: Großbritannien macht sich kriegstüchtig
Neue Sicherheitsstrategie der Labour-Regierung kündigt an, „härter und schärfer“ aufzutreten
Von Dominic Johnson
Großbritannien muss sich auf Krieg vorbereiten – das ist die zentrale neue Aussage der neuen „Nationalen Sicherheitsstrategie“, die die britische Labour-Regierung pünktlich zum Auftakt des Nato-Gipfels am Dienstagabend veröffentlicht hat. „Zum ersten Mal seit vielen Jahren müssen wir uns aktiv auf die Möglichkeit vorbereiten, dass das britische Territorium direkt bedroht wird, potenziell in einem Kriegsszenario“, heißt es. „Krieg zwischen Großmächten, eine internationale Sicherheitskrise oder eine Lage mit multiplen Unwägbarkeiten in mehreren Regionen ist eine tatsächliche Möglichkeit.“
Die neue Sicherheitsstrategie tritt an die Stelle der letzten aus dem Jahr 2015, die danach mehrmals überarbeitet wurde, zuletzt im Jahr 2023 unter dem letzten konservativen Premierminister Rishi Sunak. Damals war Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine eingearbeitet und die Erwartung einer weiteren Verschlechterung der internationalen Sicherheitslage analysiert worden. „Das Risiko der Eskalation ist größer als seit Jahrzehnten“, hatte es 2023 geheißen.
Heute lautet das Risiko nicht „Eskalation“, sondern „Krieg“. Die Regeln der Weltordnung erodieren, die Fundamente der Stabilität sind bedroht, heißt es. Schon in den Vorarbeiten zu der Sicherheitsstrategie waren sich Experten einig gewesen, dass Russland die größte unmittelbare Bedrohung für Großbritannien darstellt. Im Dokument wird jetzt auch die zunehmende Zusammenarbeit feindlicher Staaten hervorgehoben: „Autoritäre Staaten errichten mehrjährige Pläne, um liberale Demokratien in allen Gebieten zu übertreffen, von militärischer Modernisierung bis zur Entwicklung von Wissenschaft und Technologie, von ihren Wirtschaftsmodellen bis zum Informationsraum“. Angesichts dessen müsse Großbritannien einerseits „starke Bündnisse“ pflegen – einschließlich der EU – und andererseits seine nationalen Interessen besser wahren und verteidigen. „Härter und schärfer“ müsse die britische Sicherheitspolitik werden.
Labour grenzt sich von den Konservativen ab, indem äußere und innere Sicherheit als Einheit gesehen werden: Investitionen in Sicherheit und Rüstung sollen auch ganz bewusst ökonomische und gesellschaftliche Vorteile bringen. Eine Stärkung der nationalen Rüstungsindustrie war bereits ein Kern des Anfang Juni veröffentlichten „Strategic Defence Review“, das die Ausgabenpläne im Militärbereich für die nächsten Jahre vorstellte. Die Sicherheitsstrategie geht jetzt noch weiter: „Wir müssen jedes Element der Gesellschaft zugunsten einer kollektiven nationalen Anstrengung mobilisieren.“
Der größte Schwachpunkt der aktuellen britischen Sicherheitsdebatten bleibt aber auch jetzt ungeklärt: Wo kommt das Geld her? Das neue Dokument nennt zwar die „historische Verpflichtung“ einer Erhöhung der sicherheitsrelevanten Staatsausgaben auf 5 Prozent des BIP bis zum Jahr 2035, 3,5 Prozent davon Militärausgaben, entsprechend der neuen Nato-Beschlusslage. Die geltende Haushaltsplanung der Labour-Regierung sieht lediglich vor, bis zum Jahr 2027 auf 2,6 Prozent zu kommen. Sollte sich weder daran noch an der Weltlage etwas ändern, müsste eine spätestens 2029 wiederzuwählende Labour-Regierung in ihrer zweiten Amtszeit die Militärausgaben viel stärker erhöhen als bisher.
Schon die bisher eingepreisten mageren Steigerungen gehen an die Schmerzgrenze der Labour-Partei, da sie mit Kürzungen bei Sozialausgaben einhergehen. Einige davon musste Finanzministerin Rachel Reeves bereits vor zwei Wochen zurücknehmen. Andere sollen nach wie vor am Dienstag nächster Woche zur Abstimmung im Parlament kommen, trotz einer drohenden massiven Revolte in der Labour-Fraktion. Vizepremierministerin Angela Rayner bekräftigte am Mittwoch im Unterhaus, die Abstimmung werde stattfinden.
Sollten kommenden Dienstag die derzeit 126 Dissidenten in der 403 Abgeordnete starken Labour-Fraktion hart bleiben, könnte Premierminister Keir Starmer trotz seiner riesigen Mehrheit im 650 Abgeordnete zählenden Unterhaus auf die Stimmen der konservativen Opposition angewiesen sein. Es gilt als möglich, dass er die Abstimmung zur Vertrauensfrage erklärt, um diese Blamage zu vermeiden.
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