piwik no script img

Grenzschließung in BelarusDer Eiserne Vorhang – es geht los

Ab dem 21. Dezember schließt Belarus die Landesgrenzen. Angeblich wegen Covid-19. Olga Deksnis erzählt von stürmischen Zeiten in Minsk. Folge 42.

Schon bald traurige Realität: die Grenzen sind dicht Foto: ITAR-TASS/imago

I m Nationalen Rechtsportal wurden jetzt Änderungen in Regierungsdokumenten veröffentlicht. Nach diesen neuen Angaben dürfen Belarussen und Ausländer, die eine Aufenthaltserlaubnis für Belarus haben, das Land nicht mehr verlassen, außer mit dem Flugzeug. Für welchen Zeitraum das gelten wird, ist unbekannt.

Ausgenommen von dieser Neuregelung sind Diplomaten, Fahrer internationaler Transporte, Dienstreisen in andere Länder, Menschen, die zu schwer kranken Familienangehörigen oder zu Beerdigungen naher Angehöriger reisen und diejenigen, die zur Arbeit, zum Studium oder ähnlichen ausreisen. Für die beiden letzteren gibt es eine zeitliche Beschränkung: es darf nicht mehr als eine Ausreise in sechs Monaten geben.

Записки из Беларуси

Записи из дневника на русском языке можно найти здесь.

„Diese Nachrichten lassen mich nicht mehr schlafen“, sagt die Journalistin Dascha Lomanowskaja. „Warum schließen sie nicht öffentliche Plätze? Ich war heute im Einkaufszentrum. Eine Menschenmenge drängt sich in den Läden und um die Weihnachtsbäume, einige ohne Masken. Vielleicht würde es sich lohnen, über ernstere Maßnahmen im Land selbst nachzudenken? Mich zum Beispiel, als erkrankte Kontaktperson 1. Grades, hat niemand aus der Poliklinik angerufen. Niemand hat mir angeboten, einen Rachen-Nasen-Abstrich zu machen, niemand hat mir etwas über Isolation erklärt. Ich hab mich selbst isoliert.“

privat
Olga Deksnis

35 Jahre alt, lebt in Minsk und arbeitet bei dem Portal AgroTimes.by. Sie schreibt über besonders verwundbare Gruppen in der Gesellschaft: Menschen mit Behinderung, LGBT, Geflüchtete etc.

„Das ist kein Probealarm“, kommentiert Fotograf Pawel. „Wir haben noch Witze gemacht wie ‚Wollen wir leben wie in Nord-Korea?‘ – jetzt bleibt nur noch wenig Zeit. Wenn die Grenzen für die Ausreise geschlossen werden, dann ist unseren Bürgern faktisch verboten, das Land zu verlassen. Sie schreiben, das sei wegen Corona, aber viele verstehen, dass es wegen der Ereignisse nach den Wahlen und der Abwanderung von Fachkräften aus Belarus ist. Und wegen der Flucht all derer, die aus politischen Gründen verfolgt werden. Und wie geht es weiter?“

„Eins macht allerdings Hoffnung: die Entscheidung ist so idiotisch, dass sie sicher zu irgendwelchen Verwirrungen führt; entweder sie wird nicht umgesetzt, oder sie wird überinterpretiert, ergänzt, oder noch mal verändert“, sagt der Blogger Denis. „Sie ist einfach nur dumm.“

„Der nächste Schritt ist dann die Verkündung des Ausnahmezustands und die völlige Erniedrigung der Bevölkerung, so dass niemand in nächster Zeit mehr weg kann: absoluter Totalitarismus“, kommentiert Vitali Babin, Journalist beim polnischen Fernsehsender „Beslat“.

„Es ist der Versuch, die Flüchtlinge aus unserem Land aufzuhalten“, sagt der Producer Ruslan Starikowski. „Heute können weder Programmierer noch Ärzte und andere von den Machthabern verfolgte Menschen entkommen. Das ist ein Vorhang. Und nicht etwas die finanzielle Unterstützung der staatlichen Fluglinie.“

„Es wurde befohlen, die Abwanderung von Fachkräften zu stoppen“, sagt die PR-Fachfrau Swetlana. Sie werden diesen Befehl im Rahmen ihrer eigenen geistigen Möglichkeiten ausführen: indem sie die Grenzen zur Ausreise schließen. Man kann jetzt auch noch anfangen, alle intelligenten Menschen zu erschießen, das ist auch eine sehr effektive Maßnahme (schwarzer Humor).“

In Belarus senkt sich der Eiserne Vorhang. Das Atmen fällt immer schwerer….

Aus dem Russischen Gaby Coldewey

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • „die Entscheidung ist so idiotisch, dass sie sicher zu irgendwelchen Verwirrungen führt;"



    Das dachte man '61 in Berlin auch, hoffentlich besinnt man sich in Minsk etwas schneller.