Globaler Rückzug aus Fossilen: Der Anfang vom Ende von Öl und Gas
Für den Klimaschutz müssen große Mengen Bodenschätze unangetastet bleiben. In Glasgow wird erstmals über Sterbehilfe für die Fossilen debattiert.
Zusammen mit Costa Rica präsentierte Dänemark die „Allianz jenseits von Öl und Gas“ (Boga) – Staaten und Regionen, die beschlossen haben, keine neuen Lizenzen für die Suche und Förderung von Öl und Gas zu vergeben, oder die diesen Schritt planen. Zu den ersten Mitgliedern der diplomatischen Initiative gehören Frankreich, Schweden, Irland, Grönland, Québec und Wales. Kalifornien, Neuseeland und Italien haben Unterstützung signalisiert.
Das sei „ein großer Wandel“, lobte die Klimaorganisation 350.org, „nachdem der UN-Prozess über Jahrzehnte die wichtige Frage ignoriert hat, wie die Welt aus den Fossilen aussteigen will, die die Klimakrise antreiben“. Im Boga-Gründungsaufruf heißt es, die Initiative werde darauf hinarbeiten, „die heimische Produktion von Öl und Gas in Einklang mit den Erfordernissen des Pariser Abkommens zu begrenzen“. Dänemark hat dabei Erfahrung: Es hat 2017 den staatlichen Öl- und Gaskonzern Dong zum Windanbieter Ørsted umgebaut.
Wie schwierig der Ausstieg ist, zeigt Gastgeber Schottland: 125 Kilometer westlich der Shetland-Inseln liegt das bislang unberührte Öl- und Gasfeld „Cambo“, das für 25 Jahre Energiesicherheit, Jobs und Millionengewinne verspricht. Die britische Regierung will das Projekt bis Ende des Jahres genehmigen, aber die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon hat London aufgefordert, die Genehmigung zu überdenken.
Auch Investoren haben Angst
Mit Boga beginnt eine globale Debatte: Wie, wo und wann gelingt der Ausstieg aus Öl, Gas und Kohle, schnell und möglichst ohne große ökonomische und soziale Verwerfungen?
Was lange ein Wunschtraum von UmweltschützerInnen war, wird damit immer mehr zum Standard in Politik und Finanzwirtschaft: Ein „geordneter Rückzug“ („managed decline“) der fossilen Brennstoffe. „Die Erzählung von 1,5 Grad und von Klimaneutralität bis 2050 ist immer stärker geworden“, sagt Alex Dalman, Analyst beim britischen Thinktank „Carbon Tracker“, „und wenn man sie ernst nimmt, läuft das eben auf den geordneten Niedergang von Öl und Gas hinaus.“
Dahinter stehen nicht nur Ökogedanken. Sondern auch die Angst der Investoren vor „gestrandeten Kosten“ in Öl- und Gasinfrastruktur, die schon in wenigen Jahrzehnten überflüssig sein kann. Nicht umsonst warnt schon seit Jahren das „Financial Stability Board“, ein Beratungsgremium der G20, der Klimawandel könne Geldanlagen entwerten und das globale Finanzsystem erschüttern.
Um das Problem zu lösen, seien bis 2050 bis zu 100 Billionen Dollar nötig. Und nicht umsonst haben die Analysten von „Carbon Tracker“ ihr aktuelles Gutachten zur Ölindustrie „Anpassung zum Überleben“ (Adapt to survive) genannt – nicht nur für die Inselstaaten, sondern auch für die großen Öl- und Gasfirmen.
Um die Klimaziele einzuhalten, müsse einfach ein großer Teil der fossilen Reserven im Boden bleiben, hatte schon 2012 US-Journalist und Klimaaktivist Bill McKibben vorgerechnet. Der Weltklimarat bestätigte das: Für 1,5 Grad müsste die Kohleproduktion bis 2050 auf 18 Prozent der heutigen Werte sinken, die Ausbeutung von Öl auf 34 und die von Erdgas auf 57 Prozent.
In der Realität fällt die Umsetzung schwer
Der Rest der Boden„schätze“ würde damit zu „unverbrennbarem Kohlenstoff“. Im September 2021 kam dann auch aus Paris rotes Licht: Die Internationale Energieagentur IEA erklärte: Game over. Um das Ziel von 1,5 Grad zu halten, brauche es „von heute an keine neuen Investitionen mehr in neue Objekte für den Nachschub an fossilen Brennstoffen“.
Die Realität an Ölplattformen und Gasquellen ist allerdings ganz unterschiedlich: So hat etwa die norwegische Regierung, sonst gern Ökovorreiter, gerade erklärt, die Suche nach neuem Öl und Gas werde erst einmal weitergehen. Der Ölkonzern BP hat als bislang erstes großes Energieunternehmen angekündigt, bis 2050 aus den fossilen Brennstoffen auszusteigen und sich auf Erneuerbare zu konzentrieren.
Aber auch der geordnete Rückzug fällt Unternehmen und Staaten schwer. Denn mit den Öl- und Gasquellen sprudelt auch viel Geld. Bei Staaten wie dem Irak (89 Prozent) oder Äquatorial-Guinea (81 Prozent) machen die Öl- und Gaseinnahmen nach einer Studie über die „Petrostaaten“ den Großteil des Staatsbudgets aus, in Nigeria sind es 45, in Saudi-Arabien 69 Prozent. Aber auch G20-Nationen hängen an der Ölspritze: Russland finanziert 23 Prozent seines Etats durch Öl und Gas, Mexiko 18 Prozent, Norwegen 15 Prozent. Laut „Carbon Tracker“ verlören Russland, Saudi-Arabien, Ägypten oder Norwegen bei ernsthaftem Klimaschutz bis 2040 jeweils etwa die Hälfte ihrer Staatseinnahmen.
Nötig wäre ein internationales Abrüstungsabkommen zum Kohlenstoff, meint jedenfalls eine Initiative, die einen „Vertrag zum Verbot der Weiterverbreitung von fossilen Brennstoffen“ fordert. Wie Atomwaffen sei der Klimawandel eine „große globale Bedrohung.“ Um ihr zu begegnen, seien drei Schritte nötig: das Ende aller Suche und Produktion von Kohle, Öl und Gas, dann ein Ausstieg aus der Förderung und ein „gerechter Übergang“, mit dem Arbeiter und Regionen der Abschied von den Fossilen ermöglicht werde.
Für den Thinktank „Oil Change International“ jedenfalls gibt es nur drei Alternativen: geordneter Rückzug der Fossilen; ungeordneter Rückzug samt Firmencrashs und Wirtschaftskrise oder schlicht: Klimakatastrophe. Um das zu verhindern, sei ein schneller und gerechter Übergang nötig, heißt es in einem Positionspapier zu der Studie „The Sky’s Limit“. Den Anfang machen sollte die westliche Welt: „Der Ausstieg sollte da am schnellsten kommen, wo er sozial und wirtschaftlich am wenigsten disruptiv ist“, heißt es, „besonders in reicheren Ländern, die weniger von der Öl- und Gaswirtschaft abhängig sind.“ Wie zum Beispiel 125 Kilometer westlich der Shetland-Inseln.
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