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Graphic Novel über Karl LagerfeldDer Ich-Designer von Paris

Simon Schwartz und Alfons Kaiser erkunden in einer Graphic Novel den Menschen hinter der Marke Karl Lagerfeld. Der stand zunächst noch für bunte Muster.

Szene aus der Graphic Novel „Lagerfeld“. Karl wurde 1933 in eine Unternehmerfamilie hineingeboren, die mit dem NS symphatisierte Foto: C. H. Beck Verlag, München

Berlin taz | Lange wusste der jugendliche Karl Lagerfeld nicht so recht, was er mit seinem Leben anfangen sollte. Der Schulunterricht in Bad Bramstedt interessierte den 1933 in Hamburg Geborenen wenig. Der Außenseiter pflegte schon als Kind sein Upper-Class-Image und hatte keinerlei Lust, sich mit den groben Bauernjungs zu verbrüdern. Nur das Zeichnen lag ihm.

1949 – er war sechzehn – kam das Erweckungserlebnis. Der Pariser Star-Modeschöpfer Christian Dior präsentierte seine neue Kollektion im Hamburger Hotel Esplanade. Karl besuchte zusammen mit seiner Mutter die Schau, die im Nachkriegsdeutschland eine seltene Attraktion bot. 80 Modelle wurden vorgeführt, deren ausgestellter Luxus den denkbar schärfsten Kontrast zur Ärmlichkeit des Großteils der Bevölkerung darstellte.

Danach kannte Karl, der keine Abiturprüfung machte und von der Kunstakademie abgelehnt wurde, sein neues Ziel: Paris, Stadt der Mode!

2019 starb Karl Lagerfeld, Deutschlands prominentester Modedesigner der vergangenen 60 Jahre, in Paris. Der Comic­zeichner Simon Schwartz legt auf der Grundlage von Alfons Kaisers gründlich recherchiertem Sachbuch „Karl Lagerfeld. Ein Deutscher in Paris“ (2020) nun eine amüsante Comicbiografie, „Lagerfeld“, vor.

Die Bücher

Simon Schwartz (Zeichnungen), Alfons Kaiser (Text): „Lagerfeld“. Graphic Novel. C. H. Beck Verlag, München 2025. 104 Seiten, Hardcover, 22 Euro

Alfons Kaiser: „Karl Lagerfeld. Ein Deutscher in Paris. Biographie“. C. H. Beck Verlag, München 2020. 383 Seiten, 26 Euro

Polarforscher und Zarenärzte

Der 1982 in Erfurt geborene Künstler hat Erfahrung mit biografischen Comics. Neben seiner autobiografischen Graphic Novel „Drüben!“ (2009; wie alle früheren Bücher von ihm im Berliner Avant Verlag erschienen) erzählte er in „Packeis“ (2012) die Geschichte des afroamerikanischen Polarforschers Matthew Henson, und in „Ikon“ (2018) die überlieferte Story vom Leibarzt des letzten russischen Zaren. Seine Reihe „Vita Obscura“ wiederum handelt jeweils auf einer Seite von wahren, oft skurrilen Lebensgeschichten von weniger bekannten oder vergessenen Personen der Geschichte.

In Berlin sprach Simon Schwartz bei der Vorstellung der Graphic Novel „Lagerfeld“ über die Genese seines Buchs: „Ich hatte die Serie ‚Vita Obscura‘ 2012 in der Zeitung Der Freitag gestartet, und parallel dazu, ab 2013, hat Lagerfeld auf Anregung Alfons Kaisers begonnen, Karikaturen für das FAZ Magazin zu zeichnen – ganzseitige, angelehnt an das Format im historischen Satiremagazin Simplicissimus und sein Idol Olaf Gulbransson.“

Nach Lagerfelds Tod 2019 übernahm Schwartz auf Anregung Kaisers dessen Platz im Magazin und führte „Vita Obscura“ dort weiter. Dann entwickelten beide gemeinsam die Idee für eine Graphic Novel über den „Mythos Karl“. „Er sagte ‚mach daraus, was du willst‘ “, beschreibt Schwartz die Zusammenarbeit mit Kaiser, „also habe ich Textpassagen übernommen, aber das Material zerschnitten, neu arrangiert. Es ist ein komplett anderes Buch geworden.“

Die Comicbiografie komprimiert Lagerfelds gesamtes Leben und unterteilt es in verschiedene Phasen. Als Rahmen setzt Schwartz in grau getönten Bildern die große Gedenkfeier im Sommer 2019 im prächtigen Pariser Jugendstilbau Grand Palais, wo der Modeschöpfer in den Jahren zuvor auch seine Schauen ausrichtete.

Reich durch Dosenmilch

Danach setzt die chronologische Rückschau ein, die schon mit Karls Vater Otto Lagerfeld beginnt. Dieser führt vor dem Ersten Weltkrieg ein abenteuerliches Leben, reist als Kaffeehändler in der ganzen Welt umher und wird schließlich mit einer Dosenmilchfirma reich. Der Glücksklee, Symbol der Marke, wird zu einem visuellen Leitmotiv, der Zeichner lässt Kleeblätter an passenden Stellen über seine Seiten fliegen.

Die Mutter Elisabeth prägte ihren Sohn nach dessen Aussagen durch ihren Hochmut und ihre Gefühlskälte wie auch mit ihrer brutal-direkten Sprache. Legendär ihr Ausspruch über das Stillen: „Für so etwas gebe ich meinen Busen nicht her, es gibt ja Dosenmilch.“

Ihr redegewandter Sohn Karl zitierte ihre Ermahnungen noch in späten Jahren gerne: „Sprich bitte schneller, damit du mit dem Stuss, den du redest, schnell zu Ende kommst.“

In Frankreich schuf sich Lagerfeld eine Identität, als habe er nichts mit der deutschen Ge- schichte zu tun

In Paris kam Lagerfeld 1952 an und galt schon früh als ein Meister der Selbstinszenierung. So behauptete er, bereits als 14-Jähriger in die Seine-Metropole gekommen zu sein. Und um bloß nicht als „Boche“ oder gar als deutscher Nazi zu gelten, gab er sich als Schwede aus und machte sich fünf Jahre jünger.

Eltern waren vom NS überzeugt

Ihm zufolge sympathisierte er in seiner Jugend nicht mit dem NS-Regime, er unterschlug aber trotzdem später die Rolle seiner Eltern im NS. Beide waren, wie Alfons Kaiser beschreibt, von Hitlers Ideologie überzeugt, der Vater von 1933 bis 1945 in der NSDAP. Vor der Villa der Unternehmerfamilie flatterte auch mal die Hakenkreuzflagge im Wind. Eine Szene in Schwartz’ Graphic Novel zeigt Karl als Kind von hinten auf die Fahne starrend. Wie viele andere wurden die Lagerfelds nach dem Krieg aber als minder belastete Mitläufer eingestuft.

Simon Schwartz fand gerade diese Ambivalenz in der familiären Herkunft sehr reizvoll. Denn so sei es eine typisch „deutsche Biografie, anhand derer man sehr viel erzählen“ könne. In Frankreich schuf Lagerfeld sich eine Identität, „als habe er nichts mit der deutschen Geschichte zu tun.“

Von seinem auch nach 1945 schnell wieder erfolgreichen Vater finanziell unterstützt, konnte sich Lagerfeld ganz auf seine Karriere in der Modewelt konzentrieren. Bereits 1954 nahm er neben Yves Saint Laurent an einem Modedesignwettbewerb teil. Dieser zahlte sich für beide aus. Laurent landete bei Dior (der „Jackpot!“), Lagerfeld wurde Assistent des ebenfalls bekannten Modeschöpfers Pierre Balmain.

Die beiden Jungtalente freundeten sich miteinander an, später sollten sie erbitterte Konkurrenten werden. Nachdem er sein Handwerk gelernt hatte, langweilte sich Lagerfeld bei Balmain und wechselte ins Haus Patou.

Radikale Pelzdesigns

Er wurde dort Chefdesigner und nannte sich eine Weile „Roland Karl“. Laurent hingegen wurde schon 1957 durch den Tod Christian Diors dessen Nachfolger. Lagerfeld wurde in den 1960er Jahren freiberuflicher Designer und holte allmählich an Berühmtheit auf, indem er die Pelzmarke Fendi mit seinen oft radikalen Kreationen verjüngte und das noch kleine Label Chloé aufbaute.

Er erfand die „Prêt-à-porter de luxe“-Mode. Gehobene Konfektionsware für die Frau, standardmäßig gefertigt. Im Gegensatz zur bis dahin üblichen Haute Couture war sie keine maßgeschneiderte, teure Edelmode. Auch der Look wurde freizügiger und variabler.

Mit virtuos wechselnden Seitenlayouts gelingt es Simon Schwartz, jede dieser Phasen im Leben von Karl Lagerfeld momenthaft aufleben zu lassen. Nach den gräulich-matten Kriegsjahren werden die Farben immer schriller, geradezu psychedelisch, passend zu den 1970er Jahren.

Damals schien Lagerfeld auch privat aufzublühen, als er zeitweilig zu Andy Warhols Clique gehörte und seine große Liebe Jacques de Bascher kennenlernte, einen französischen Dandy, der 1989 an den Folgen einer Aids-Erkrankung starb.

Unausgelebte Sexualität

Schon an früherer Stelle erwähnt Schwartz, dass Homosexualität in der Nachkriegszeit noch illegal war und bestraft werden konnte, was Lagerfeld sehr vorsichtig werden ließ. Aus späteren Äußerungen wird auch deutlich, dass er seine Sexualität wohl gar nicht körperlich auslebte, obwohl er mit seiner Liebe zusammenlebte. De Bascher wechselte hingegen umso intensiver die Sexual­partner und ging ausgerechnet auch mit Yves Saint Laurent eine Affäre ein.

Im Alter wird Lagerfeld noch einmal eine große Nähe zu dem Model Baptiste Giabiconi verspüren, dessen Katze Choupette er adoptieren und vergöttern wird.

Die Graphic Novel „Lagerfeld“ geht über das bloße Charakterporträt hinaus und liefert ein pointiert zugespitztes Sittenporträt der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts. Der letzten Teil der Graphic Novel handelt davon, wie der Modeschöpfer sich in seinen letzten beiden Jahrzehnten neu erfand, wie Models – schlank und weiß gepudert – Aushängeschild von Chanel wurden. Nicht ohne Kritik am Schlankheitswahn der damaligen Branche.

„Am Anfang seiner Design-Karriere war Lagerfeld bunt“, sagt Schwartz, „er stand für bunte Muster, Stoffe. Am Schluss war dann alles nur noch schwarz-weiß, es wurde strenger, kontrollierter. Er wird zu seinem eigenen Logo und zum Kontrollfreak.“

Lagerfeld wurde Influencer und Petfluencer, verwirklichte sich künstlerisch als Fotograf und Karikaturist. Bei allem Glamour thematisiert die Graphic Novel die Ambivalenzen und Schattenseiten nicht, die seine Biografie bis heute so besonders machen – mal schnodderig-lässig, mal schräg, jedoch immer stylish vorgetragen.

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