Großbritannien nach dem Brexit: Die Preise steigen jetzt schon
Seit dem Brexit-Votum hat das Pfund gegenüber anderen Währungen an Wert verloren. Die Briten werden das wohl bald beim Einkauf spüren.
„Es ist die betriebsamste Zeit des Jahres“, sagt Bowles. Die zusätzlichen Kosten schlügen sich letztlich in höhere Preisen für die Waren nieder, die er transportiert. „Diese Kosten müssen weitergegeben werden.“
Das Pfund hat gegenüber dem Dollar mehr als fünf Prozent seines Wertes verloren, seit Premierministerin Theresa May am 2. Oktober ankündigte, bis Ende März den offiziellen Antrag für den Austritt ihres Landes aus der EU einzureichen. Mays Äußerungen lassen vermuten, dass ihre Regierung versuchen wird, den Zustrom von Einwanderern aus der EU zu begrenzen. Das könnte bedeuten, dass Großbritannien den Zugang zum EU-Binnenmarkt verlöre – ein schwerer Schlag für viele britische Unternehmen.
Der Devisenmarkt war von dieser Aussicht alles andere als begeistert. Und es kam noch schlimmer, als der französische Präsident François Hollande einige Tage später erklärte, die EU werde es London nicht leicht machen. Seit dem 23. Juni, dem Tag des Referendums über den Brexit, fiel das britische Pfund gegenüber dem Dollar um mehr als 18 Prozent. Ein schwächeres Pfund bedeutet, dass Importeure mehr für Waren bezahlen müssen, die sie aus dem Ausland einführen. Und sie dürften diese Kosten an die Verbraucher weitergeben.
„Zuerst werden wir das bei verderblichen Nahrungsmitteln wie Brot, Eiern und Milch sehen“, sagt Daniel Vernazza, Chefökonom bei UniCredit in Großbritannien. Der wöchentliche Einkauf werde teurer, der Preis für eine Tankfüllung ebenso wie die Kosten für einen Urlaub, insgesamt „eine ganze Reihe von Waren und Dienstleistungen“.
Notenbank in der Zwickmühle
Manche Preissteigerung dürfte rasch durchschlagen, doch der vollständige Effekt wird sich erst in einem Jahr oder noch später zeigen. Denn viele Im- und Exporteure sind an Verträge gebunden, die sich über mehrere Monate erstrecken. „Jemand wird am Ende dafür zahlen, und das werden Sie und ich sein, wenn wir am Wochenende einkaufen“, sagt Familienunternehmer Bowles.
Die Bank of England erklärte in einem im August veröffentlichten Quartalsbericht, große Einbrüche beim Pfund trieben die Importpreise in die Höhe, was sich wiederum in den kommenden Jahren auf die Verbraucherpreise auswirken werde. Das dürfte die jährliche Inflationsrate über das von der Bank angestrebte Ziel von zwei Prozent treiben. Ende 2017 werde das Ziel allerdings voraussichtlich wieder erreicht, erklärte die Notenbank.
Damit steckt die Bank in einer Zwickmühle: Erst im Sommer senkte sie den Leitzins auf das Rekordtief von 0,25 Prozent, um die Konjunktur zu beleben. Doch solch niedrige Raten tragen zur Schwächung der Währung bei, und die Aussicht auf einen unerwartet schnelleren Anstieg der Inflation könnte dazu führen, dass sie ihre Strategie ändern und die Zinsen in den kommenden Monaten möglicherweise wieder anheben muss. Der Nachteil ist, dass dies Hypotheken verteuern und das Wirtschaftswachstum drosseln würde.
Preise könnten um drei Prozent steigen
Von Vorteil ist, dass die Inflation von einem niedrigen Niveau steigt: Im September lag die Rate bei lediglich 0,6 Prozent. Doch für die Verbraucher ist dies wenig tröstlich, da ihre Lebenshaltungskosten stetig steigen dürften. Manche Ökonomen erwarten für 2017 und 2018 einen Anstieg der Preise um durchschnittlich drei Prozent. Doch sollte das Pfund weiter fallen – von aktuell rund 1,21 gegenüber dem Dollar etwa auf 1,10 – könnte die Inflation der Verbraucherpreise 2018 bei vier Prozent liegen, sagt Samuel Tombs von Pantheon Macroeconomics.
Und es könnte noch schlimmer kommen. Großbritannien hängt stark von ausländischen Investitionen ab. Die Leistungsbilanz lag im vergangenen Jahr mit 5,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts im Minus, was dem größten Defizit seit Beginn der Aufzeichnungen 1948 entspricht. Das bedeutet, dass Großbritannien mehr einführte und Investitionen ins Land holte, als es exportierte und im Ausland investierte. Das Pfund „ist jetzt extrem volatil, und das große Leistungsbilanzdefizit deutet darauf hin, dass es weiter fallen wird, wenn bei ausländischen Investoren die Sorge wächst, dass sich die britische Regierung für einen harten Brexit entscheidet“, sagt Tombs.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Weltpolitik in Zeiten von Donald Trump
Schlechte Deals zu machen will gelernt sein
Einführung einer Milliardärssteuer
Lobbyarbeit gegen Steuergerechtigkeit
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Trump macht Selenskyj für Andauern des Kriegs verantwortlich
Wahlarena und TV-Quadrell
Sind Bürger die besseren Journalisten?
Emotionen und politische Realität
Raus aus dem postfaktischen Regieren!