller und agiler“ wird, ist das mit den beiden Ankündigungen in den Bereichen Ökologie und Militär geglückt.""



    ==



    Sorry for the question - this is a typical Johnson misperformance?

    1.. Das britische Finanzministerium ist nicht bereit, ausreichende Finanzen für wichtige Pinkte des 10-Punkte-Plans des Premierministers für den Übergang zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft bereitzustellen.

    Hauen und Stechen ist angesagt - mit denjenigen, welche Handbremsen hinsichtlich des Klimaschutzes einlegen wollen.

    2..UK wehrt sich gegenwärtig mit Händen und Füssen gegen das sogenannte level playing field. Das bedeutet, das selbst bei den Klimaschutzanforderungen der EU - UK sich die Möglichkeit einräumen möchte, diese zu unterlaufen.

    Auch vertragliche Verbindlichkeiten, schnell auf Vertragsverletzungen reagieren zu können wird von UK abgelehnt. Warum wohl?

    Boris Johnson erzählt vieles wenn der Tag lang ist. Wieviele von seinen Ankündigen hat er bislang eingehalten?

    3. UK`s Schuldenstand liegt derzeit bei über 102% des BSP. Sunak hat heute Lohnerhöhungen im öffenlichen Sektor abgelehnt - mit der Begründung das er gerade 200 Milliarden in die Abmilderung der Covid 19 Folgen gesteckt hat.



    Die Netto Schuldenaufnahme UK`S liegt derzeit höher als bei der Finanzkrise 2008 - die in UK immer noch nachwirkt. (!)

    4.. Die wirtschaftlichen Aussichten UK`S sind miserabel - derzeit Platz Nr. 28 in Europa. (hinter Spanien)

    Ob die Massnahme, die britische Rüstungsindustrie überproprtional zu subventionieren die richtige ist, das Land aus dem Stillstand heraus zu holen, darf bezweifelt werden.

    5..Mit Beginn des Brexits 2015/16 hat das britische Pfund bereits 20 % an Wert verloren - Tendenz weiter fallend. Die Möglichkeiten, die Johnson jetzt noch hat aus dem Covid - Brexit Schlamassel heraus zu kommen sind also ziemlich begrenzt - auch deswegen weil Boris derzeit verzweifelt Investoren sucht.

  • "Europa, vor allem Deutschland, tut sich da viel schwerer."

    Moment mal, Deutschland tut ja schon wieder alles dafür, das wir keine europäische Linie haben.

    Der böse Donald ist weg und wir kehren wieder unter die schützenden Schwingen des Weißkopfseeadlers zurück. Das hat doch unser IBuK in den letzten Tagen mehr als deutlich gemacht.

    Wir wollen einen "New Deal" mit den USA, das mit dem, Europa muss sich selbst verteidigen, war alles leeres Geschwätz. Auf uns kann man sich nicht verlassen, einfach schlicht nicht vertrauenswürdig und unserem eigentlich wichtigsten Verbündeten fahren wir an den Karren und zwar in schöner Regelmäßigkeit.

    Aus der Rede der Verteidigungsministerin am 17.11.20 an der BW Uni in HH.

    "Dieses Paradox müssen wir aushalten: wir bleiben sicherheitspolitisch von den USA abhängig und müssen gleichzeitig in Zukunft als Europäer mehr von dem selbst tun, was uns die Amerikaner bisher abgenommen haben. Die Idee einer strategischen Autonomie Europas geht zu weit, wenn sie die Illusion nährt, wir könnten Sicherheit, Stabilität und Wohlstand in Europa ohne die NATO und ohne die USA gewährleisten."

    20201117-dl-grundsatzrede-unibwhh-data.pdf

    Klarer konnte man doch Präsident Macron nicht eod zu seinem Projekt europäische strategische Autonomie sagen.

    • 0G
      06438 (Profil gelöscht)
      @Sven Günther:

      Antimilitarismus und ein gemeinsames Europa bedeutet doch nicht die militärische Macht der Feinde der Europäischen Union zu verklären und das eigene Potential falsch einzuschätzen.

      Wenn dem so wäre bedeutet das sehenden Auges gegen die Wand zu fahren - und sich in Abhängigkeit der Feinde Europas zu begeben.

      Im öffentlichen politischen Sprachjargon wird aus gutem Grund nicht von feindlich agierenden Nationen gesprochen - trotzdem die feindlichen Handlungen für jederman



      offen sichtbar auf dem Tisch liegen.

      AKK scheint deshalb mit der Offenlegung der wiedersprüchlichen politischen Haltung nicht ganz so falsch zu liegen.

      Ansonsten - an sie gerichtet - sie leben in einem Land, welches sich im Falle eines Falles nicht selbsttätig verteidigen könnte - auch nicht mit französischer Hilfe.

      In der Konsequenz bedeutet Ihre Argumentation die Bundeswehr zu Kanonenfutter degradieren zu wollen ohne Chance auf eine eigene wirksame Verteidigung.

      Waffenruhe gründet sich derzeit auf einen Gleichstand der Kräfte. Geben sie den Gleichstand auf - aus welcher Art der Verwirrung auch immer - machen sie militärische Konflikte erst wahrscheinlich.

      • @06438 (Profil gelöscht):

        Sie haben mich da missverstanden.

        Ich war bei der BW, das ihre Fähigkeiten teilweise auf dem Niveau des Volkssturms liegen, ist mir bewusst. Und auch wenn, auch in der taz, von einer Militarisierung des Landes fantasiert wird, hat mit der Realität nichts zu tun.

        Ich plädiere auch nicht dafür aus der NATO auszutreten, aber der französische Weg ist der Richtige. Wir müssen perspektivisch anstreben, uns als EU auch selber verteidigen zu können, AKK torpediert das.

  • Wenn Johnson zeigen will, dass Großbritanniens Politik ohne EU „schneller und agiler“ wird, ist das mit den beiden Ankündigungen in den Bereichen Ökologie und Militär geglückt.



    #



    Schöner Schlusssatz aber wahrscheinlich einen "freudsche Fehlleistung":-))



    BoJo als "Ankündigungs-Premier(1)", bezeichnet DEN wohl allumfassend:-)



    Gr Sikasuu



    (1) Den Begriff "Heiß-Luft-Premier" habe ich mir verkniffen:-)

  • Wäre das Geld woanders nicht gerade im Moment besser eingesetzt?

    • @Patricia Winter:

      Was kann wichtiger sein, als Weltmachtsphantasien?

      • @warum_denkt_keiner_nach?:

        Auch wieder wahr.

  • „Großbritannien muss globale Führung ausüben.“

    Die Weltmachtphantasien in der EU sind ja schon leicht größenwahnsinnig. Für eine Regierung, die noch nicht einmal sicher sein kann, ob sie in einem Jahr noch die ganze Insel regiert, ist es grotesk, sich so aufzublasen.

    "London will damit auf Dauer der stärkste Nato-Partner der USA bleiben – ein Rang, den Frankreich ihm gerne streitig machen würde."

    Der Schlagabtausch Macron - Karrenbauer hat deutlich gezeigt, dass der französische Präsident in Zukunft ohne die USA und die NATO auskommen will. Um die Rolle des treuen Satrapen buhlen nur Teile der deutschen Politik.