piwik no script img

Gleichwertigkeitsbericht für DeutschlandZufriedenheit ist Frage des Gefühls

Der erste Gleichwertigkeitsbericht der Regierung zeigt: Regionale Unterschiede sind groß, aber nehmen ab. Die Deutschen sind recht zufrieden.

Hier geht es eindeutig bergauf: Bundesstraße mit Radweg auf Rügen Foto: Jens Koehler/imago

Berlin taz | Die Lebensverhältnisse in Deutschland gleichen sich an, regionale Unterschiede nehmen insgesamt ab. Das ist das Ergebnis des ersten Gleichwertigkeitsberichts, den die Ampelkoalition am Mittwoch im Kabinett diskutiert und vorgestellt hat.

Erstmals hat die Bundesregierung für den Bericht Daten für alle 400 Landkreise zusammengefasst und teils eigens erhoben, um die Lebensbedingungen in Deutschland systematisch vergleichen zu können. 38 Indikatoren wurden dafür erfasst, die zusammen genommen für die Qualität der Lebensverhältnisse stehen sollen: von der Höhe der Gewerbesteuereinnahmen über die Quote der Langzeitarbeitslosen, über die Versorgung mit Kin­der­ärz­t*in­nen bis hin zur Feinstaubbelastung. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) nannte die Entwicklung „erfreulich“.

In 27 von 38 Kategorien haben die regionalen Unterschiede in Deutschland dem Bericht zufolge abgenommen. In den anderen Kategorien, darunter bei der Versorgung mit Kitaplätzen und dem Anteil von Fachkräften, haben sich die regionalen Unterschiede dagegen vergrößert. Eine solch detaillierte Datengrundlage auf kommunaler Ebene hat es in Deutschland bisher nicht gegeben. Sie gibt Aufschluss darüber, wie sich die Lebensverhältnisse unterscheiden – und gibt die Möglichkeit, Landkreise miteinander zu vergleichen.

Nicht nur Ost und West

Viele der erhobenen regionalen Unterschiede sind bereits bekannt und ordnen sich auch 35 Jahre nach dem Fall der Mauer immer noch nach Ost- und Westdeutschland. Dazu gehört etwa der Gender-Pay-Gap, der im Osten sehr viel geringer ist als im Westen.

Doch der Bericht zeigt ebenso regionale Unterschiede, die sich geografisch anders verteilen: etwa die Bevölkerungsentwicklung. Diese steigt in Landkreisen in Ostdeutschland rund um die Metropolregionen Berlin, Leipzig und Dresden, während sie in Westdeutschland in vielen Landkreisen abnimmt.

In den meisten Kategorien stellt der Bericht einen geringer werdenden regionalen Unterschied in den Lebensverhältnissen fest. So ist etwa der Abstand zwischen Landkreisen mit hoher und mit niedriger Arbeitslosigkeit gesunken. Trotzdem bleiben aber auch große regionale Unterschiede: Während in süddeutschen Landkreisen faktisch Vollbeschäftigung herrscht, ist die Arbeitslosigkeit in Ostdeutschland, Bremen und dem Ruhrgebiet deutlich höher.

Auch beim Bruttoinlandsprodukt gibt es eine leichte Annäherung. Landkreise mit geringerer Wirtschaftskraft sind in den vergangenen zehn Jahren stärker gewachsen als Kreise mit hoher Wirtschaftskraft. Dennoch bleibt aber das Bruttoinlandsprodukt in niedersächsischen Wolfsburg noch immer etwa dreimal so hoch wie im sächsischen Erzgebirgskreis.

Subjektive Zufriedenheit geringer

Neben objektiv messbaren Kriterien wurde für den Bericht auch erhoben, wie zufrieden Menschen in Deutschland subjektiv mit ihrem Leben sind. Dafür wurden zwischen Oktober und Dezember 2023 über 30.000 Menschen in allen 400 Landkreisen befragt. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sagte, man habe bewusst nicht nur Daten erheben wollen, sondern wollte „den Menschen vor Ort zuhören.“ Diese Erhebungen stellt der Bericht den objektiven Daten zur Lebenszufriedenheit gegenüber.

Auffällig ist, dass die subjektive Wahrnehmung und objektive Daten teils voneinander abweichen. Den statistischen Verbesserungen steht in diversen Bereichen auch eine große Unzufriedenheit gegenüber: Acht von zehn Befragten sagten etwa, dass es schwierig sei, Wohnraum zu finden. Gering ist auch die Zufriedenheit mit dem öffentlichen Nahverkehr und den Radwegen. Nur die Hälfte der Befragten sagt, dass sie damit in ihrer Region ausreichend versorgt sind. Dies gilt ebenso für die Versorgung mit schnellem Internet. Sehr schlecht ist auch das Ergebnis für die Bildungspolitik: Nur vier von zehn Befragten waren zufrieden mit der Qualität von Schulen und der Versorgung von Kindern.

Subjektive Wahrnehmung und objektive Daten klaffen zuweilen deutlich auseinander: So ist die Zufriedenheit mit der Kinderbetreuung in Bayern höher als die tatsächliche Versorgung mit Kinderbetreuung. „Manchmal ist die Stimmung besser als die Lage“, so Habeck trocken dazu. Anders ist es in diesem Bereich in Ostdeutschland, wo die Versorgung in der Kinderbetreuung insgesamt am besten ist. Hier hat die Zufriedenheit dagegen auf hohem Niveau eher abgenommen.

Zwei Drittel insgesamt zufrieden

Doch trotz der Vielzahl an Problemen sind zwei Drittel der Befragten mit ihrer individuellen Lebenssituation insgesamt zufrieden. Dieser Wert unterscheidet sich zwischen West und Ostdeutschland nur geringfügig. Auch das Sicherheitsempfinden ist dem Bericht zufolge eher hoch. Acht von zehn Befragten fühlen sich in ihrem Wohnumfeld demnach sehr sicher oder eher sicher. Mit dem gesellschaftlichen Leben in ihrer Region zeigten sich sechs von zehn Befragten zufrieden.

Die Bundesregierung schafft mit dem Bericht auch erstmals Transparenz darüber, wie sich die vielen regionalen Fördermittel des Bundes auf die 400 Landkreise verteilen. Bisher hatte sie darüber keine Übersicht. Im Mittelpunkt dieser Analyse steht das „gesamtdeutsche Fördersystem für strukturschwache Regionen“ (GFS).

Dieses bildet seit 2020 den Kern der Gleichwertigkeitspolitik der Bundesregierung. Im Jahr 2022 hatte es ein Fördervolumen von 4,2 Milliarden Euro. Mehr als die Hälfte der Fördermittel fließen demnach in ostdeutsche Landkreise, wo rechnerisch bis zu 557 Euro (Prignitz) pro Ein­woh­ne­r*in ausgegeben werden. Überdurchschnittliche hohe Förderungen fließen aber auch in die Landkreise Ostbayerns, ins Saarland und das Ruhrgebiet sowie einige norddeutsche Landkreise.

Bundesinnenministerin Faeser verwies bei der Vorstellung des Berichts auf den Beschluss des Kabinetts von letzter Woche, Bundesbehörden und Forschungseinrichtungen im ländlichen Raum anzusiedeln. Man wolle Anreize schaffen, dass junge Menschen in ihrer Heimat bleiben oder zurückkehren. „Menschen sollen die Wahl haben, wo sie leben wollen“, sagte Faeser, für diese Wahlfreiheit brauche es gleichwertige Lebensverhältnisse: „Das ist für mich Heimatpolitik.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

10 Kommentare

 / 
  • Der Bericht geht etwas leichtfertig mit Daten um und legt zudem (bisher) Korrekturen nicht offen: scienceblogs.de/ge...und-prozentzahlen/

  • Schön!



    Deshalb weil sie alle so reich und zufrieden sind, fürchten sie am meisten, dass andere ihnen was wegnehmen könnten. So werben AfD-Agenten und andere Rechte mit Immobilien, Gold, und Silber und wollen Trump zum König machen.



    Ein Hierarchie-liebender Fetischismus, der auf die Armen der Welt herabschaut.



    Wohlstandschauvinismus.

  • Da fragt man sich wie in diesen Zeiten der allgemeinen Fülle und Zufriedenheit die ADF es schafft eine rechte Revolution zu entfachen?

  • Nörgelei: "Acht von zehn Befragten sagten etwa, dass es schwierig sei, Wohnraum zu finden." Wurden nur Umzugswillige gefragt oder haben auch die Eigenheimbesitzer "nach Gefühl" geantwortet, was man halt so von anderen hört?

    Der Bericht bestätigt aber das Gefühl aus dem Umkreis, dass es vielen nicht so schlecht geht, wie es immer wieder durch headlines suggeriert wird (Fehlt hier, fehlt da, Politik geht nicht drauf ein, sieht es nicht, Katastrophe hier und dort, etc).

    • @fly:

      Danke! Die durch Medien transportierte (angebliche) Unzufriedenheit lässt einen manchmal am eigenen Verstand zweifeln.

  • Wenn zwei Drittel laut Umfrage mit ihrer Lebenssituation zufrieden sind, frage ich mich warum ich in meiner Millionenstadt so wenig fröhliche Gesichter sehe und auch der Umgangston immer rauer wird.

    Scheint entweder an meiner Wahrnehmung zu liegen oder es klafft doch eine erhebliche Lücke zwischen offizieller Datenerhebung und Selbstwahrnehmung in der Bevölkerung.

    An dieser Stelle sehe ich den Bericht eher kritisch zumal von der Regierung in Auftrag gegeben.

    • @Sam Spade:

      Weil Zufriedenheit immer Relativ ist.

      Erinnert mich an einen indischen Kollegen: Der dachte als er in D ankam das hier gerade was schlimmes passiert sei, Volkstrauertag oder ähnliches. Bis er merkte das dies hier die Norm ist.

      Lebensfreude und Deutschland sind schon ziemlich disjunkt.

    • @Sam Spade:

      In meiner Millionenstadt sehe ich nicht mehr und nicht weniger fröliche Gesichter als früher, und rauer ist der Umgangston auch nicht geworden.

      • @PPaul:

        Nun ja, wenn man in Deutschland lebt bekommt man das nicht so wirklich mit.

        Aber ich merke schon (blicke von Außen auf die alte Heimat) das sich eine Art Hoffnungslosigkeit über das Land gelegt hat. Man erwartet von der Zukunft keine Verbesserung mehr sondern wartet halt auf den nächsten Nackenschlag.

        Hängt vermutlich mit dem sich beschleunigenden wirtschaftlichen Abstieg und den Nachwirkungen der bekannten Krisen zusammen.

  • Ich würde mal gerne noch eine Differenzierung haben welche Gruppen befragt wurden und wie deren Ergebnisse untereinander aussehen. Männer/Frauen oder auch Ausländer/Isländer. Ich könnte mir vorstellen, dass bei den Biodeutschen die Unzufriedenheit höher ist. So ein Gefühl nur.



    Zusammenfassung für die Wahlentscheidung: AfD ist bei ca. 33% gedeckelt, da ja ca. 66% deutlich zufriedener sind. Ist natürlich nur bedingt beruhigend dieser Wert.