Görlitzer Park in Berlin: „Ich hoffe, es siegt die Vernunft“
Im Kampf um den Zaun am Görlitzer Park will sich Clara Herrmann, grüne Bürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg, noch nicht geschlagen geben.
taz: Frau Herrmann, der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg hatte vor dem Verwaltungsgericht gegen die Pläne des Senats geklagt, den Görlitzer Park einzuzäunen. Jetzt wurde die Klage abgewiesen, Begründung: Die Berliner Verwaltung könne nicht gegen sich selbst juristisch vorgehen. Und nun?
Clara Herrmann: Wir bedauern die aktuelle Entscheidung des Verwaltungsgerichts im Eilverfahren. De facto kann die Senatsumweltverwaltung jetzt mit dem Bau des Zauns und der Tore in unserem Park beginnen.
Können Sie die Argumentation des Gerichts nachvollziehen?
Nein, gar nicht. Im Ergebnis bedeutet das, dass sich der Senat nicht an Regelungen halten muss, weil die Bezirke keine Möglichkeit haben, gerichtlich auf die Rechtseinhaltung zu klagen. In der Folge bedeutet das, dass die Bezirke politischer Willkür vonseiten des Senats ausgeliefert sind. Das steht im absoluten Widerspruch zu all dem, was derzeit im Zuge der Verwaltungsreform besprochen wird, Augenhöhe ist das nicht. Wir müssen als Bezirke handlungsfähig sein und unsere Arbeit machen können.
Clara Herrmannist seit 2021 Bezirksbürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg. Die 39-jährige Diplom-Geografin trat bereits zu Schulzeiten den Grünen bei.
Ist denn der Kampf gegen den Zaun jetzt endgültig verloren?
Aus unserer Sicht greift der Senat hier rechtswidrig in unsere Kompetenzen ein. Wir werden auf der nächsten Bezirksamtssitzung beraten, wie wir darauf reagieren. Ich setze weiter alles daran, dass die Vernunft beim Senat doch noch siegt. Der Görlitzer Park ist keine Insel, sondern liegt inmitten von Wohnkiezen – und wir wollen pragmatische und umfassende Lösungen für die Probleme vor Ort, die über Symbolpolitik hinausgehen.
Sie könnten den Zaunbau weiter torpedieren, etwa bei der Bereitstellung von Flächen für die Baustellen. Wäre das eine Option für Sie?
Nein. Wir torpedieren gar nichts, wir halten uns an Recht und Gesetz. Dieser Zaun ist ein einziges Ablenkungsmanöver davon, dass der Senat in Wirklichkeit keine Verantwortung übernehmen will. Aus den polizeilichen Zahlen zum Wrangelkiez geht hervor, dass die Kriminalitätssituation dort wesentlich dramatischer ist als im Park. Da hilft das Abschließen überhaupt nicht. Aber wir haben ja erlebt, dass der Regierende Bürgermeister in dieser Angelegenheit nicht unbedingt mit Faktenwissen brilliert hat.
Glauben Sie, die AnwohnerInnen stehen hinter Ihnen?
Vor allem im Wrangelkiez sind die Leute hilflos und verzweifelt. Sie leiden unter der organisierten Kriminalität und dem Drogenhandel, der direkt vor ihren Fenstern stattfindet. Aber da helfen keine Law-and-Order-Sprüche, wie sie der Regierende Bürgermeister und die Innensenatorin loslassen. Der Kiez ist kein Freiluftexperiment des Senats, sondern das Zuhause vieler Menschen. Deren Sorgen, dass durch das Abschließen des Parks noch mehr solcher Handlungen in die Hausflure und Hinterhöfe gedrängt wird, nehme ich sehr ernst. Sicher gibt es Einzelne, die sagen: „Na ja, probieren wir es mal aus mit dem Zaun.“ Aber das sind die wenigsten Stimmen, die bei uns ankommen. Die meisten AnwohnerInnen wünschen sich mehr Präsenz und Sichtbarkeit von PolizistInnen zu Fuß im Kiez oder mobile Wachen. Wir brauchen wirksame Maßnahmen statt Symbolik.
Am Kottbusser Tor ist die Polizei mittlerweile mit ihrer Wache sehr sichtbar. Wie hat sich da die Lage entwickelt?
Es gibt Gewerbetreibende und AnwohnerInnen, die sagen, die Situation sei besser geworden. Und es gibt Beobachtungen von Anwohnenden und der Sozialarbeit, dass es zu Verlagerungseffekten an andere Orte gekommen ist. Was die Zahlen angeht, lese ich sie so, dass keine massive Verbesserung der Kriminalitätslage eingetreten ist. Um die vielschichtige Problematik am Kottbusser Tor zu lösen, gab es einmalig 250.000 Euro für den Bezirk. Das ist gut, aber eben nicht nachhaltig. Es braucht ein dauerhaftes gemeinsames Handeln aller Akteure, nicht nur mit repressiven, sondern auch sozialen Maßnahmen. Wenn ich die Folgen von Sucht und Obdachlosigkeit bewältigen will, brauche ich eine dauerhafte Finanzierung und Infrastruktur, für aufsuchende Sozialarbeit, für Räume, wo der Suchtkonsum stattfinden kann. Sonst wird es immer nur darum gehen, die Menschen von einem Ort zum anderen zu schieben.
Eine Notübernachtung gibt es ja nun schon mal.
Ja, mit der „Ohlauer365“ bieten wir als Bezirk in unseren Räumen, umgesetzt durch die Johanniter, ein ganzjähriges Übernachtungsangebot mit Konsummöglichkeit für Menschen mit und ohne Suchterkrankungen an. Dass das hilfreich ist, kann man auch anderswo sehen. Ich habe mir in Zürich und Frankfurt angeschaut, wie es dort funktioniert, und eine ganz starke Säule ist die Schadensminderung, wie sie es in Zürich nennen: Dazu gehören rund um die Uhr geöffnete Räume mit einem akzeptierenden Ansatz, wo die Menschen ihre Drogen auch nachts konsumieren können. Das braucht es in der gesamten Berliner Innenstadt.
Am Kottbusser Tor geht es auch um die Umgestaltung des Stadtraums. Der Bezirk hat da Pläne entwickelt, auch für die Gitschiner Straße, deren nördliche Fahrbahn für Autos gesperrt werden sollte. Bleibt das eine Vision?
Leider ja. Auch beim Thema Stadtumbau stellt uns das Land nicht die notwendigen Ressourcen zur Verfügung. Am Kotti hatten wir eine Studie zum Sicherheitsempfinden in Auftrag gegeben, da erwies sich der Verkehr als zentrales Thema. Im Quartiersrat wurde viel darüber gesprochen, es gab eine Bürgerbeteiligung und Variantenprüfungen. Ergeben hat sich, dass es am sinnvollsten wäre, den Kotti zu einer T-Kreuzung zu machen und den nördlichen Teil als Stadtplatz zu gewinnen. Wir haben das im Rahmen des Quartiersmanagements angemeldet, aber es wurde vom Senat nicht mit Priorität angenommen. Schade, ich war mit dem Senat bei seinem Besuch im Bezirk extra vor Ort.
Und der Plan, das Hallesche Ufer zur verkehrsberuhigten Promenade zu machen?
Der ist nicht mehr existent, den hat die Autosenatorin Manja Schreiner noch schnell abgeräumt. Dabei wurde das Projekt sogar durch das Bundesprogramm „Nationale Projekte des Städtebaus“ gefördert. Das Geld war da, das Konzept war da, es hätte sehr schön werden können. Hier hat Ideologie über Realismus gesiegt – leider.
Aber abgesehen davon geht es voran mit der Verkehrswende?
Wo wir können und dürfen, kommt sie voran. Unsere Verkehrsstadträtin Annika Gerold und ihr Team haben ausgearbeitet, wie wir den ganzen Bezirk verkehrlich beruhigen können. Im Ostkreuzkiez, einem wirklich sehr großen Gebiet, erhöhen wir die Sicherheit für FußgängerInnen, indem wir den Durchgangsverkehr reduzieren. Aber da, wo wir den Senat für die Finanzierung brauchen, werden wir vielfach blockiert. Und es wird künftig noch wesentlicher weniger Geld geben: Die Autopolitik der CDU führt dazu, dass uns in den Bezirken der Hahn abgedreht wird. Da müssen wir uns nach kreativen Lösungen umschauen, zum Beispiel nach Fördermitteln, was immer großen zusätzlichen Aufwand bedeutet.
Als ein Leuchtturmprojekt der Verkehrswende bleibt im Augenblick der Bergmannkiez. Wie sieht es da aus?
Dort ist ja schon eine Menge passiert, zum Beispiel wurde der Chamissoplatz verkehrsberuhigt. Für den geplanten Umbau der Bergmannstraße zur Fußgängerzone braucht es aber über 10 Millionen Euro. Wir haben den Betrag im Rahmen der landesweiten Investitionsplanung angemeldet. Über alles, was mehr als 5 Millionen kostet, entscheiden nicht die Bezirke, sondern das Land. Auch hier: Das Konzept ist da, der politische Wille unsererseits ist da.
Auch in Friedrichshain-Kreuzberg ist die Begeisterung über Verkehrswende-Projekte nicht einhellig.
Grundsätzlich ist unser Bezirk dafür bekannt, dass hier gerne Debatten geführt werden, dafür lieben wir ihn ja auch. Den Friedrichshain-KreuzbergerInnen ist eben nicht egal, was passiert in der Welt und vor ihrer Haustür. Beim Thema Verkehrswende führe ich natürlich die Debatten mit allen Beteiligten, etwa im Graefekiez oder im Samariterkiez, und selbstverständlich sind nicht alle begeistert. Auf der anderen Seite haben wir viele Initiativen in den Kiezen, in denen sich Menschen für Verkehrsberuhigung einsetzen, für mehr Sicherheit vor den Schulen, für einen grüneren Bezirk. Zu mir kommen eher die Leute aus dem Reichenberger oder dem Mittenwalder Kiez, die sagen: „Kommt schon, macht mal schneller!“
Apropos Autopolitik, was gibt's Neues zur A100?
Die Verfahren laufen leider weiter. Ich würde mir wünschen, dass der Bund die Notbremse zieht und das stoppt. Aber leider sehe ich aktuell weder auf Landes- noch auf Bundesebene Bewegung. Da muss man sich schon entscheiden, wie die Stadt der Zukunft aussehen soll. Ich weiß, wie meine Vision einer Stadt im 21. Jahrhundert aussieht: garantiert nicht mit einer Autobahn-Schneise durch den am dichtest besiedelten Bezirk dieser Stadt. Das hat weder etwas mit Klimaschutz noch mit lebenswerten Kiezen zu tun. Im kommenden Jahr wird der 16. Bauabschnitt bis zum Treptower Park eröffnet und wir sehen nicht, dass der Senat irgendwelche verkehrlichen Konzepte dafür hat. Wie soll der Verkehr von da wegkommen? Das ist völlig unklar.
Machen wir noch einen Ortswechsel, bleiben aber beim Thema lebenswerter Kiez: Die Gegend um den Mehringplatz gilt als eine der ärmsten der Stadt, Jugend- und Drogenkriminalität sind auf einem Allzeithoch. Nun soll das Jugend- und Stadtteilzentrum wegen Baufälligkeit schließen. Was tun Sie, damit die Gegend nicht völlig abgehängt wird?
Rund um den Mehringplatz leben viele Menschen, die nicht viel Geld haben, und viele Familien auf wenig Raum. Deshalb stellt sich die Frage, wie der öffentliche Raum für den sozialen Zusammenhalt gestaltet ist. Im Jugend- und Stadtteilzentrum haben wir eine bauliche Situation, bei der extreme Eile geboten ist. Was wir an Notfalloperationen am Gebäude machen können, wird vorangetrieben. Wir brauchen aber eine umfassende Sanierung – und die hat einen Umfang von rund 25 Millionen Euro. Das Land Berlin muss endlich darauf reagieren.
Was machen die Kinder und Jugendlichen so lange?
(Lange Pause) Es gibt verschiedene Maßnahmen, und wir sind gefordert, neue Lösungen zu finden, ob Ausweichräume oder verstärkte Jugendarbeit am Platz. Klar ist, wir brauchen solche Orte, und die müssen dauerhaft abgesichert werden. Hier zeigt sich, wie wichtig diese Strukturen vor Ort für den sozialen Zusammenhalt sind. In der Priorisierung knapper Haushaltsmittel ist das jedoch noch nicht überall im Senat angekommen. Der spart vor allem dort, wo es um die Kleinen und Schwächeren in unserer Gesellschaft geht, das sehen wir auch im Kulturbereich, wo an der kulturellen Bildung, an Kinder- und Jugendtheatern und an Bibliotheken gespart wird. Das kann nicht sein, das ist der falsche Schwerpunkt. Wenn Berlin beim sozialen Zusammenhalt spart, leidet das Vertrauen in Staat und Demokratie. Der Finanzsenator war jetzt bei uns im Bezirk. Genau darüber haben wir gesprochen.
Bei der Europawahl haben die Grünen in Friedrichshain-Kreuzberg Prozente verloren, bislang ging es immer nach oben. Macht Ihnen das Sorgen auch mit Blick auf den allgemeinen Rechtsruck?
Grundsätzlich macht uns der Rechtsruck große Sorgen, in Deutschland, aber auch darüber hinaus. Minderheiten werden in den Fokus gerückt, rassistische Ressentiments verbreiten sich, und dass aus Worten Taten werden, zeigt sich auch bei uns im Bezirk. Wenn ich mich mit der jüdischen Gemeinde unterhalte, sagen sie mir: Wir sprechen kein Hebräisch mehr in der U-Bahn. Wenn ich mich mit queeren Menschen unterhalte, berichten sie mir von Diskriminierung oder Gewaltvorfällen. Dagegen müssen alle DemokratInnen eindeutig Stellung beziehen. Damit meine ich auch die CDU, die sich weniger an den Grünen abarbeiten sollte: Bei aller Meinungsverschiedenheit muss klar sein, dass der Feind rechts steht.
Meinungsverschiedenheiten gab es zuletzt auch bei der Umbenennung der Manteuffelstraße in Audre-Lorde-Straße – am Ende wurde nur die Hälfte umbenannt. Wäre es nicht sinnvoller gewesen, die ganze Straße umzubenennen, statt an einem preußischen Politiker festzuhalten?
Ich freue mich, dass wir nun diese Straße bei uns im Bezirk haben – Frauen und POC sind im öffentlichen Raum nicht so stark vertreten. Das ist wichtig und hat ehrlicherweise viel zu lange gedauert. Es stellt sich schon die Frage, warum das Bezirksparlament nicht entschieden hat, die ganze Straße umzubenennen. Auch jetzt ist es eine würdige Straße, aber es wäre eine ganze und keine halbe Sache gewesen. Wie die Straßenumbenennung in der Verwaltung ablief, da ist so ziemlich alles schief gegangen, was schief gehen konnte. Da kann ich nur noch einmal um Entschuldigung bitten, das darf nicht passieren.
Wann wird die nächste Straße umbenannt?
Wir müssen jetzt erstmal den Prozess optimieren. Beschlossen ist jedoch, dass die Kohlfurter Straße – und zwar die ganze – nach Regina Jonas umbenannt wird. Sie war die weltweit erste Rabbinerin, wurde von den Nazis ermordet und war unter anderem in Kreuzberg aktiv. Sie öffentlich zu würdigen, ist ein wichtiges Signal.
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