Griechenland nach der Bootskatastrophe: Einig mit Meloni, Zwist mit Frontex
Griechenland prescht mit migrationsfeindlicher Politik vor. Frontex macht dem Land nun schwere Vorwürfe im Fall der Bootskatastrophe vor zwei Wochen.
„Ich gratuliere @kmitsotakis zu seinem Wahlerfolg. Italien und Griechenland können gemeinsam wichtige Ergebnisse zum Wohle unserer Völker, unserer Nationen und unseres Kontinents erzielen“, twitterte die Postfaschistin Meloni schon früh am Montag von Rom hinüber nach Athen. Dazu postete die Chefin der Rechtsaußenpartei Fratelli d’Italia ein Foto von sich mit Mitsotakis auf einem EU-Gipfel. Die rechten Hände jeweils auf den linken Oberarm des anderen gelegt, schauen sie sich mit einem Lächeln tief in die Augen.
Mehr noch: So wie die offen migrantenfeindliche Meloni fährt auch Mitsotakis seit seiner Machtübernahme 2019 einen restriktiven Flüchtlings- und Migrationskurs. Vom Bau und Ausbau von Grenzzäunen an den EU-Außengrenzen bis zu geschlossenen Flüchtlingslagern: Meloni und Mitsotakis treten in Brüssel Hand in Hand auf. Ihr Ziel ist es, die Zahl der Schutzsuchenden in der EU so weit es geht zu drücken.
Dabei werden auch rote Linien überschritten: Griechenland scheut sich in der Ära Mitsotakis nicht, im großen Stil auf Pushbacks zu setzen, auf das Zurückdrängen von ankommenden Flüchtenden und Migranten hinter die eigenen Grenzen. Das harsche Vorgehen trägt Früchte. Im vorigen Jahr zählte Griechenland nur 17.122 Neuankömmlinge.
Frontex: Griechen lehnten Hilfe ab
Die migrationsfeindliche Politik bringt Verluste mit sich, mitunter schlimme: Einen zugleich griechischen wie italienischen Bezug hatte das Bootsunglück am 14. Juni, 47 Seemeilen vor der griechischen Küstenstadt Pylos im Südwesten der Halbinsel Peloponnes. Ein überfüllter Fischkutter mit Flüchtlingen und Migranten war im ostlibyschen Tobruk in See gestochen. Sein Ziel: Italien.
Er kenterte am 14. Juni um 2 Uhr und sank sofort an einer der tiefsten Stellen im zentralen Mittelmeer. Nur 104 Menschen retteten die griechischen Behörden, 82 Leichen wurden geborgen, schätzungsweise 646 Flüchtlinge und Migranten könnten ertrunken sein, darunter viele Kinder und Frauen.
Nun sind neue Details zum Vorschein gekommen. Die griechischen Behörden hätten ein Hilfsangebot der europäischen Grenzschutzagentur Frontex ignoriert. Frontex habe den Griechen einen Tag vor der Havarie, „zusätzliche Luftunterstützung angeboten, aber keine Antwort aus Athen erhalten“, erklärte Frontex am Montagabend.
Obendrein habe man den Griechen die Entsendung einer Frontex-Drohne angeboten, hieß es. Athen hätte Frontex jedoch angewiesen, die Drohne statt vor Pylos bei einer anderen Rettungsaktion südlich von Kreta einzusetzen.
Setzt Frontex Arbeit in Griechenland aus?
Offenbar ist Frontex nun der Kragen geplatzt. Die Agentur „ziehe in Erwägung, ihre Aktivitäten in Griechenland nach der Kontroverse mit den Griechen über die Verantwortung für die Havarie vor Pylos auszusetzen“, schrieb die französische Zeitung Le Monde. In einer Sitzung des Frontex-Verwaltungsrats am 20. und 21. Juni habe der Frontex-Grundrechtsbeauftragte Jonas Grimheden „die vorübergehende Aussetzung der Frontex-Aktivitäten in Griechenland empfohlen“.
Medienberichten zufolge hat Frontex mit Blick auf die Causa Pylos zudem einen „Bericht über einen schwerwiegenden Vorfall“ in Auftrag gegeben. Darin soll der Frontex-Grundrechtsbeauftragte etwaige Menschenrechtsverletzungen dokumentieren.
Kritiker monieren, die griechischen Behörden hätten schneller handeln müssen, um das Kentern des Kutters zu verhindern. Es gibt Aussagen von Überlebenden, dass die Küstenwache das Boot an die Leine genommen und versucht habe, es zu ziehen, wodurch es ins Schwanken geraten sein soll. Die griechischen Behörden bestreiten dies. Sie behaupten, ein Schiff der Küstenwache sei „bereits Stunden vor dem Unglück bei dem Schiff eingetroffen“. Die Bootsinsassen hätten aber „Hilfsangebote wiederholt abgelehnt“. Eine plausible Erklärung, wie das Flüchtlingsboot gekentert ist, konnte die Küstenwache bisher nicht liefern.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos