Goldene Zeiten für VermieterInnen: Sie lauern schon
In Bremen steigt die Höhe, bis zu der Sozialkassen die Miete zahlen, ab März teils stark an. Gut ist das vor allem für die VermieterInnen
Denn sie will, wenn die Sozialdeputation dem am 23. Februar zustimmt, ab März deutlich höhere Mietkosten für SozialleistungsempfängerInnen anerkennen. Konkret bedeutet das: Der Miet-Richtwert für Ein-Personen-Haushalte soll von 377 Euro pro Monat auf 455 Euro Bruttokaltmiete ansteigen. Das ist ein Plus von gut 20 Prozent. „Seit Jahren bekommen wir die Rückmeldung, dass es sehr schwierig ist, Ein-Personen-Wohnungen zu bekommen“, sagt Bernd Schneider, Sprecher der Sozialbehörde.
Die konkreten Grundlagen für die Entscheidung stammen aus einem „Fachgutachten zur Ermittlung von angemessenen Kosten der Unterkunft nach SGB II und XII für die Stadt Bremen“ der F+B-GmbH (Forschung und Beratung für Wohnen, Immobilien und Umwelt). Die Datengrundlage für die Erhebung von Bestandsmieten und Nebenkosten hat das Statistische Landesamt geliefert. Insgesamt wurden Daten von rund 56.300 Wohnungen in das Gutachten einbezogen und sämtliche Mietangebote in Online- und Printmedien zwischen Oktober 2015 und Ende September 2016 ausgewertet.
Auch für Zwei-Personen-Haushalte steigt der Richtwert, und zwar von 428 auf 464 Euro, für Drei-Personen-Haushalte von 507 auf 578 Euro – allerdings werden die Kosten für Fünf-Personen-Haushalte gegenüber dem bisherigen Richtwert voraussichtlich um 13 Euro abgesenkt. Auch das, sagt Schneider, habe sich aus dem vorgelegten Gutachten ergeben. „Der Wohnungsmarkt ist in diesem Segment entspannt. Allerdings wird niemand, der aufgrund dessen nun 13 Euro zu teuer wohnt, umziehen müssen.“
Insgesamt scheint die Anpassung der tatsächlichen Mietpreisentwicklung in Bremen einigermaßen zu entsprechen, das bestätigt, wenn auch „unter Vorbehalt“, Herbert Thomsen vom Bremer Erwerbslosenverband: „Aber unterm Strich“, sagt er, „wird der Schaden größer sein als der Nutzen.“
Denn von der Erhöhung der Unterkunftskosten profitierten nur wenige Menschen. HauptnutznießerInnen seien vor allem jene SozialleistungsempfängerInnen, deren Wohnungen zu teuer sind, das sind laut Thomsen rund 2.500 Haushalte: „Wer beispielsweise in einer Wohnung lebt, die 400 Euro kostet, bezahlt die Differenz von jetzt noch 23 Euro aus seinem Regelsatz. Das muss er künftig natürlich nicht mehr tun.“
Umziehen dürfen LeistungsempfängerInnen aufgrund der Erhöhung ihrer Wohnkosten allerdings nur in den seltensten Fällen: „Wenn jemand zum Beispiel dezentral und direkt an einer lauten Bahnlinie für 350 Euro im Monat wohnt, hat er ab März keineswegs das Recht, in eine hundert Euro teurere Wohnung zu ziehen, die leiser und zentraler ist“, sagt Thomsen.
Herbert Thomsen, Erwerbslosenverband
Denn das Jobcenter übernehme nur dann die höhere Miete, wenn es einen triftigen Grund für einen Umzug anerkenne: „Und triftige Gründe sind: Die Wohnung ist verschimmelt. Oder ich habe einen Job, der einen Umzug notwendig macht. Oder es liegt eine Trennung vor“, sagt Thomsen.
Lediglich jene Menschen, die also einen fürs Jobcenter triftigen Umzugsgrund hätten, oder solche, die sich erst jetzt auf Wohnungssuche befänden, kämen in den Genuss der erhöhten Kostenübernahme.
Thomsen prognostiziert vielmehr goldene Zeiten für VermieterInnen und bittere Zeiten für Menschen mit wenig Geld: „Zu den 100.000 LeistungsempfängerInnen in Bremen kommen ja noch einmal 100.000 Menschen hinzu, die ebenfalls kein Geld haben: die altersarm sind, die studieren, die prekär beschäftigt sind – all diese Menschen werden es künftig sehr, sehr schwer haben bei der Wohnungssuche.“
Für die von ihm befürchtete Entwicklung gebe es bereits einen Erfahrungswert: „Vor fünf oder sechs Jahren gab es schon einmal eine große Erhöhung der Mietkostenübernahme“, sagt Thomsen.
Zur gleichen Zeit habe die Arbeitnehmerkammer eine Erhöhung der Mieten in Bremen um acht Prozent prognostiziert: „Im unteren Segment sind die Mieten aber um 20 Prozent gestiegen.“
Und das werde auch jetzt wieder passieren, da ist er sich sicher. Bernd Schneider hält die Mietpreisbremse dagegen: „Natürlich besteht die Gefahr, dass die Mieten steigen, aber durch die Mietpreisbremse kann da keine zügellose Dynamik entstehen.“
Doch, sagt Thomsen, bloß dauere das halt etwas länger als zuvor. Eine Lösung für das Dilemma sei für ihn nur in Sicht, „wenn Bremen keinen Cent mehr für sozialen Wohnungsbau bezahlen, sondern die Wohnungen selbst bauen würde“. Das Problem sei die flächendeckende Privatisierung von Wohnraum: „Gewoba und Vonovia lauern schon auf die angekündigte Erhöhung“, sagt Thomsen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag