Gleichstellungsbeauftragte über Corona: „Rollenbilder sind zäh“
Die Landesarbeitsgemeinschaft kommunaler Frauenbüros Niedersachsen befürchtet, dass sich durch die Coronakrise traditionelle Rollenbilder verfestigen.
taz: Frau Kruse, ist das Coronavirus mit all seinen Veränderungen eine Chance, Reproduktionsarbeit neu zu bewerten?
Angelika Kruse: Eine Chance ist, dass Frauen in systemrelevanten Berufen – in der Pflege, in Krankenhäusern, in Kitas – jetzt noch mehr gebraucht werden und dass es natürlich auch Väter gibt, die deshalb jetzt im Homeoffice sind. Das Risiko ist jedoch, dass Frauen aus einem traditionellen Geschlechterverhältnis heraus noch stärker in der jetzt vermehrt benötigten Kinderbetreuung und Pflege involviert sind. Sie leisten sowieso schon durchschnittlich 1,5 Stunden pro Tag mehr dieser unbezahlten Arbeit. Die Befürchtung ist, dass sich das durch die Pandemie verfestigt.
Und jetzt bleiben Betreuungseinrichtungen erst einmal weiter dicht.
Frauen geraten im Erwerbsleben möglicherweise ins Hintertreffen, wenn Betreuung jetzt noch länger wegfällt. Die Kitas werden noch längere Zeit geschlossen bleiben, also gerade die Betreuung der kleinen Kinder wird in den Familien geleistet werden müssen. Und auch Grundschulen sollen ja noch nicht geöffnet werden. Die Berufsgruppen, die die Notbetreuung in Anspruch nehmen dürfen, müssen entsprechend ausgeweitet werden.
Bisher konnten nicht alle Alleinerziehenden in Niedersachsen ihre Kinder in die Notbetreuung geben.
Das wird sich ändern müssen, damit sie ihre Arbeitsstelle nicht verlieren. Wir können nicht von einer Partnerschaft in der Familie ausgehen, wir haben viele Alleinerziehende.
Was muss denn passieren, damit Hausarbeit ähnlich wie Lohnarbeit anerkannt wird?
Darum geht es gar nicht. Es nutzt nichts, Geld für Hausarbeit zu verlangen. Dann haben wir wieder eine Geschlechterdiskriminierung. Die unbezahlte Arbeit muss gerechter zwischen den Geschlechtern aufgeteilt werden. Es ist dringend erforderlich, dass auch Männer mehr ihre Arbeitszeit reduzieren, wenn Angehörige zu pflegen oder Kinder zu betreuen sind. Denn wenn das in der Regel Frauen machen, sind vor allem sie in ihrer Erwerbsbiografie unendlich benachteiligt. Sie haben die deutlich längeren Berufsunterbrechungen, arbeiten überwiegend in Teilzeit und ihre Rentenansprüche sind niedrig. Dafür müssen wir strukturelle Veränderungen schaffen.
Angelika Kruse,
63, ist seit 30 Jahren Gleichstellungsbeauftragte beim Landkreis Göttingen und Vorstandsfrau der Landesarbeitsgemeinschaft kommunaler Frauenbüros. Sie hat Sozialarbeit studiert.
Wie kann das aussehen?
Wir sehen das ja zum Beispiel an der Elternzeit: Der Anteil von Männern in der Elternzeit ist auf über 30 Prozent gestiegen, seit die zwei Monate für einen Elternteil eingeführt wurden, die verfallen, wenn sie nicht genommen werden. Aber die Väter nehmen eben auch nur die zwei Monate, weil das die Rahmenbedingung ist. Wir müssen die gesamten 14 Monate auf beide Geschlechter verteilen. Und darauf hat Politik Einfluss.
Verfestigen sich die von Ihnen angesprochenen Strukturen auch, weil Frauen jetzt eher zu Hause bleiben, eben weil sie weniger verdienen?
Das ist der ewige Kreislauf. Es lässt sich eher auf das Einkommen der Frau verzichten – in der Elternzeit und auch jetzt. Und es geht auch um das Ansehen der Berufe: Finden Männer ihre Berufe nicht immer wichtiger, obwohl wir jetzt merken, systemrelevant sind die Frauenberufe? Da sie in den Berufen aber weniger verdienen, wird voraussichtlich innerfamiliär entschieden, dass die Frau zu Hause bleibt.
Welche strukturellen Änderungen können noch helfen?
Wie wir in Zukunft mit Arbeitszeitreduzierung anders umgehen können, ist eine weitere Frage. Immer mehr Frauen wollen nicht nur 20, sondern bis zu 30 Stunden arbeiten. Mit diesem Modell müssen wir mehr Männer ansprechen. Und durch die Pandemie bietet sich noch eine Chance: das ist der gesamte Bereich Homeoffice. Es kann eine gute Alternative sein, um Familienarbeit gerechter zu verteilen.
Sind Sie Befürworterin des bedingungslosen Grundeinkommens?
Es gibt Argumente, die dafür sprechen: Frauen müssen sich jetzt unter Umständen sehr lange von der Arbeit freistellen lassen, weil sie ihre Kinder betreuen müssen. Und es gibt keine guten einheitlichen Regelungen, wie lange sie in dieser Freistellung bezahlt werden. Sie könnten also ihre Arbeitsstelle und damit ihr Einkommen verlieren. Und dann sind die Frauen es, die einerseits den Laden am Laufen halten und auf der anderen Seite am Ende den Kürzeren ziehen.
Wie ist die Situation der Gleichberechtigung in Niedersachsen?
Wir haben hier das niedersächsische Gleichberechtigungsgesetz. So wie es ist, ist es ein zahnloser Tiger. Seit Jahren steht die Novelle an, denn wir als Gleichstellungsbeauftragte brauchen natürlich eine gute gesetzliche Grundlage, um Frauenförderung im öffentlichen Dienst weiter voran zu bringen. Und es muss Sanktionsmöglichkeiten enthalten. Es nützt ja nichts, wenn wir als Gleichstellungsbeauftragte bestimmte Prinzipien in unseren Verwaltungen daraus einfordern, aber es keine Sanktionen gibt, wenn sich die Verwaltungen dann doch nicht dran halten.
Wie erleben Sie denn die Strukturen in der Verwaltung?
In den nicht so gut bezahlten Verwaltungsberufen haben wir einen sehr hohen Frauenanteil, auch in unseren Kommunalverwaltungen. Aber je höher die Position, umso geringer wird dieser Anteil.
Wie kann es den notwendigen Wandel in den gesellschaftlichen Rollenbildern geben?
Unsere Rollenbilder sind leider zäh und hartnäckig. Da muss viel getan werden. Es fängt an bei Bilderbüchern und Spielzeug für Kleinkinder und zeigt sich auch im geschlechtsspezifischen Berufswahlverhalten. Die Pandemie zeigt: Gerade die schlechter bezahlten Frauenberufe sind systemrelevant und unverzichtbar. Was gibt es dafür erst einmal? Applaus. Aber Applaus ist nicht alles, was wir brauchen, um diese Berufe in Zukunft aufzuwerten. Es geht um die Rahmenbedingungen und das Lohnniveau.
Das sind keine neuen Themen.
All die Forderungen, die Gleichstellungsbeauftragte seit Jahren erheben, werden in dieser Krise deutlich. Die Ungleichheit der Geschlechter zeigt sich nun mit ihrer ganzen Wucht.
Wie kann das Thema auf der Agenda bleiben?
Da sind alle gesellschaftlichen Kräfte gefordert, insbesondere Politik und Gewerkschaften. In den Berufen, um die es geht, gab es ja vor Corona schon riesigen Personalmangel. Es geht also auch darum, wie wir in Zukunft unsere Krankenhäuser, Alten-, Pflegeheime und Kindergärten ausstatten. Aber unsere Sorge ist, dass wenn die große Krise vorbei ist, die Aufwertung von Frauenberufen nicht ganz vorn auf der Agenda steht und aus finanziellen Gründen weit hinter den Erwartungen bleibt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“
Repression gegen die linke Szene
Angst als politisches Kalkül