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Globalize it!

Die Welt ist nicht genug (3): Lesarten einer globalisierten Welt. Die Verschwörung von Viacom Inc.

■ Seattle, Tokio, Göteborg und Genua – die Weltordnung der „New Economy“ wird nicht länger als Chefsache akzeptiert. Mit der Wahrnehmung sozialer Ungerechtigkeit wächst auch der Widerstand. Wie aber sehen die Kritiker der Globalisierung aus? Was treibt sie an? Und welche Kultur entsteht aus dem neuen Protest?

von BRIGITTE WERNEBURG

Wer im Jahr 2001 einen Roman in die Hände nimmt, mit dem ein junger Autor gerade debütiert hat, dem kann es passieren, dass er auf der Seite mit den ISBN-, Verlags- und Copyright-Angaben Folgendes liest: „Dieses Buch wurde bei Simon & Schuster veröffentlicht, einer Firma, die zu einem größeren und wesentlich mächtigeren Unternehmen, Viacom Inc., gehört. Dieses Unternehmen ist reicher und hat mehr Angestellte, als achtzehn von fünfzig amerikanischen Bundesstaaten, als alle Länder Zentralamerikas und alle der ehemaligen Sowjetunion zusammen an Bewohnern haben, und das noch verdreifacht.“ Nein, wahr ist das natürlich nicht, was da steht. Weil aber 70 Prozent der Amerikaner finden, dass Konzerne zu viel Macht haben, könnte ein gut Teil der Leser Dave Eggers Übertreibung für bare Münze nehmen. Dabei ist sie nur signifikant. Unschwer erkennt der Leser, dass „Ein herzzerreißendes Werk von umwerfender Genialität. Eine wahre Geschichte“ aus der Zeit nach Seattle stammt.

Nun ist die Reverenz, die der Autor Seattle und dem guten Anliegen der Globalisierungsgegner erweist, deutlich skeptisch: „Das bedeutet, dass ganz gleichgültig, wie groß diese Unternehmen sind und was sie alles besitzen oder wie viel Geld sie haben oder machen oder kontrollieren, ihr Einfluss auf das tägliche Leben und das Herz des Einzelnen, auf 99 Prozent von dem, was Regierungsbeamte in Städten wie Washington, São Paulo, Moskau oder Auckland tun, ihr Effekt auf das kurze, schwere Leben von Leuten, die sich mühsam durchs Leben bewegen . . . sehr sehr gering ist. Und deshalb sollte man sich darüber keine Gedanken machen.“ Gerade das allerdings tun seine Leser, das weiß Eggers. Schließlich haben laut amazon.de Kunden, die sein Buch gekauft haben, auch „No Logo“ von Naomi Klein gekauft, das der britische Observer als „Das Kapital of the growing anticorporate movement“ bezeichnet.

Anticorporate movement heißen im Englischen die Globalisierungsgegner. „Der Medien-Titan Viacom, zu dessen Besitz unter anderem Paramount Pictures und MTV gehören“, wie The Standard, die Wirtschaftszeitung im Internet, am 26. Juli dieses Jahres berichtet, könnte durchaus ihrer Aufmerksamkeit würdig sein. Nicht so sehr, weil der Umsatz des Unternehmens dem Standard zufolge um 18 Prozent, von 4,85 auf 5,72 Milliarden Dollar, stieg, was lächerlich ist im Vergleich zu den 210,4 Milliarden Dollar Umsatz, die Exxon-Mobil im Jahr 2000 machte, oder den 150,1 Milliarden von DaimlerChrysler, sondern weil Viacom Inc. mit MTV und Paramount tatsächlich einen unvergleichlich größeren Einfluss auf das Leben der Leute in Südamerika und in der ehemaligen Sowjetunion haben könnte als die eigenen kulturellen Institutionen der abgewirtschafteten Volksökonomien.

Die Bezeichnung Anticorporate movement benennt die Mission der Antiglobalisierer womöglich genauer als der Antiglobalisierungsbegriff selbst, weil sich die Bewegung nicht in erster Linie gegen die Globalisierung als solche richtet und bei der WTO-, Weltbank- und IWF-Politik auf deren demokratische Reform drängt. Es ist die Ablehnung der global agierenden Konzerne, die die Mischung aus Verbraucherschutzbewegung, internationalen Gewerkschaften und naiver Graswurzelromantik eint. Manche Kommentatoren sehen in ihr nur gutgläubige Gesinnungsethiker am Werk. Das freilich dürfte die Sache nicht ganz treffen. In Genua jedenfalls brachte der Sprecher des Genoa Social Forum, Vittorio Agnoletto, den entscheidenden Punkt zur Sprache: „Die Globalisierung, der wir uns widersetzen, ist allein die des amerikanischen Neokolonialismus.“ Gegen diesen hat bekanntlich Frankreich, um seine kulturelle Identität und seine Filmindustrie vor MTV und Paramount zu schützen, ein Sprachverbot für englische Ausdrücke erlassen und Ausnahmeregelungen bei den Gatt-Verhandlungen durchgesetzt. (Allein, wer Hollywood an Produktions- und Investitionsvolumen Paroli bieten kann, ist nicht die französische, sondern die indische Filmindustrie.)

Die Perle auf dem Rosenkranz nationaler Identität, den Frankreich gerne herbetet, ist sein Status als Agrarproduzent. Der kleine Makel, der die Perle als echt erweist, ist freilich die Tatsache, dass der größte Abnehmer von Agrarprodukten in Frankreich McDonald’s ist. José Bové, der Landwirt, der als Globalisierungsgegner berühmt wurde, weil er den Rohbau einer neuen Filiale des Fastfood-Imperiums mit seinem Traktor niederriss, verteidigt eine skandalöse europäische Agrarpolitik, die von einer fairen Handels- und Produktionspolitik nichts wissen will. So argumentiert er, der Zugang etwa südamerikanischer Landwirtschaftsprodukte zum europäischen Markt nutze nur den dortigen Eliten, nicht aber den armen Bauern. Auch so kann man mit dem Argument der Gerechtigkeit das torpedieren, was eine mögliche Versuchsanordnung für ein besseres ökonomisches Gleichgewicht sein könnte. Wenn der Protektionismus dann nicht den südamerikanischen Eliten hilft, vielleicht hilft er den französischen? „Wir wollen“, sagt der Mitbegründer von Attac, der Chefredakteur der Le Monde diplomatique, Bernard Cassen, „ein echtes Rollback, eine Deglobalisierung.“

Warum aber leben wir eigentlich in einer McWorld, wie es der amerikanische Kommunitarist Benjamin R. Barber behauptet – der gleich noch unterstellt, dass dies den Dschihad, den islamischen Fundamentalismus, provoziere (in Berlin allerdings bloß den Döner)? Es geht doch nur um ein – freilich unvergleichlich – erfolgreiches Franchise-Unternehmen, das ziemlich schlechtes Essen verkauft? Als Woolworth Mitte des 20. Jahrhunderts ein weltweit operierendes Unternehmen war, das den Alltag der Menschen ausstattete, wäre niemand auf die Idee gekommen, von einer Woolworth-World zu sprechen. Die Sache so zu sehen musste die Welt erst noch lernen: Aus diesem Grund verdanken wir die McWorld Frankreich, nicht Amerika. Denn letztlich war es doch die Semiotisierung unserer Umwelt, genauer gesagt, Roland Barthes’ Leseanleitung zu den „Mythen des Alltags“, die aus Waren Kultur machten und aus der Typenbezeichnung Citroën DS den Namen der Göttin, „Déesse“. Rund zwanzig Jahre später hatten dann die Betriebswirte und Marketingfachleute die Lektüre endlich weltweit verdaut und stellten die Werbung von Verkaufsförderung auf kulturelle Imageproduktion um. Seither verkauft Nike keine Turnschuhe, sondern Sportsgeist, IBM keine Computer, sondern „Business solutions“, und Swatch keine Armbanduhren, sondern Zeit. Namen- und Markenrechte sind inzwischen oft der kostbarste Besitz eines Unternehmens. Immaterielle Produktion nennt der italienische Philosoph Antonio Negri diesen Vorgang. Die immaterielle Produktion erzeugt inzwischen den größten Teil der gesellschaftlichen Wertschöpfung, des gesellschaftlichen Reichtums.

Globalisierung bedeutet, außer den Bezugsrahmen des Nationalstaats aufzugeben, auch territorial gebundene kulturelle Maßstäbe hinter sich zu lassen. Kulturelle Identitätspolitik findet heute in transnationalen, ausdifferenzierten Szenen oder Communities statt. Technische Medien wie das Internet liefern dafür die Basis. Für die Kultur gilt wie für das Kapital, dass sie zu ständiger Modernisierung getrieben ist. Die kulturelle Überformung der Warenwelt heißt, dass Produkte heute das Gleiche wie Wissen produzieren und transportieren: instrumentelle Sicherheit, soziale Beziehungen, Gefühle und Affekte. Der Globalisierungsgegner Fabio Ciaramelli mag zunächst einen relevanten Aspekt benannt haben, wenn er klagt, „was immer weiter zunimmt, ist weniger die wirtschaftliche Kluft zu den Ausgeschlossenen, sondern vor allem ihre Ausgrenzung auf der Ebene der Sinnproduktion“. Der Verlust der individuellen und kollektiven Selbstrepräsentation führe dann zu einer „neuen Figur der Unmittelbarkeit“. Das allein gelassene Subjekt wird direkt auf die Ebene des Universalen gehoben, wie er aber meint, „zurückgeworfen“. Und das bedeute den Vorrang des Konsums vor der Produktion.

Warum aber soll die Produktion den Vorrang vor der Konsumption haben und dieser Vorrang einem globalen ökonomischen Gleichgewicht förderlich sein? Die Linke kommt von Marx und seinem Sündenfall der Trennung von produktiver und unproduktiver Arbeit einfach nicht los. Fatalerweise gibt es, was den bekanntlich unproduktiven, konsumptiven privaten Haushalt angeht, weltweit gesehen eben viel zu wenig Konsum; das heißt, es gibt Hunger und Wohnungslosigkeit, bei gleichzeitiger Produktion von jeder Menge Kinder. Die Ebene des Universalen, die Ciaramelli benennt, mag die einer universalen, besser transnationalen kulturellen Standardisierung sein, auf der man beispielsweise auf den Konsum des schlechten Essens wie des verführerisch prompten Service von McDonald’s zurückgeworfen ist. Ob sich diese Standardisierung jedoch mit Amerikanisierung im strengen Sinne eines amerikanischen Neokolonialismus beschreiben lässt? (Nun ja, vielleicht von Leuten, die eine deutsche Leitkultur kennen.)

Die Beziehung zwischen globalen Konzernen und lokalem Markt ist wie „das Kapital eine Relation zwischen dem Willen zur Ausbeutung und dem Widerstand der Ausgebeuteten“, wie Toni Negri sagt. Und so wenig das Kapital eine „transzendente Macht“ ist, so wenig gibt es einen globalen Markt. Weil es tatsächlich nur lokale Märkte gibt, die – nicht zuletzt genau deswegen – globalisierte Unternehmen beliefern oder auch dominieren möchten, sieht sich zum Beispiel Coca Cola gezwungen, „überall ein lokales Unternehmen zu sein“, wie Douglas Daft, Chef in Atlanta, in einem Interview eingesteht, und ein „Modellbürger an jedem Standort“. Den „Modellbürger“ einmal geschenkt: Auch der alte American Way of Life wurde längst einer neuen, zweiten Modernisierung unterworfen. Auch für die USA gibt es keine New Frontier mehr, auch die Vereinigten Staaten sind nur ein Teilnehmer der Globalisierung, der technisch avancierteste, der potenteste zweifellos, keineswegs aber der unbeschränkt dominierende. Das lernt Amerika gerade allmählich. Die Welt weiß es schon. Sie ist deswegen noch lange nicht in Ordnung. Und deshalb ist die Debatte um die Globalisierung keine über den amerikanischen Neokolonialismus, über die Verschwörung von Viacom Inc., gegen Südamerika und die ehemalige Sowjetunion mal drei.

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