Gleichstellungsgesetz in Sierra Leone: Bildung für die Nation
Fortschrittliche Gesetze ebneten Sierra Leones Frauen den Weg in politische Ämter. Das bringt auch die Gesellschaft insgesamt voran.
Viele afrikanische Länder tun sich heute schwer damit, die Beschäftigungsmöglichkeiten von Frauen zu verbessern. Sierra Leone, wo traditionelle Überzeugungen eine wichtige Rolle spielen, ist da keine Ausnahme. Und obwohl sich die Mentalität langsam verändert, gibt es immer noch Widerstand in traditionell orientierten Gemeinschaften.
In dem Jahrzehnt des Bürgerkriegs in Sierra Leone, von 1991 bis 2002, war die Diskriminierung von Mädchen und Frauen weit verbreitet. Das galt sowohl für den Zugang zu Bildung als auch für politische Ämter. Seither aber gab es Fortschritte: Frauen haben mehr Ehrgeiz entwickelt, die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern nahm ab. Es gibt weniger Diskriminierung von Mädchen, heute können mehr von ihnen Bildung erlangen und mit ihren männlichen Kollegen konkurrieren.
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Im November 2023 wurde schließlich ein neues Gesetz verabschiedet, das Frauen in vielen Bereichen die Gleichberechtigung garantiert. Unter anderem dürfen sie nun eigenes Land besitzen und selbst Verträge abschließen. Jahrelang hatten sich Aktivistinnen dafür eingesetzt. Das neue Gesetz ist einmalig auf dem afrikanischen Kontinent.
Bereits Anfang 2023 war ein Gleichstellungsgesetz verabschiedet worden, nachdem ein Drittel aller Kandidat:innen bei Wahlen Frauen sein müssen. Daraufin stieg der Frauenanteil im männerdominierten Parlament bei der letzten Wahl von 17 auf 41 Personen. Gleichzeitig aber beklagt die Frauenrechgtsorganisation medica mondiale, dass friedliche Demonstrationen von Frauenrechtlerinnen mehrfach gewaltsam aufgelöst und Proteste unterdrückt worden seien. Es sei auch zu Brandanschlägen und Mordversuchen gekommen, etwa gegen Frauen, die für die Opposition kandidierten.
Bereits 2022 wurde ein wegweisendes Gesetz beschlossen, nach welchem die Belegschaften von Privatfirmen mit mehr als 25 Beschäftigten zu 30 Prozent mit Frauen besetzt werden müssen. Das gilt auch für Regierungsstellen, Positionen im öffentlichen Dienst und das Kabinett. „Die Zukunft von Sierra Leone ist weiblich“, sagte Präsident Julius Maada Bio bei der Unterzeichnung des Gesetzes, das Ende 2022 vom Parlament verabschiedet wurde. Es müsse alles dafür getan werden, Frauen rechtzeitig, vollständig und bedingungslos in das öffentliche Leben, die Regierungsführung und die Entwicklung des Landes einzubeziehen, so Bio.
Positive Veränderungen für Frauen gibt es auch im medizinischen Bereich: Aufgrund der verbesserten Versorgung von schwangeren Frauen ist die Todesrate während der Schwangerschaft seit 2000 um 74 Prozent gesunken.
Im Bemühen um eine bessere Beteiligung von Frauen in Politik und Verwaltung hat Sierra Leone nach dem Bürgerkrieg viel Unterstützung von internationalen Organisationen erhalten – und konnte auch dadurch den Anteil von Frauen in öffentlichen Ämtern steigern. Bildung von Frauen und Mädchen ist heute eine nationale politische Priorität.
Finanzielle Unabhängigkeit ist eine Voraussetzung für die Gleichstellung der Geschlechter in der Gesellschaft
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Dazu haben viele internationale Geber und Partner einen wichtigen Beitrag geleistet: Der Commonwealth, Ecowas, die Afrikanische Union, die USA, Großbritannien, die USA, Frankreich, China und die EU. Letzte finanziert eine Reihe von Reformprojekten für eine verantwortungsvolle Regierungsführung. In Westafrika unterstützt sie etwa das Netzwerk Send, das in Ghana, Liberia und Sierra Leone unter anderem zum Thema Frauenförderung in ländlichen Gebieten arbeitet. Die Bildungsprogramme und Projekte zum Empowerment von Mädchen sollen diesen unter anderem helfen, eine Ausbildung abzuschließen. Frauen werden unterstützt, von ihren Ehemännern unabhängig zu werden, was auch die Einkommenssituation der Haushalte verbessert. Die finanzielle Unabhängigkeit wiederum ist eine Voraussetzung, politische Ämter übernehmen zu können – und so wiederum die Gleichstellung der Geschlechter in der Gesellschaft insgesamt zu fördern.
„Send hat viel dafür getan, dass Frauen in Fragen der Regierungsführung im Land einen Platz bekommen“, sagt Doris Moriba, die Präsidentin des Young Women in Governance Network im Distrikt von Kenema, der zweitgrößten Stadt des Landes. Mit Sensibilisierungskampagnen und Trainings habe sich die Organisation dafür eingesetzt, eine angemessene Repräsentation zu erreichen und so die jüngst eingeführte 30 Prozent-Quote den öffentlichen Institutionen des Landes zu erfüllen geholfen.
„Die Schulungen haben bei Frauen das nötige Bewusstsein geschaffen, um sich für Führungspositionen zu bewerben“, sagt Moriba. Sie seien ein „Augenöffner“ gewesen: „Frauen haben verstanden, dass der Beruf des Parlamentsmitglieds nicht nur für Beamte im Ruhestand geeignet ist.“ Heute gebe es vier weibliche Parlamentarierinnen und viele weibliche Ratsmitglieder sowohl in der Stadt Kenema als auch im Distriktsrat. Das sei nur möglich, weil Frauenorganisationen wie Send der neuen Quote zur Durchsetzung verholfen hätten.
Eine der Teilnehmerinnen an den Schulungen von Send ist Baby Naomi Salam, die heute Stadträtin in Kenema ist. „Send hat uns weibliche Kandidaten finanziell unterstützt und auch unsere Plakate produziert, die uns in unserem Bezirk vorstellten“, sagt Naomi Salam. In den Seminaren zur Vorbereitung der Wahl am 24. Juni 2023 habe sie viel über „die besten politischen Praktiken“ und „verantwortungsvolle Führung“ erfahren.
„Die Schulungen von Send haben die Beteiligung und auch ihre Unterstützung füreinander erhöht“, sagt auch Rugiatu Sesay-Koroma, die stellvertretende Bürgermeisterin von Kenema. So seien Frauen nun eher in der Lage, sich an öffentliche Versammlungen zu wenden und mit großem Selbstvertrauen in der Öffentlichkeit zu sprechen. „Wenn man einen Mann bildet, bildet man ein Individuum, aber wenn man eine Frau bildet, bildet man die Nation,“ sagt Sesay-Koroma.
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