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■ NachschlagGrachten, Möwen, Mata Hari – Hollands Spuren in Berlin

Will man eine scheinbar altbekannte Stadt mit völlig neuen Augen sehen, dann muß man nur spazierengehen, und zwar am besten mit einem der zahlreichen organisierten Stadtspaziergänge, bei denen man zum Beispiel das kriminalistische Berlin, das Berlin Joseph Roths, das jüdische Berlin oder das niederländische zu sehen lernt. Gelungen ist ein Spaziergang, wenn man am Ende Berlin für die Stadt Joseph Roths schlechthin hält oder glaubt, an jeder bedeutenden Straßenecke sei auch ein wirklich bedeutender Kriminalfall gelöst worden. Nachdem man bei dem von StattReisen jüngst konzipierten Spaziergang mitgegangen ist, ist man sich sicher: Ach, Berlin, das ist eigentlich nur eine niederländische Provinz.

Begonnen hatte die enge Berlin-niederländische Verbindung schon im 17. Jahrhundert, als Berlin in Folge des Dreißigjährigen Krieges darniederlag und der Große Kurfürst holländische Baumeister kommen ließ, die heruntergekommene, damals nur noch 6.000 Einwohner zählende Stadt prachtvoll wieder aufzubauen. Und nicht nur prachtvoll. Vor allem wegen ihres praktischen Sinns wurden die Baumeister aus dem fernen Westen in die Stadt geholt, und das kann man zum Beispiel heute noch an der Friedrichsgracht sehen (die man kaum kennt, aber unbedingt kennen sollte – ganz in der Nähe des Märkischen Museums), wo nämlich die Holländer Platz für einen sehr schönen Grachtenflanierpfad gelassen haben, statt die Häuser dumpf, egoistisch, berlinisch direkt ans Wasser zu setzen. Gerade hier ist es überhaupt sehr holländisch: Möwen schweben in der Luft, Schiffe schippern durch die Gracht, bunte Wimpel flattern im Wind, und so hat sich auch der holländische Staat spontan entschlossen, genau hier die niederländische Botschaft zu errichten. Nirgends sei Berlin niederländischer, hieß es zur Begründung.

Da hätte man aber auch Unter die Linden ziehen können, denn die Linden, so heißt es, wurden nur auf Wunsch Luise Henriettes, des Großen Kurfürsten niederländischer Gemahlin, dort gepflanzt. Eine Lindenallee wolle sie haben, vom Schloß bis in die Jagdgründe des Tiergartens, ansonsten komme sie nicht in diese östliche Provinz, soll sie gefordert haben. Und der Kurfürst ließ pflanzen.

Doch auch Jetztzeitigeres erfährt man auf diesem Stadtspaziergang: Daß Mata Hari eigentlich Holländerin war und wie sie ihre Affäre mit dem deutschen Kronprinzen einfädelte, wie der holländische Dichter Herman Heijermans sich zu Anfang des Jahrhunderts in Berliner Obdachlosenasyle einschmuggelte und über die dortigen Mißstände berichtete, und was man im holländischen Club alles besprach. Der war damals in der Französischen Straße. Heute ist da eine Baulücke. Ein einsamer Baucontainer steht noch dort. Farbe: Orange. Klar, das kann kein Zufall sein. Volker Weidermann

Nächste Termine: 22.2. und 15.3.

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