Goslar streicht Tunnel-Planung: „Hochwasserschutz aufgegeben“
Goslars Finanzausschuss streicht Planungsmittel für einen Tunnel, der bei Unwetter Wasser ableiten könnte. Initiativen und Verbände sind empört.
Nach einem viel zu warmen Winter und einem verregneten Frühsommer tobten Ende Juli 2017 schwere Unwetter im Nordharz. Teile von Goslar, Bad Harzburg und Ilsenburg versanken buchstäblich im Wasser. Innerhalb von drei Tagen fielen über 250 Millimeter Niederschlag, kleine Gebirgsbäche verwandelten sich in reißende Ströme, traten über die Ufer, überschwemmten Straßen und Plätze.
Als eine Konsequenz aus der Katastrophe wird in Goslar seit Jahren über den Bau eines Tunnels diskutiert. 30 Meter unter der Erde und zwei Kilometer lang, soll er den Bach Abzucht entlasten, der durch den Ort fließt. Bei Hochwasser würde der Tunnel bis zu 20.000 Liter Wasser pro Sekunde aufnehmen und an der Altstadt vorbeileiten. Beim Hochwasser 2017 hatte etwa doppelt so viel Wasser die Innenstadt überspült.
Der Tunnel soll nach bisherigen Schätzungen zwischen 20 und 30 Millionen Euro kosten. Rund 80 Prozent der Baukosten könnten nach Angaben der Stadtverwaltung durch Fördermittel abgedeckt werden. Für die – im Grundsatz bereits beschlossene – Planung des Tunnels hat das niedersächsische Umweltministerium demnach bereits einen Zuschuss von 750.000 Euro zugesagt, 40.000 Euro sollte die Stadt beisteuern.Diese Ausgabe will der Finanzausschuss nun nicht mehr bewilligen. „Wir haben den Antrag gestellt, weil wir nicht glauben, dass dieses 30-Millionen-Projekt für die Stadt zu schaffen ist“, begründete Linken-Ratsherr Michael Ohse laut der Goslarschen Zeitung den Vorstoß. Der Antrag sei einstimmig angenommen worden.
Die Initiativgruppe Altstadt Goslar und die Organisation World Heritage Watch interpretieren das Votum als „Absicht des Stadtrates, den Hochwasserschutz für die Altstadt von Goslar aufzugeben“. Mit Blick auf die Hochwasserkatastrophe von 2017 und den sich rasant verschärfenden Klimawandel sei das Welterbe Altstadt Goslar in absehbarer Zukunft einer realen und schweren Gefahr ausgesetzt.
Leben und Besitz von Hunderten Bewohnern seien bedroht. Das historische Goslarer Zentrum mit seinen mehr als 1.500 Fachwerkhäusern zählt – ebenso wie das nahe Bergwerk Rammelsberg – seit 1992 zum Weltkulturerbe der Unesco.
Würden die Tunnelplanungen im Jahr 2023 nicht wie vorgesehen fortgesetzt, müssten die Anwohner im möglichen Überschwemmungsgebiet nach Ansicht der Initiativgruppe und von World Heritage Watch zudem mit einem Wertverlust ihrer Grundstücke rechnen: „Dies könnte im Schadensfall Regressansprüche an die Verantwortlichen zur Folge haben.“ Die beiden Organisationen forderten den Rat dringend auf, die für die Tunnelplanung eingestellten 40.000 Euro doch freizugeben.
Friedhart Knolle vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) attestiert den meisten Goslarer Kommunalpolitiker:innen eine „Hochwasseramnesie“. Sie hielten andere Projekte als den Tunnel für wichtiger und drängender, und dächten, es werde schon nicht so schlimm kommen. Das aber, meint Knolle, sei ein „großer Denkfehler“. Alle 2017 betroffenen Grundstücke und Bewohner:innen würden auch von künftigen Hochwassern betroffen sein, „möglicherweise schlimmer“.
Goslar brauche eine Sonderlösung, „damit die Altstadt nicht wieder absäuft“, sagt Knolle. Das Bett der Abzucht könne wegen der engen Bebauung in der Altstadt nicht einfach erweitert werden. Das aus dem Harz kommende Flüsschen durchquert die gesamte Altstadt. Der Niedersächsische Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN) stufte die Abzucht zuletzt 2020 als „Risikogewässer“ ein.
Hochwasserschäden in Höhe von 31 Millionen Euro
Dass die Goslarer Parteien jetzt aus dieser Planung aussteigen wollten, sei unverantwortlich und werfe „ein ganz schlechtes Licht auf den Willen der Stadt, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen“, sagt Knolle. Stadtverwaltung und Politik hätten „die Pflicht und Schuldigkeit“, die Altstadt vor weiteren Fluten zu bewahren und sie nicht im Stich zu lassen.
Knolle weist auch darauf hin, dass die Hochwasserschäden von 2017 im Goslarer Stadtgebiet Kosten in Höhe von mehr als 31 Millionen Euro verursacht hätten. Es sei also leicht auszurechnen, wie schnell sich der Stollen rentieren werde.
Die Stadtverwaltung sieht das Tunnelprojekt indes nicht als gescheitert an. „Das Projekt Hochwasserentlastungsstollen ist eine der Säulen des Hochwasserschutzkonzeptes Goslar, und nur die Summe der Umsetzung verschiedener Maßnahmen wird diesen Schutz erreichen können“, sagte eine Sprecherin auf Anfrage der taz.
Die für die Planung eingestellten Mittel in Höhe von 40.000 Euro seien gestrichen worden, da noch Haushaltsausgabereste von 2022 zur Verfügung stünden. Die Herausnahme des Betrages hindere die Stadt nicht an der Umsetzung des Vorhabens. Die Umsetzung des Hochwasserschutzkonzepts Goslar sei keineswegs ins Stocken geraten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“