Greenpeace-Aktion in Lübeck: Klettern gegen Entwaldung

Umweltak­ti­vis­t:in­nen haben Frachter mit Zellulose aus schwedischen und finnischen Wäldern blockiert. Sie protestieren damit gegen zu viel Rodung.

Das Bild zeigt Menschen auf einem Schlauchboot vor einer blau-roten Tanker-Wand mit einem gelben Transparent "European Ministers, protect our forests! Greenpeace".

Haben es tatsächlich noch bis zum Frachter geschafft: Greenpeace-Aktivist:innen mit Transparent Foto: Clara Vuillemin

LÜBECK taz | Es ist noch dunkel, als sich eine Handvoll Medienvertreter auf einem unscheinbaren Parkplatz außerhalb von Lübeck versammeln. Den Treffpunkt haben sie alle erst kurzfristig und über einen verschlüsselten Chat erhalten.

Sie sind hier, weil gleich ein Frachter mit Papierrollen aus Skandinavien ankommen und Ziel einer Aktion von Um­welt­schüt­ze­r:in­nen werden soll. Diese wollen damit die globale Übernutzung der Wälder anprangern.

Aktivist:innen, die mit Störaktionen auf die Klimakrise aufmerksam machen wollen, sind zurzeit täglich in den Schlagzeilen. Sie kleben sich auf Straßen und werfen Lebensmittel auf Kunstwerke und machen so mit wenig Mitteln viel Lärm. Die Umweltschutzorganisation Greenpeace nutzt dieses Prinzip seit Jahrzehnten, um die Öffentlichkeit auf Umweltzerstörung aufmerksam zu machen, etwa mit Transparenten auf AKW-Kühltürmen oder auf Walfangschiffen.

Entsprechend routiniert läuft die Aktion in Lübeck ab. Dutzende Ak­ti­vis­t:in­nen in Kletterausrüstungen springen aus Transportern, besteigen Schlauchboote. Sie kommunizieren auf Englisch über Funk miteinander, Freiwillige aus sieben Ländern sollen dabei sein. Die Journalistinnen und Kameramänner werden auf ein eigenes Pressboot gesetzt.

Kann Europa den Wald ausreichend schützen?

Die Inszenierung gelingt wie geplant. Die orangenen Schlauchboote fahren vor den blauen Frachter namens Thuleland, Göteborg. Die Klettererinnen mit den grünen Helmen befestigen mit langen Stangen Haken am Schiff und beginnen es zu erklimmen. Dabei werden sie nur ein bisschen gestört, ein Mann ruft über die Reling, dass sie verschwinden sollen, auf dem Frachter befänden sich keine umweltschädlichen Produkte.

Das sehen die Ak­ti­vis­t:in­nen wohl anders und klettern weiter. Die Helferinnen mit den weißen Helmen befestigen derweil schon ein erstes gelb leuchtendes Transparent mit Magneten an der Außenwand. Darauf steht „European ministers, protect our forests“, auf deutsch: Europäische Minister, schützt unsere Wälder.

Der Zeitpunkt für die Aktion ist präzise gewählt. In der kommenden Woche wird in der EU über ein neues Gesetz zum Schutz der globalen Wälder beraten. Die Idee des Gesetztes: In der EU sollen nur Produkte auf dem Markt zugelassen sein, deren Produktion nicht zur Entwaldung beiträgt.

Wälder weltweit brauchen mehr Schutz

Es geht einerseits um den Schutz von außereuropäische Waldgebiete, wie den Amazonas oder Wälder in Indonesien, die etwa für die Produktion von Palmöl gerodetet werden. Aber auch europäische Wälder sind potenziell betroffen, insbesondere in den nordischen Ländern mit intensiver Holzwirtschaft.

Aktuell stehen drei Vorschläge im Raum, je einen von der EU-Kommission vom November 2021, dem EU-Rat vom Sommer 2022 und dem EU-Parlament vom September. Am 9. November finden Trilog-Gesprächen zwischen den drei EU-Institutionen statt, um eine Einigung zu erzielen.

Die drei Vorschläge sind in vielerlei Hinsicht unterschiedlich. Der Vorschlag des EU-Rates, in dem die verschiedenen nationalen Regierungen sitzen, beinhaltet die schwächsten Vorschläge. Er will nur Urwälder schützen und lediglich wenige Produkte regulieren. Geht es nach dem EU-Parlament, werden weltweit alle Wälder und bewaldeten Gebiete geschützt, Menschenrechte abgedeckt, alle Produkte berücksichtigt, die maßgeblich zur Entwaldung beitragen, der Finanzsektor reguliert und es gäbe weniger Schlupflöcher.

Dagegen regt sich Widerstand. Finnland, Schweden, Österreich und Slowenien haben eine informelle strategische Partnerschaft gebildet mit dem Ziel, die Waldregulierung in Mitgliedstaaten zu belassen.

Im Hafen von Lübeck bleibt es ruhig. Als das große Transparent ausgerollt wird, scheint sogar die Sonne. Ak­ti­vis­t:in­nen baumeln an Seilen über dem offenen Heck des Schiffes, aus dem die Ladung schon größtenteils gelöscht wurde.

Die weißen Rollen stapeln sich am Kai. Sie stammen aus Schweden und Finnland, den größten Produzenten von Zelluloseprodukten in Europa. Greenpeace Finnland hat versucht, die Lieferketten nachzuvollziehen und kommt zum Schluss, dass auch in deutschen Verpackungen Holz aus finnischen Urwäldern steckt. Die Ak­ti­vis­t:in­nen hoffen, dass das neue EU-Gesetzt dies in Zukunft verhindern würde.

Finnland will bis 2035 klimaneutral sein

Denn Wälder sind nicht nur wichtige Lebensräume für viele Tiere und Pflanzen, sie spielen eine zentrale Rolle im Kampf gegen den Klimawandel. Finnland hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2035 Klimaneutral zu sein. Der Plan ist jedoch nicht, keine Treibhausgase mehr auszustoßen, sondern dass die Wälder mehr CO2 aus der Atmosphäre aufnehmen, als die Menschen emittieren.

Aktuell ist das Land davon jedoch weit entfernt. 2021 war Finnlands Landnutzungssektor, also Moore, Landwirtschaft und Wälder, zum ersten Mal eine netto Emissionsquelle. Hauptsächlich, weil zu viel Holz aus den Wäldern geerntet wurde.

Und damit ist das nordische Land Teil einer langfristigen globalen Entwicklung. Das EU-Parlament schreibt in der Einleitung zu ihrem Vorschlag für das neue EU-Gesetzt, dass zwischen 1990 und 2020 etwa 10 Prozent der verbleibenden Waldfläche verloren gegangen sei. Mit 420 Millionen Hektaren mehr als die Fläche der EU.

Die Sonne ist schon lange wieder weg und mittlerweile ist allen Insassen des Pressebootes kalt. Auch auf dem Frachter passiert nichts mehr neues, die Banner und Ak­ti­vis­t:in­nen hängen immer noch in der Herbstluft.

Bleibt die Frage, ob das geplante EU-Gesetzt die finnischen Wälder wirklich schützen könnte. Die anwesende Waldexpertin von Greenpeace zögert. Es komme halt darauf an, wie das Gesetz jetzt ausgestaltet und später umgesetzt werde. Ein langer und zäher Kampf.

In Lübeck neigt sich die Aktion dem Ende zu. Nach Stunden tauchen die ersten Polizeiboote auf. Doch hektisch wird es nicht. Die Beamten winken den Jour­na­lis­ten zu. Es sei doch wirklich ein Glück, dass es nicht regne.

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